von Jürgen Flatken

Die Suche nach dem katholischen Heimatgefühl

Teil 2 der Bistums-Serie: „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“. Eine junge Familie aus Gladbeck erzählt von ihren Schwierigkeiten mit der Kirche – und warum sie doch nicht austritt.

Die Elterngeneration kannte es noch, die vollen Kirchen, den gelebten Glauben, die Kirche als Heimat und Gemeinschaft. Katholisch zu sein war früher leichter, als heute. Es gehörte ganz selbstverständlich zum Leben dazu. Heute muss man bewusst eigene Wege mit Gott, Glaube und Kirche finden. Gewissheiten brechen weg. Sicher geglaubte Strukturen lösen sich auf. Die kirchliche Landkarte verändert sich. „Früher war es klar, zu welcher Kirchengemeinde man gehört“, sagt Hendrik Namyslo. Jetzt, nach seinem Umzug, ist er ratlos.

„Wir wohnen seit fünf Jahren hier in unserem Reihenendhaus und wissen es nicht“, bedauert der gebürtige Gladbecker, der mit seiner Familie einen Katzensprung weiter in den Norden der Stadt, nach Rentford-Nord, gezogen ist und damit zur St. Franziskus-Kirche gehört. Er findet es schade, dass „es keinen Willkommensbrief von der Kirche gab. So erreichen die keinen mehr. Die Menschen warten nicht mehr auf die Kirche“, ist er sich sicher. 

„Bist du evangelisch oder katholisch?"

So wie er hadert auch seine Frau Julia mit der Kirche. Doch für beide ist der Kirchenaustritt keine Option. „Ich bin christlich aufgewachsen“, erzählt die Industriekauffrau. „Das ist eine grundlegende Lebenshaltung, die mich geprägt und zu dem gemacht hat, was ich bin.“ Ihre Eltern und Großeltern haben die 34-Jährige an Glauben und Kirche herangeführt. Sonntags ging man zu „unserer“ Heilig-Kreuz-Kirche in Gladbeck Butendorf. „Mit der Oma. Das war einfach so.“ Wie das Beten vor dem Essen und das Flötespielen in der Musikgruppe. Es war ein selbstverständlich-natürlicher Umgang mit Kirche und Glaube, in den man hineingeboren wurde und den man nicht infrage stellte. Es sei denn, man kam neu dazu. Da konnte es passieren, dass die Oma den neuen Freund der Enkelin fragte, wie er heiße und: „Bist du evangelisch oder katholisch?“, erinnert sich Julia lachend.

Auch Hendrik hat gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht. „Zum Beispiel an die intensiven Gespräche als Jugendlicher in meiner Heimatgemeinde mit unserem damaligen Pfarrer. Der hat damals bei uns in St. Josef die Pfadfinder gegründet und ich war als Wölfling der ersten Stunde mit dabei“, erzählt der Elektrotechniker. Der habe ihn durchs Leben begleitet, von der Taufe mit drei Monaten über die Zeit als Messdiener und Pfadfinder bis hin zu Freizeiten. „Der war kein Außerirdischer mit schwarzen Klamotten und Kreuz in der Hand, sondern ein Mann wie du und ich.“ Und mitten drin im Gemeindeleben. „Das ist heute nicht mehr so“, bedauert der 35-Jährige. 

Eine Kirche, wie sie Ende der 1990er-Jahre noch normal war

Und auch der Glaube sei immer irgendwie dabei gewesen, „ganz natürlich, ohne aufgesetzt zu wirken.“ So habe sich die Clique aus der Messdienergruppe heraus entwickelt. „Wir haben im Jugendheim freitags bis sonntags abgehangen, gemeinsam Zeit verbracht. Es war mein zweites Zuhause.“ Die beiden haben eine Kirche erlebt, wie sie Ende der 1990er-Jahre noch normal war.

Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“

Die Serie „Bleiben! Was Menschen in der Kirche hält“ des Bistums Essen geht an jedem Donnerstag in der Fastenzeit der Frage nach, ob und warum sich Menschen noch in der Institution engagieren und nicht austreten.

Und weil sie Kirche positiv erfahren haben, als eine Gemeinschaft des Glaubens im Schatten des Kirchturms, sollen ihre zwei Kinder auch diese Erfahrungen machen. „Ich hatte eine schöne, geborgene Kindheit, orientiert an den Werten des Glaubens. Das wünsche ich mir auch für Frieda und Clemens“, sagt Julia. „In der Kirche zu bleiben heißt ja nicht, dass man jeden Sonntag zur Kirche rennen muss“, ergänzt Hendrik. „Aber wir wollen so gut wie möglich daran festhalten, den Kindern die christlichen Werte zu vermitteln.“ Daher war es den beiden auch wichtig, dass die Vierjährige in die katholische Kita geht. „Und wir haben den Kontakt zu unseren Heimatkirchen nie abreißen lassen“, erklärt Julia. So wurden die Kinder in Familienmessen in Hendriks alter Gemeinde spielerisch an den Ort und den Glauben herangeführt. Zumindest noch vor Corona. „Oder wir lesen zu Hause in der Kindebibel.“ Friedas Lieblingsgeschichte ist gerade die vom barmherzigen Samariter. 

Der Glaube als Begleiter, auf den man sich in Krisenzeiten verlassen kann

Als die Ur-Oma gestorben war, wurde Frieda ganz selbstverständlich mit zur Beerdigung genommen. „Der Glaube gibt in Zeiten der Krise Trost, Hoffnung und Halt“, gewährt Julia Einblick in ihren Glauben. Auch wenn das ist im Alltag nicht immer präsent sei, besinnt man sich in Krisensituationen wieder darauf. „Er ist da, schwingt im Leben mal bewusster oder mal unbewusster mit. Ein Begleiter, auf den man sich in Krisenzeiten verlassen und rückbesinnen kann.“ Das sollen auch Frieda und Clemens erfahren. 

„Daher würden wir uns die Frage nach einem Austritt nie stellen“, betont Hendrik. „Auch, wenn wir von unserer Kirchensteuer schön in Urlaub fahren könnten“, ergänzt er schmunzelnd. Aber das Geld sei kein Argument. Damit geschehe ja auch viel Gutes. „Ich bin Mitglied in diesem Club und zahle auch den Mitgliedsbeitrag. Punkt“, kommt die Ruhrpott-Schnauze durch. „Aber warum muss ich für Dienstleistungen noch extra zahlen?“, empört er sich. Für zusätzliche Leistungen wie Hochzeiten und Beerdigungen. „Warum? Muss das sein?“ Das war für beide nicht nachvollziehbar. „Ich sage nur: Außenwirkung.“ 

Ein bewusstes Ja vor Gott

Die Namyslos hatten sich bewusst für die kirchliche Trauung entschieden. Ins Standesamt sind die beiden allein gegangen, „in Alltagsklamotten.“ Es war nur ein Verwaltungsakt. „Das mit dem Sakrament war schon anders. Wir haben in der Kirche ein bewusstes Ja vor Gott zueinander gesagt. Das war uns wichtig.“ Die innere Verbundenheit ist es, grundgelegt in der Kindheit, die die beiden an der Kirche festhalten lässt. 

Daher sind es auch nicht die großen Themen wie Missbrauchs, Sexualmoral und Rolle der Frau, die die zwei bewegen. Da sind sie sehr pragmatisch: „Wenn einer Scheiße baut, dann soll er dafür auch geradestehen“, fordert Hendrik. Es sind vielmehr die kleinen Dinge. Die immer größer werdenden pastoralen Räume sehen sie kritisch. Dass das Heimatgefühl und der persönliche Kontakt verloren geht. Das sind die Themen, die die Namyslos umtreiben. Und die wirklichen Herausforderungen der Kirche vor Ort.

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