von Jürgen Flatken

Es gibt Menschen in der Kirche, die sind einfach anders

Teil 3 der Bistums-Serie: „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“. Zwei Erwachsene erzählen über ihren Weg in die Institution Kirche und welche Rolle zwei besondere Menschen dabei spielen.

Missbrauchsfälle, Sexualmoral, Kirchensteuer – Gründe für einen Kirchenaustritt gibt es viele. Und die Statistik zeigt es schwarz auf weiß: Immer mehr Menschen verlassen die Institution. Aber dann gibt es da noch die anderen, die, die sich für diese Kirche entscheiden. „Für mich war es anfangs unheimlich schwer zu sagen: ich, Sascha, lasse mich mit 22 Jahren taufen.“ Denn lange hat er mit der Institution gehadert.

„Die Kirche stand für alles, was ich nicht bin, was ich ablehne“, erklärt Sascha Karger und kritisiert ihren Umgang mit dem sexuellen Missbrauch, der Homosexualität und der Frauenfrage. „Das ist in dem Moment auch nicht meine Kirche. Ich stehe für Toleranz“, betont er. „Aber je mehr ich mich mit dem Glauben beschäftigt, Kirchen-Menschen jenseits der Schlagzeilen kennen gelernt habe, Menschen hinter dem System, desto mehr bin ich von Kirche und Glaube fasziniert.“

Erst unter Zwang, dann freiwillig

Ein religiöser Anfänger ist Sascha aber nicht. Denn als Kind hat er viel Zeit in der Kirchenbank verbracht. „Dabei hat mich meine Mutter bewusst nicht taufen lassen, damit ich mich irgendwann frei entscheiden kann.“ Soviel zur Theorie. Denn die Mutter hatte die Rechnung ohne die streng katholischen Großeltern gemacht, die den Jungen sonntags erst „unter Zwang“ in die Kirche mitgenommen hätten. „Später bin ich dann freiwillig mit, auch wenn ich nicht wirklich verstanden habe, was da vorne abging.“ Die besondere Atmosphäre hatte es dem jungen Karger schon damals angetan.

Und die Vorstellung, „dass immer jemand da ist, der uns beschützt und behütet“. Das gibt dem Forstwirt Halt, der bei der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg in Mülheim aktiv ist. „Ich habe nie wirklich verstanden, was Glaube ist. Eigentlich bin ich ein wissenschaftlicher Mensch und glaube nur an das, was sich beweisen lässt“, führt er aus. Aber bei den Pfadfindern habe er eine Ahnung davon bekommen, was Glaube, was Gott für ihn sein könne: „Es ist eine Vertrautheit, die einfach da ist. Wie, wenn man verliebt ist. Das kann man ja auch nicht wirklich erklären oder beschreiben. Man muss es erfahren. Es passt einfach“, versucht der 22-Jährige das Unbeschreibliche zu beschreiben.

Nicht allein. Auch nicht in den dunkelsten Stunden

„Ich bin in Psychotherapie wegen meiner Depression“, erzählt Sascha. „Und da zu wissen, dass ich nicht allein bin. Die Gewissheit, dass da jemand ist, dem ich wichtig bin, das gibt mir Kraft.“ Und dazu zählt er neben seiner Freundin und Familie eben auch Gott.

Auch der Glaubensweg von Ingrid Knöß war alles andere als gradlinig. „Ich wurde evangelisch getauft, konfirmiert und bin dann mit 18 Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten“, umreißt die 68-Jährige ihren ersten Versuch mit der Institution Kirche. „Und dann ist mein Onkel plötzlich verstorben und hätte an Weihnachten beerdigt werden sollen.“ Aber das wollte der Pfarrer nicht. „Tja, und dann wollte ich nicht mehr“, erklärt sie emotionslos ihren Kirchaustritt. Jahre der Suche folgten. Denn so richtig los ließ die Finanzbeamtin der Glaube nie.

Geistlicher Begleiter im Schwimmteam

„Mir fehlte etwas. Ohne dass ich konkret hätte sagen können, was.“ Vielleicht war es eine Fügung des Schicksals, dass ihr Schwimmverein in Gelsenkirchen einen geistlichen Begleiter im Team hatte. „Dem habe ich von meiner Suche erzählt.“ Und bekam den Tipp, einfach mal in die katholische Kirchengemeinde St. Maria Magdalena in Wattenscheid-Höntrop zu gehen und dort das Gespräch zu suchen.

Dort traf sie auf Gemeindereferentin Gertrude Knepper und war sofort fasziniert: „Sie lebt und atmet Gott“, sprudelt es aus ihr begeistert heraus. „Ich bin jahrelang ohne Gott ausgekommen. Und habe im Gespräch gemerkt, wie sehr er mir gefehlt hat. Allein die Bestätigung, dass ich im Leben nicht alles allein tragen muss, hat mich sehr entlastet.“ Die Begegnung mit der Pastoralreferentin hat sie dazu ermutigt, sich mit ihrem Glauben auseinander zu setzen und den Weg Richtung katholische Kirche einzuschlagen.

Es war die richtige Entscheidung

Am vierten April 2010 ist sie in die Institution und Glaubensgemeinschaft eingetreten, zum „blanken Entsetzen“ ihres Mannes und ihres Sohnes. „Die konnten es nicht verstehen. Es war ja auch die Zeit, in der der Kindesmissbrauch aufgedeckt wurde. – Aber es war die richtige Entscheidung. Herz und Seele haben eine Heimat gefunden. Vorher war ich rastlos, jetzt bin ich ruhig und zufrieden.“ Und „auch wenn ich in Gelsenkirchen wohne, fahre ich oft nach Höntrop.“ Das sei ihr Kirchort, „was vor allem an der Gemeinde liegt, die offen, liberal und bunt ist und jeder willkommen ist, egal wen er liebt“.

Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“

Die Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“ des Bistums Essen geht in der Fastenzeit der Frage nach, ob und warum sich Menschen noch in der Institution engagieren und nicht austreten.

Sascha hat seinen in Gottes-Mensch in Maximilian Strozyk gefunden, dem geistlichen Begleiter der Pfadfinder im Bistum Essen: er wird Sascha auf seinen Weg bis zur Taufe begleiten. „Max zeigt, dass es auch ganz andere Menschen in der katholischen Kirche gibt. Nicht die, die in den Medien auftauchen und das Meinungsbild dominieren, sondern die, die die Botschaft Jesu von vor 2.000 Jahren ins Hier und Heute holen.“ Besonders die „politischen Predigten“ haben es Sascha angetan. „Die verdeutlichen, dass die katholische Kirche auch heute noch eine Relevanz hat.“ Ingrid und Sascha haben ihren Weg in und mit der Institution gefunden. Vor allem, weil sie auf Menschen gestoßen sind, die der Kirche ein glaubwürdig menschliches Gesicht gegeben haben.

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