Perspektiven

Die aktuelle Entwicklung der Konjunktur wirkt sich in doppelter Weise auf die finanzielle Entwicklung des Bistums Essen aus: Auf der Ausgabenseite ist die Kirche wie andere Organisationen von den zuletzt hohen Preissteigerungen betroffen. Auf der Einnahmenseite ist das Bistum Essen maßgeblich auf die Kirchensteuerzahlungen seiner Mitglieder angewiesen, um die Arbeit für die Menschen an Rhein, Ruhr und Lenne zu finanzieren. Und weil die Kirchensteuer von der Einkommensteuer abhängt, machen sich Konjunkturschwankungen hier schnell bemerkbar: Gerät die Wirtschaft unter Druck, fallen Lohnsteigerungen geringer aus, womöglich verlieren Kirchenmitglieder sogar ihren Arbeitsplatz. Dadurch sinkt die Steuerbelastung - und bei einer längeren und umfassenden Konjunkturverschlechterung eben auch der Kirchensteuer- ertrag insgesamt. Damit verkleinert sich der Spielraum des Bistums für die Gestaltung des kirchlichen Lebens. Da die meisten Experten für das laufende Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung erwarten und auch für 2024 nur ein geringes Wachstum prognostizieren, sind hier für das Bistum Essen keine wesentlichen Impulse zu erwarten. Das gilt umso mehr, als sich diese Entwicklungen aufgrund der bundesweiten Verrechnung der Kirchensteuer erst mit einer vierjährigen Verzögerung bemerkbar machen, wie dieser Finanzbericht für das Jahr 2022 erneut dokumentiert.

Dass das Bistum Essen erst mit einer solchen Verzögerung Klarheit über seine wichtigste Einnahmequelle erhält, ist angesichts des komplexen Verrechnungsmechanismus nachvollziehbar: Für jedes Kirchenmitglied wird die Kirchenlohnsteuer zunächst vom Arbeitgeber einbehalten und über das Finanzamt an das Bistum weitergeleitet, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Wohnt das Kirchenmitglied in einem anderen Bistum, muss die Kirchensteuer im Rahmen der Verrechnung zwischen den Bistümern dorthin überwiesen werden. Für die Bistumsfinanzen ist das Ergebnis dieses aufwendigen sog. Clearings jedoch schwer kalkulierbar, weil es sich nicht nur durch Umzüge und Arbeitsplatzwechsel von Kirchenmitgliedern oder Unternehmensverlagerungen verändert, sondern auch durch die Verschiebung der Wirtschaftskräfte einzelner Regionen. Dieser Unsicherheit muss das Bistum in seiner Bilanz mit der Bildung hoher Rückstellungen für mögliche Nachzahlungen begegnen, die Kapital für viele Jahre binden.

Absehbar ist also, dass die finanziellen Möglichkeiten der Kirche noch schneller schrumpfen werden als die Zahl der Kirchenmitglieder selbst. Daher ist es für das Bistum nicht nur aus pastoralen, sondern gerade auch aus finanziellen Gründen angezeigt, sich bereits jetzt auf diese Zukunft vorzubereiten. Denn noch stehen Gelder zur Verfügung, um sie aktiv zu gestalten - durch innovative Projekte und Angebote, aber ebenso durch den Aufbau zukunftsfähiger Strukturen wie die neuen, größeren Pfarreien. Wird mit den notwendigen Veränderungen jedoch zu lange gewartet, werden diese der Kirche von außen aufgezwungen, mit immer weniger Spielraum für eigene Gestaltungsentscheidungen.

„Vertrauen ist das größte Kapital" heißt es oft in der Wirtschaft, gerade wenn es um Personal und Marken geht. Für die Kirche ist dieser Ausdruck mindestens ebenso gültig - das spüren Christinnen und Christen in ihren Gruppen und Gemeinden ebenso wie Pfarrei- und Bistumsleitungen in den letzten Jahren vor allem dann, wenn es um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Kirche geht. Wie in der Finanzberichterstattung setzt das Bistum Essen hier auf größtmögliche Transparenz - bei der Bearbeitung jedes einzelnen Falls ebenso wie in der Gesamtbetrachtung des Themas. Hierfür steht u. a. die im Februar 2023 vorgestellte Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Essen. Dass der Kirche im Ruhrgebiet und im Märkischen Sauerland zuletzt dennoch Jahr für Jahr mehrere Tausend Menschen den Rücken gekehrt haben, zeigt, dass es nach wie vor viel Vertrauen zurückzugewinnen gilt. Dafür kann nicht nur die Bistumsleitung sorgen. Vielmehr sind alle Christinnen und Christen in den Gruppen, Pfarreien und Einrichtungen des Bistums Essen aufgerufen, sich gemeinsam für eine vertrauenswürdige, vor allem aber lebens- und liebenswerte Kirche einzusetzen. So entsteht ein Kapital, das in keinem Finanzbericht bilanziert werden kann und doch die wichtigste Basis für die Kirche im Bistum Essen ist.

Ansprechperson

Interimsleitung Ressort Finanzen & IT

Wolfgang Hesse

Zwölfling 16
45127 Essen