von Thomas Rünker

Stadtdechant Schmidt: „Kleine Lichtblicke in einer dunkel gewordenen Welt“

Rund 4500 Menschen haben am Sonntagabend in der Essener Innenstadt an einer Kundgebung vor der Alten Synagoge gegen Antisemitismus und für Frieden und Solidarität teilgenommen. In einem breiten gesellschaftlichen Bündnis haben die katholische und die evangelische Kirche diese ruhige und nachdenkliche Demonstration mitgestaltet.

Beeindruckend, wie still 4500 Menschen sein können. Als am Sonntagabend um 17.58 Uhr eine Musikerin ihrer Klarinette auf der Treppe der Alten Synagoge erste Töne entlockt, ist auf der sonst so belebten Straßenkreuzung im Herzen der Essener Innenstadt kein anderer Mucks zu hören. Ergriffen lauschen die Menschen den Klezmer-Klängen, einige haben Kerzen in den Händen – eine Stadt hält inne. Einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und neun Tage nach einer islamistischen Demonstration nur wenige hundert Meter entfernt hat das breite gesellschaftliche Bündnis der „Essener Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“ dazu aufgerufen, sich mit Jüdinnen und Juden in Deutschland zu solidarisieren, sich zum Existenzrecht des Staates Israel zu bekennen und neben der Opfer des Hamas-Terrors in Israel auch derer zu gedenken, die nun im Gaza-Streifen unter Krieg und unwürdigen Lebensumständen leiden.

Oberbürgermeister Kufen: „Das waren Bilder, die nicht für Essen stehen.“

Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) ist auch eine gute Woche später noch hörbar angefasst von den Bildern der vermeintlichen „Pro Palästina“-Kundgebung, bei der ein „Kalifat“ in Deutschland gefordert wurde und Fahnen wehten, deren Legalität gerade die Polizei überprüft, weil sie verdächtig der Optik des sogenannten Islamischen Staates ähnelten. „Das waren Bilder, die nicht für Essen stehen. Wir wollen diese Bilder nicht – wir wollen diese Gruppierungen nicht!“, ruft Kufen unter kräftigem Applaus. Bei der Demonstration hätten „radikal-islamistische Gruppen Freiheitsrechte in Anspruch genommen, die sie anderen nicht zugestehen würden“, sagt der CDU-Politiker mit Blick auf Diskussion um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die seit dieser und anderer Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen laufen. Auch Bischof Franz-Josef Overbeck, der am Sonntag zusammen mit Generalvikar Klaus Pfeffer, Stadtdechant Jürgen Schmidt, dem Essener Caritas-Direktor Björn Enno Hermans und dem designierten neuen Dompropst Michael Dörnemann vor der Alten Synagoge stand, hatte sich in der vergangenen Woche hierzu klar positiniert: „Das entschiedene Eintreten gegen Antisemitismus und Judenhass ist gerade kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern unser aller demokratische Pflicht.“

Schmidt. „Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an.“

Stadtdechant Schmidt schließt sich der Kritik des Oberbürgermeisters an der einseitigen und propagandistischen Kundgebung an: „Es erschüttert uns ins Mark, wenn auf den Straßen unserer Stadt Angriffe, Geiselnahmen und Ermorderungen bejubelt und wenn Hass und Hetze geschürt, Gewalt verherrlicht und Zerstörung propagiert werden.“ Und er betont: „Wir können der Kampf gegen die Anfeindung von Jüdinnen und Juden nicht den staatlichen Behörden überlassen – das geht uns alle an. Nie wieder sollen in dieser Stadt Jüdinnen und Juden angefeindet und bedroht werden.“

Greve: „Wir leiden mit den Opfern auf allen Seiten“

Kufen verweist darauf, dass neben einem wachsenden Antisemitismus „auch muslimische Einrichtungen und Menschen muslimischen Glaubens angegriffen werden. Auch das lassen wir nicht zu – wir lassen uns nicht spalten!“ Als Sprecherin der Allianz betont die Superintendentin der Evangelischen Kirche in Essen, Marion Greve, man könne im aktuellen Konflikt nicht „neutral“ sein: „Wir ergreifen Partei für alle Menschen, die leiden und Gewalt, Terror und Tod ausgesetzt sind. Wir leiden mit den Opfern auf allen Seiten.“ Zugleich müssten „die Täter beim Namen genannt“ werden. Das hatte zuvor schon Thomas Kufen übernommen und mit Blick auf die Hamas betont: „Das sind keine Freiheitskämpfer, das sind Terroristen und Mörder.“ Gleichwohl sei der Krieg im Nahen Osten keine Rechtfertigung für Antisemitismus und Rassismus in Essen. Ausdrücklich beschreibt Greve das Recht des Staates Israels auf seine Existenz als einen wesentlichen Punkt des Zusammenlebens in Deutschland. „Deutschland ist ohne den Kampf gegen Antisemitismus nicht zu haben!“

Leuchtender Applaus aus dem Kerzenmeer

Von der Treppe der Alten Synagoge, die von Judenhass erfüllte Nazi-Schergen vor 85 Jahren und drei Tagen in der Reichspogromnacht in Brand gesetzt hatten, schauen Kufen, Greve, Schmidt und die anderen Redner an diesem Abend in ein friedliches Kerzenmeer. Das erhebt sich bei jedem Applaus als leuchtender Beifall, weil man mit Kerzen in der Hand schlecht Klatschen kann. „Jede Kerze“, sagt Schmidt am Ende mit Blick auf den Nachthimmel, „ist wie ein kleiner Lichtblick in einer dunkel gewordenen Welt.“ Auch dafür danken die Menschen auf der Straße mit leuchtendem Beifall. Dann stellen sie sich in langen Schlangen auf, um ihre Kerze auf den Stufen der Synagoge abzustellen. Zumindest die Polizisten, die die Synagoge bewachen, haben es in dieser Nacht ein wenig heller und wärmer als sonst.

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