von Thomas Rünker

„Es hat nie Stillstand gegeben, keine Ruhephasen“

Nach elf Jahren als Persönlicher Referent von Bischof Franz-Josef Overbeck und gut 40 Jahren in Diensten der Kirche im Bistum Essen geht der Bochumer Theologe Heribert Kleine in dieser Woche in den Ruhestand. Ein Zeuge und Motor der tiefgreifenden Veränderungen, die das Ruhrbistum seit vielen Jahren prägen.

Als Bischofs-Referent und in leitender Funktion im Generalvikariat hat Heribert Kleine viele Veränderungen im Bistum Essen entscheidend mitgestaltet

Ursprünglich wollte Kleine Priester werden

Im Ruhestand warten auf Kleine viele Ehrenämter, eine große Familie - und sein heiß geliebter Motorroller

Gut elf Jahre lang war er die rechte Hand von Bischof Franz-Josef Overbeck – und oft genug auch dessen linke. Seit Jahrzehnten ist Heribert Kleine Zeuge und Motor vieler Veränderungen im Bistum Essen, prägte Gemeindefusionen, Gesprächsprozesse und Pfarreientwicklungen. Künftig wird der Bochumer Theologe diese Prozesse vor allem als Zuschauer begleiten: Mit 65 Jahren verabschiedet Bischof Overbeck seinen persönlichen Referenten an diesem Donnerstag mit einem Gottesdienst in den Ruhestand. Bischofshaus und Generalvikariat am Essener Burgplatz verlieren damit eine Konstante im Wandel der Kirche an Rhein, Ruhr und Lenne. Schließlich trugen Kleines Vorträge schon vor 40 Jahren als Referent im katholischen Bildungswerk Titel wie „Kirche im Umbruch“, „… Abbruch“ oder „… Aufbruch“.

Von „kooperativer Seelsorge“ bis zu Pfarreientwicklungsprozessen

„Es ging immer um Veränderung von Kirche, es hat nie Stillstand gegeben, keine Ruhephasen“, sagt Kleine heute im Rückblick auf sein Berufsleben. Schon als er 1993 vom Katholischen Bildungswerk Essen in die Bistumsverwaltung wechselte und persönlicher Referent des Seelsorgeamtsleiters Heinrich Heming wurde, stand „kooperative Seelsorge“ auf der Agenda: Angesichts sinkender Priester- und Kirchenmitgliederzahlen sollten die damals noch 327 eigenständigen Pfarreien auf freiwilliger Basis zu einer engeren Zusammenarbeit bewegt werden. Das stieß zunächst auf wenig Gegenliebe, vielerorts blieb man lieber unter sich, und so brauchte es fünf Jahre, bis sich die Pfarreien zwischen Duisburg und dem märkischen Sauerland zu 116 Kooperationseinheiten zusammengefunden hatten, und weitere fünf Jahre, bis Bischof Luthe den Einheiten 2002 verbindlich mitteilen konnte, in welcher Weise sich ihre Kooperation entwickeln soll. Diese Prozesse waren zweifellos mühsam, „aber sie haben den Grundstein für alles gelegt, was seitdem passiert ist. Sonst hätte es später noch viel größere Widerstände gegeben“, ist Kleine heute überzeugt. Immerhin waren sie der Ausgangspunkt für zahlreiche damals bereits unmittelbar folgende Pfarreizusammenschlüsse.

Ganz gleich, ob die Briefe der Bischöfe Seelsorge-Kooperationen, Pfarreizusammenschlüsse oder Pfarreientwicklungsprozesse betrafen: An allen Briefen, mit denen den Pfarreien diese Veränderungen mitgeteilt wurden, war Kleine beteiligt. Und auch seinem Nachfolger im Bischofshaus dürfte dieses Thema erhalten bleiben.

Ein Realist, wie sein Chef der Bischof

Kleine beschreibt das nüchtern, ohne Trauer oder gar Verzweiflung angesichts der zahlenmäßig sich zuspitzenden Situation sowie gravierender pastoraler und gesellschaftlicher Veränderungen im Ruhrbistum. Er ist ein Realist, wie sein Chef, der Bischof – beide schauen den Wirklichkeiten ins Auge und wissen, dass sie nur dann etwas ändern können, wenn sie Realitäten achten und an ihnen anknüpfend lernen, neue Perspektiven zu entwickeln. Schließlich könne man im Ruhrbistum die Dinge tatsächlich anpacken und manches zum Besseren verändern, sagt Kleine. Beispielhaft verweist er auf Gemeindereferentin Sandra Schnell, die neue Pfarrbeauftragte im sauerländischen Altena, die künftig als erste Frau gemeinsam mit einem moderierenden Priester eine der 42 Pfarreien des Ruhrbistums leiten wird. „Mit solchen Veränderungen ergeben sich immer wieder neue, ganz praktische Fragen“, sagt Kleine. Was zum Beispiel, fragt er als langjähriger Geschäftsführer der Pfarrerkonferenz, bedeutet es für eine Pfarrerkonferenz, wenn sich nun eine Frau und perspektivisch weitere nichtgeweihte Personen zumindest von ihren Leitungsaufgaben her in die Riege oft langgedienter Pfarrer einreihen? „Die nächste Zeit wird noch viele solcher Fragen mit sich bringen. Es hört nicht auf und bleibt spannend.“

Veränderung gelingt nur in echtem Dialog

Veränderung gelingt nur mit vielen, oft unendlich vielen Gesprächen – eben in echtem Dialog, weiß Kleine. Schließlich war der Bischofs-Referent nicht nur beteiligt am Dialogprozess, den Bischof Overbeck 2011 als Reaktion auf den Schock des Missbrauchsskandals gestartet hat: In zahlreichen Veranstaltungen haben seinerzeit hunderte Katholiken über die künftige Ausrichtung der Kirche diskutiert und ihre Ideen zum Zukunftsbild beigetragen, das seit Mitte 2013 die Arbeit der Kirche im Bistum Essen prägt. Kleine erlebte auch aus nächster Nähe das beständige Lernen seines Chefs, das ebenfalls vor allem im Dialog geschah und ihn sehr beeindruckte: Im Mai 2010 hatte Overbeck wenige Monate nach seinem Amtsantritt mit kritischen TV-Äußerungen zur Homosexualität bundesweit für Diskussionen gesorgt – und Kleine über 400 verzweifelte und wütende Briefe zur Beantwortung beschert. Mittlerweile gilt er unter den deutschen Bischöfen als einer der engagiertesten Befürworter einer neuen Haltung der Kirche zu diesem Thema. „Ich habe selten jemanden erlebt, der so lernbereit, aber auch lernfähig war. Der Bischof hat permanent seine Positionen und Haltungen reflektiert und – wenn er es für richtig hielt – auch verändert, ohne sich je zu verbiegen“, beschreibt es Kleine. Sein Job war es, dutzende Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern lesbischer und schwuler Menschen mit zu organisieren, weil sich Overbeck intensiv mit deren Leben und Sichtweisen auseinandersetzen wollte. Anfangs noch vertraulich und eher im Verborgenen, „sind das heute völlig entkrampfte und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt Zusammenkünfte“ – auch wenn in Sachen Kirche und Homosexualität längst noch nicht alles im Lot ist.

„Ich bin Dienstleister in zwei Richtungen“, beschreibt der Bischofs-Referent seinen Beruf. Zum einen kommuniziert Kleine ins Bistum, nutzt sein Netzwerk in die Pfarreien, stimmt Besuchstermine und inhaltliche Fragen ab – vieles davon auf dem kurzen Dienstweg, schließlich kennt man sich im flächenmäßig kleinsten Bistum der Republik. Und er koordiniert „seinen“ Bischof zwischen dessen Verpflichtungen als Ruhr-, als Adveniat-, als Militär- und als „Sozial“-Bischof der deutschen Bischofskonferenz. Zum anderen „mache ich Schriften und Absprachen für den Bischof stimmig, damit er sie sich zu eigen machen kann“. Hunderte Briefe, Vorträge, Interviews oder E-Mail-Antworten sind in den vergangenen Jahren erst über Kleines und dann über den Bischofs-Schreibtisch gegangen. Aber seine Predigten, die formuliert Bischof Overbeck ganz allein.

Der erste Nicht-Priester als Referent eines Ruhrbischofs

In der gut 60-jährigen Geschichte des Ruhrbistums ist Kleine der erste Nicht-Priester, der als Referent für einen Ruhrbischof arbeitet – und sieht sich auch in der bundesweiten Runde der Bischofs-Referenten immer noch vielen geweihten Männern gegenüber. Fast wäre er Ende der 1970er Jahre auch einer von ihnen geworden. Kleine hatte sich für Theologie an der Ruhr-Uni eingeschrieben und war in den „Kasten“ gezogen, das mittlerweile aufgelöste Bochumer Priesterseminar. Doch dann wurde aus der guten Freundschaft zu Jugendfreundin Renate echte Liebe – und Kleine hängte die Priester-Pläne an den Nagel. Sonst wäre er heute vielleicht vatikanischer Diplomat wie sein früherer Studienkollege, der aus Essen stammende Erzbischof und Nuntius Martin Krebs. Oder er würde eine Pfarrei des Ruhrbistums leiten, wie es viele andere damalige Kollegen aus dem „Kasten“ heute tun.

Mit dem italienischen Motorroller durch Bochum und Umgebung

Doch während die in der Regel bis zum 75. Geburtstag in der Verantwortung stehen, freut sich Kleine nun auf den Ruhestand. Seine drei mittlerweile erwachsenen Kinder wohnen mit ihren Familien in der Nähe und vier Enkelkinder dürfen in Zukunft auf mehr Zeit mit Opa Heribert hoffen. Wobei das wohl in erster Linie von den Ehrenämtern abhängen dürfte, denen Kleine sich künftig wieder stärker widmen möchte. Sei es der Oberhausener Verein „Kinder in Rio“, der Bochumer Polizeisportverein, in dem Kleine als Judoka trainiert, oder die Pfarrei Liebfrauen in Altenbochum. „Vielleicht gehe ich aber auch noch mal studieren“, stellt Kleine seiner Bochumer Alma Mater ein Wiedersehen in Aussicht. Rechtsphilosophie oder Exegese – die Auslegung der Bibel – könnten ihn interessieren. Vielleicht sieht man den Ruheständler aber künftig auch einfach noch ein bisschen häufiger auf seinem italienischen Motorroller. Nicht mehr zum Bürostress-Abbau wie in den vergangenen Jahren, sondern nur noch für ein entspanntes Dolce-Vita-Gefühl zwischen Ruhrhöhen, Fiege-Brauerei und Bergbaumuseum.

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