von Thomas Rünker

Forscher finden Weihbischof Angerhausens Dias vom Zweiten Vatikanischen Konzil

Auf der Suche nach Tagebüchern des Essener Weihbischofs haben die Kirchenhistorikerin Miriam Niekämper aus Bochum und der Essener Bistumsarchivar Severin Gawlitta verschollene Fotos aus der Konzils-Zeit gefunden. Mit den Dia-Serien ist Angerhausen einst durchs Bistum gezogen und hat den Menschen vom wichtigsten Ereignis der katholischen Weltkirche im 20. Jahrhundert erzählt.

Tagebücher gesucht, Dia-Vorträge gefunden. Das ist die Kurzform der jahrelangen akribischen – und nun erfolgreichen – Suche einer jungen Forscherin und eines Archivars nach einem wichtigen Puzzlestück in der Geschichte des Bistums Essen. Dieses Puzzlestück verbindet das 1958 gegründete Ruhrbistum mit seinem ersten Weihbischof Julius Angerhausen und dem vier Jahre später begonnenen Zweiten Vatikanischen Konzil, dem wichtigsten Ereignis der katholischen Weltkirche im 20. Jahrhundert. Miriam Niekämper, Doktorandin am Bochumer Lehrstuhl für Kirchengeschichte von Juniorprofessor Florian Bock, und Bistumsarchivar Severin Gawlitta haben Dias und handschriftliche Notizen wiederentdeckt, die Weihbischof Julius Angerhausen (1911 – 1990) als Teilnehmer des Konzils gemacht hat. „Dieser Fund schließt eine auffällige Lücke im Nachlass von Weihbischof Angerhausen“, sagt Gawlitta. Und Niekämper freut sich, dass sie ihre Doktorarbeit über Angerhausen und seine „Fraternität der kleinen Bischöfe“ abschließen kann, ein Netzwerk von 20 Bischöfen aus aller Welt, die sich der Idee einer Kirche der Armen verschrieben hatten – auch wenn sie Angerhausens Tagebücher, nach denen Niekämper eigentlich gesucht hatte, nicht gefunden hat.

Weihbischof Julius Angerhausen

In Warendorf geborenen, wurde Angerhausen 1935 in Münster von Bischof von Galen zum Priester geweihten und dann als Kaplan nach Duisburg geschickt. Dort entwickelte er eine besondere Nähe zur Arbeiterschaft, unter anderem als Diözesanseelsorger der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Diese Nähe war im jungen Ruhrbistum zweifellos gefragt. Ab der Bistumsgründung 1958 baute Angerhausen in Essen das Seelsorgeamt auf. Am 12. April 1959 weihte ihn Bischof Franz Hengsbach zum ersten Weihbischof des Ruhrbistums.

Angerhausen wäre wohl mit dem Smartphone übers Konzil gezogen

Hätte das Konzil nicht 1962, sondern 60 Jahre später begonnen, wäre der Essener Weihbischof Julius Angerhausen vielleicht mit seinem Smartphone zwischen den Säulen des Petersdoms und auf den Gängen des Vatikans unterwegs gewesen. Zeitweise rund 2500 Bischöfe aus aller Welt diskutierten damals über den Kurs der katholischen Kirche. Und wie heute Koalitionäre in der Politik oder kirchlich Engagierte bei Synodalversammlungen hätte Angerhausen vielleicht seine Accounts bei Facebook, Twitter oder Instagram bedient und mit Fotos aus den heiligen Hallen von diesem epochalen Weltereignis berichtet. „Ja, das hätte er wohl gemacht“, meint Ekkehard Wegener, einer der früheren Domsakristane in Essen. Von 1972 bis 2007 war er Küster der Münsterkirche und hat viele Jahre gern mit dem eher stillen, spirituellen und in vielerlei Hinsicht vom ersten Ruhrbischof Franz Hengsbach überstrahlten Weihbischof zusammengearbeitet.

Auf dem Konzil stand Angerhausen nicht bei den großen Debatten in der ersten Reihe, zum Beispiel zur Feier der Gottesdienste oder im Umgang mit anderen Religionen. Dafür war er einer von 40 Bischöfen aus aller Welt, die sich bei einer gemeinsamen Messe im „Katakombenpakt“ zu einem einfachen Lebensstil und zum Dienst an den Armen verpflichtet haben. Zudem pflegte er die internationalen Kontakte zu seiner „Fraternität“, hat Kirchengeschichts-Forscherin Niekämper herausgefunden.

„Für Angerhausen war wichtig: Das Konzil wirkt zu Hause“

Angerhausens Fotoleidenschaft war laut Niekämper ebenso legendär wie sein Interesse, den Menschen daheim von den epochalen Veränderungen in der Kirche zu berichten – wohl weil er wusste, dass die in Rom beschlossenen Veränderungen daheim im Ruhrbistum umzusetzen waren. Doch statt der Live-Berichterstattung übers Handy im 21. Jahrhundert setzte Angerhausen Anfang der 1960er Jahre auf Dias, die er später zu Hause zeigte. „Eine erste Serie stammt aus 1963, zwei Serien hat Angerhausen mit Bildern von 1964 zusammengestellt, außerdem gibt es thematische Reihen, zum Beispiel zu den 16 Konzilstexten“, berichtet Niekämper. Sie zeigt auf fünf kleine Notizbücher, in denen Angerhausen nicht nur die Beschreibungen für jedes Foto verzeichnet hatte, sondern auch Notizen, wann und wo er die Dia-Vorträge gezeigt hat: In Kirchengemeinden, bei Treffen von Seelsorgern – und noch 1983 bei einer Messdienergruppe. Niekämper: „Für Angerhausen war wichtig: Das Konzil wirkt zu Hause.“

Domsakristan hat Angerhausen-Dias vor der Vernichtung bewahrt

Erhalten haben Niekämper und Gawlitta das Material aus Angerhausens Nachlass vom ehemaligen Domsakristan Wegener. Er hat nach Angerhausens Tod 1990 nicht nur viele Schriftstücke übernommen, sondern später auch Dias. Die hatte der Weihbischof der katholischen Essener Bild-Agentur „foto present“ übergeben, bei der Wegeners Frau arbeitete. So konnte der Angerhausen-Fan, als die Agentur aufgelöst wurde, die Konzils-Bilder des Weihbischofs vor der Vernichtung bewahren. „Ein zentrales Bistumsarchiv gab es damals noch nicht“, sagt Gawlitta mit einigem Bedauern – denn sonst hätte man sich die Suche der vergangenen Jahre wohl erspart. 

Bistumsarchivar sucht seit 2015

2015 hatte Gawlitta begonnen, nach den verschollenen Angerhausen-Dias zu suchen. Nachdem sie bereits für ihre Bachelor- und Masterarbeit zu Angerhausen geforscht hatte, stieß wenig später auch Niekämper mit Blick auf ihre Doktorarbeit hinzu. Von Domsakristan Wegener kam schließlich der Tipp, dass ein großer Dia-Bestand im Ostwestfälischen gelandet sei. Die dort im Herbst 2020 entdeckten rund 8000 Bilder zeigten denn auch zahlreiche Reisen Angerhausens, und sowohl für das Bistumsarchiv wie für Niekämpers Arbeit zu Angerhausens internationalen Bischofskontakten war der Fund ein Gewinn – nur die Konzilszeit blieb in der Sammlung ausgespart.

Suchanstrengungen reichten bis ins lettische Riga

Doch mit dem Dia-Fund hatten Gawlitta und Niekämper endgültig Blut geleckt, die Suche ging weiter. Die Doktorandin war jedoch vor allem an den Tagebüchern des Weihbischofs interessiert. „Angerhausen hat sich auf jeder Reise Notizen gemacht, schon um später die Dias erklären zu können“, wusste die Forscherin. Warum sollte er also gerade in der hochspannenden Konzils-Zeit nichts aufgeschrieben haben? Doch jede Frage nach den Tagebüchern lief ins Leere: Egal ob bei Angerhausens Verwandten, dutzenden kirchlichen Stellen im Ruhrbistum und darüber hinaus, bei kirchlichen Journalisten, dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat und sogar dem Karmelitinnenkloster im lettischen Riga – niemand konnte bei der Suche helfen. Auch Domsakristan Wegener hatte keine Tagebücher geerbt.

Forschung über die Bistums-Geschichte

Seit Herbst 2018 ist der Theologe Florian Bock der erste Inhaber der neu geschaffenen Juniorprofessur für die Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, die insbesondere die Zeitgeschichte und die Geschichte des Bistums Essen in den Blick nehmen soll. Das Ruhrbistum hat Bocks Stelle gemeinsam mit der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Uni eingerichtet – und finanziert sie zu zwei Dritteln. Mit seiner Arbeit knüpft der Essener Florian Bock an die Forschungen des 1976 vom ersten Ruhrbischof Franz Hengsbach gegründeten und gut 40 Jahre tätigen Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen an. Im vergangenen Herbst hat Bock zusammen mit Miriam Niekämper und zwei weiteren Wissenschaftlern das Buch „Geschichte(n) des Bistums Essen in 30 Objekten“ herausgegeben.

Immerhin entdeckte Niekämper durch eine mühsame Recherche bei allen früheren Kunden der Agentur „foto present“ irgendwann in einer alten Kirchenzeitung ein Foto, das Weihbischof Angerhausen aufgenommen hatte. Das Bild war jedoch nicht in dem bereits gefundenen Bestand, sondern musste aus der Konzils-Zeit stammen. „Da war uns klar, es muss auch Bilder vom Konzil geben“, berichtet Niekämper. Aber Tagebücher?

Eine Kassette mit Grußbotschaften von Bischöfen aus aller Welt

Vielleicht war es am Ende schlicht ein Missverständnis. Denn Domsakristan Wegener hatte zwar keine Tagebücher – aber eben doch die Konzils-Dias samt den fünf Büchlein mit den Vortragsnotizen, die er nach der „foto present“-Auflösung übernommen hatte. Und auf die machte er das kleine Forscherteam Ende vergangenen Jahres aufmerksam: Eine Kofferraumladung mit den Dias und Notizbüchern, aber auch vielen weiteren Akten und Unterlagen aus jener Zeit, wanderte aus Wegeners Wohnung ins Bistumsarchiv. Nichts, weshalb man – nach einer ersten Durchsicht –die Kirchengeschichte neu schreiben müsste, aber „doch noch mal eine neue Perspektive“, sagt Niekämper: auf den zurückhaltenden Weihbischof – und auf ihr Forschungsthema, das internationale Netzwerk der „kleinen Bischöfe“. Beim Bestand aus dem Hause Wegener sei nämlich auch eine Audio-Kassette dabei gewesen, auf der Bischöfe aus aller Welt kurze Grußbotschaften für ein Treffen aufgenommen hätten, an dem sie selbst nicht teilnehmen konnten. „Eine einmalige Quelle“, freut sich Niekämper. Und Bistumsarchivar Gawlitta überlegt, ob die Smartphone-Sprachnachrichten der aktuellen Bischöfe in 60 Jahren wohl auch solch großes Forscherinteresse wecken werden.

Und die Tagebücher? Die könnte es nach Ansicht von Gawlitta und Niekämper immer noch irgendwo geben. „Das wäre eine Traumquelle, aber es macht keinen Sinn, weiter zu forschen, weil es überhaupt keine Anhaltspunkte mehr gibt“, sagt Niekämper. Vielleicht waren sie auch von Beginn an auf dem Holzweg und es hat nie etwas anderes als die fünf Notizbücher für die Dia-Vorträge gegeben. Die Suche jedenfalls, die ist jetzt zu Ende.

Bistumsarchiv

Dr. Severin Gawlitta

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