von Thomas Rünker

Oblatenmissionare verlassen das „Klösterchen“ in Gelsenkirchen

Weihbischof Ludger Schepers feiert am Sonntag, 26. November, um 11 Uhr den letzten Gottesdienst im Gelsenkirchener „Klösterchen“. Danach verlassen die letzten sieben Patres – Durchschnittsalter knapp 82 Jahre – das Kloster nach 103 Jahren Geschichte der Oblatenmissionare in der Stadt. Zwei Patres wechseln in das vor knapp zwei Jahren eröffnete Kloster in Essen-Kray.

Für ein richtiges Kloster hat es im Gelsenkirchener Volksmund nie gereicht: Vom „Klösterchen“ ist seit jeher die Rede, wenn man zu den Oblatenmissionaren im Stadtteil Bulmke-Hüllen geht. Nach 103 Jahren endet dort nun die Geschichte der Patres, die vor allem in der Seelsorge für die Menschen in und um die Gelsenkirchener Innenstadt tätig waren: Mit einem feierlichen Gottesdienst am Sonntag, 26. November, um 11 Uhr mit Weihbischof Ludger Schepers, wird der Orden offiziell verabschiedet.

In dem zweistöckigen Gebäude zwischen Wanner- und Schultestraße sieht es unverkennbar nach Aufbruch aus: Auf dem Gang stapeln sich Umzugskisten neben einem leeren Bücherregal. Im Wohnzimmerschrank steht nur noch eine letzte Marienikone. Und die Barbara-Figur an der Wand? „Die kommt mit nach Kray“, sagt Pater Werner Pieper. Er ist mit 79 der drittjüngste der sieben Ordensbrüder, die nun ihren Lebensabend nicht in Gelsenkirchen verbringen werden, sondern in anderen Klöstern der Oblatenmissionare: Pieper geht zusammen mit Pater Peter Eisenbart in das erst vor knapp zwei Jahren in der St.-Barbara-Gemeinde in Essen-Kray eröffnete Kloster. Die anderen Patres gehen ins Kloster Burlo bei Borken, ins Nikolauskloster bei Neuss oder ins Bonifatiuskloster im osthessischen Hünfeld. „Wir haben für jeden eine gute Lösung gesucht“, sagt Pieper.

Der heutige Rektor hat als Kind im Garten des Klosters gespielt

Pater Pieper ist der letzte Rektor des „Klösterchens“ und damit nicht nur Koordinator der sieben Geistlichen mit einem Durchschnittsalter knapp unter 82 Jahren, sondern in diesen Tagen auch deren Historiker, Pressesprecher und oberster Logistiker. „Den Schrank bekommt der, das Kreuz geht nach da und die Glocke haben wir dem versprochen …“, sagt Pieper sehr bedächtig und doch am laufenden Band, wenn er durch die Flure führt, die zuletzt sein Zuhause waren. Und nicht nur das: „Als Chef muss ich nun das Haus schließen, in dessen Garten ich als Kind Indianer gespielt habe.“

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ist Pieper in der Nachbarschaft des 1920 in einem uralten Bauernhof gegründeten Klösterchens aufgewachsen. Die 1950er Jahre, in denen Pieper die Oblatenmissionare als Kind kennengelernt hat „waren eine Aufbruchszeit“, berichtet er. Landauf landab hat der Orden Klöster eröffnet und „Mission“ vor allem als „Volksmission“ verstanden: In den Gemeinden der Nachbarschaft den Glauben erneuern. Als Jugendlicher ist Pieper dann aus Gelsenkirchen weggezogen und hat nach der Schule eine Lehre als Feinmechaniker absolviert. Erst danach kam ihm der Gedanke, Theologie zu studieren und Priester zu werden. Er hörte sich bei verschiedenen Gemeinschaften um – und stand irgendwann auch wieder vor dem Klösterchen, wo als erstes die Haushälterin den nun ziemlich groß gewordenen „kleinen Werner“ wieder entdeckte. Pieper tauschte sich mit den Patres aus und fasste schließlich tatsächlich den Entschluss, Oblatenmissionar zu werden – allerdings nicht in Gelsenkirchen. Er ging als Kaplan ins Schwäbische, war Krankenhaus-Seelsorger, engagierte sich im ehemaligen Exerzitienhaus des Ordens in Essen und kam erst vor vier Jahren wieder ins Klösterchen nach Bulmke-Hüllen.

„Hier sollte eine internationale Kommunität entstehen.“

Obwohl die sieben Patres auch da schon jenseits des Rentenalters waren, war von Schließung damals keine Rede. Ganz im Gegenteil: „Hier sollte eine internationale Kommunität entstehen“, erzählt Pieper. Aus aller Herren Länder sollten Mitglieder des Ordens nach Gelsenkirchen kommen, um im kulturellen Schmelztiegel des Ruhrgebiets auszuprobieren, wie man als multikulturelles Team Seelsorge-Angebote machen kann. Fast 4000 Mitbrüder in rund 60 Ländern haben die Oblatenmissionare. Die internationale Truppe fürs Ruhrgebiet war schon ausgesucht – „doch dann kam Corona“, markiert Pater Pieper den Wende- und Endpunkt des Projekts. Reisestopps, Einreisesperren… „Das war alles schon eingestielt, aber Corona hat alles kaputt gemacht.“ Und jetzt, wo die Pandemie beherrschbar ist, sind die verbliebenen Patres zu alt, um gemeinsam mit dem Nachwuchs aus aller Welt den Übergang hin zu einem Neustart zu gestalten. „Wir können das jetzt nicht mehr“, sagt Pater Pieper.

Traurig sei dies vor allem für die Gläubigen, die bislang dafür gesorgt haben, dass die kleine Klosterkirche am Sonntag stets gut gefüllt war. Viele hatten ihre Heimat bis Juni 2022 in der benachbarten Kirche Hl. Familie. Als die geschlossen wurde, war für viele das Klösterchen eine naheliegende Alternative. Die Patres hätten damals noch gehofft, dass das internationale Projekt doch noch gelingen kann, sagt Pieper. „Aber dann hat uns die Wirklichkeit eingeholt.“ Und manches Kirchenmitglied verliert nun zum zweiten Mal eine liebgewonnene Kirche.

Die Oblatenmissionare

Nein, diese Oblaten haben nichts mit dünnen Gebäckscheiben zu tun. Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet Oblaten so viel wie „darbringen“ oder „weihen“. Sich selbst beschreiben die Oblaten der Makellosen Jungfrau Maria (lateinisch „Oblati Mariae Immaculatae“, kurz OMI) als eine missionarische Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche, die die Frohe Botschaft verkündet und sich weltweit für Entwicklung und Gerechtigkeit engagiert. 1816 von dem französischen Adeligen und Priester Eugen von Mazenod gegründet gibt es die päpstlich anerkannte Ordensgemeinschaft heute auf allen Kontinenten. Das „Klösterchen“ St. Joseph in Gelsenkirchen gehört – wie das neue Kloster in Essen-Kray – zur mitteleuropäischen Provinz (mit Deutschland, Österreich und Tschechien), in der rund 100 Patres, Brüder und Studenten in 13 Klöstern leben.

Zwei Patres sind weiter als Seelsorger in Gelsenkirchen aktiv

Immerhin bleiben zwei der sieben Patres in Gelsenkirchen tätig: Pater Pieper und Pater Eisenbart werden weiter die Seelsorge in der Gelsenkirchener Innenstadtpfarrei St. Augustinus mitgestalten – auch wenn sie künftig in Essen-Kray wohnen. Dass die Hausgemeinschaft der sieben Patres, die seit vier Jahren in dieser Form zusammenlebt, nun auseinandergerissen und jeder noch einmal anderswo heimisch werden muss, sei sehr traurig, macht Pieper aus seinem Herzen keine Mördergrube, „manchmal will ich das noch gar nicht wahrhaben“. Doch dann holen ihn Umzugskisten und leere Schränke wieder in die Abschieds-Realität zurück. „Es ist eine Enttäuschung, dass wir hier aufhören müssen“, sagt er. Andererseits gehöre es zur „missionarischen Haltung“ ihres Ordens, Dinge aufzubauen und weiterzuziehen. Diese Haltung „erleichtert uns den Abschied“ – zumindest ein wenig. Letztlich war wohl für alle sieben Patres das Haus in Gelsenkirchen zu ihrem Alterssitz geworden.

Zumindest „Klösterchen“ wird in Gelsenkirchen ein Begriff bleiben, auch wenn nach der letzten Messe am Sonntag bis Ende des Jahres die letzten Patres ausgezogen sind: Allein die Senioren-Wohnanlage „Am Klösterchen“ gleich nebenan wird auch künftig an die Geschichte der Oblatenmissionare erinnern. Und ein Denkmal, in dem Menschen leben, erscheint nach 103 Jahren Seelsorge für die Leute in Gelsenkirchen nicht völlig unpassend.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen