Ein Corona-Denkort, der zum Rasten, Nachdenken und Bessermachen ermuntert
Denkort Corona als öffentliches Kunstwerk zur Erinnerung und Reflexion der Pandemie
„Gemeinschaftstrage“ als künstlerische Bronzebank
„St. Josef Trail“ verbindet historische und neue Gedenkstätten in Essen
Für ein reines Kunstwerk ist diese Bank ziemlich praktisch. Aber um als gemütliche Sitzgelegenheit durchzugehen, fehlt ihr dann doch die Lehne – und so direkt an der Frintroper Straße vielleicht auch die ruhige Umgebung. Diese Metallkonstruktion auf der grünen Wiese irritiert und lädt ein nachzudenken, so wie es sich wohl gehört für einen „Denkort“. „Denkort Corona“ haben die örtliche Pfarrei St. Josef und die sie unterstützende „Stiftung St. Josef Frintrop“ das Bronzeobjekt getauft. Komplett aus Metall geformt sieht es aus wie eine überdimensionierte Trage oder Bahre, auf der zwei große Erwachsene liegend bequem Platz fänden – oder sitzend eine halbe Schulklasse.
„Gemeinschaftstrage“ nennt der Berliner Künstler Peter Sandhaus sein Werk, das er bereits 2022 beim Wettbewerb „ars LITURGICA“ eingereicht hatte. Dieser seit dem Essener Kulturhauptstadtjahr 2010 bereits fünfmal ausgeschriebene Wettbewerb hatte vor allem Kunst für den Kirchenraum im Blick – bis in St. Josef die Idee für den öffentlichen Erinnerungsort an die Pandemie entstand. „Wir haben ein Pestkreuz“, verweist der Stiftungs-Vorsitzende Arnd Brechmann auf einen anderen Gedenkort in der Pfarrei, „das haben die Menschen 1648 aufgestellt als die Pest, der Dreißigjährige Krieg und die Hungersnot vorbei waren.“ Die Menschen hätten damals wohl gesagt: „Danke, lieber Gott, dass du uns verschont hast – aber bitte, bitte gib, dass uns solch ein Leid nicht noch einmal ereilt“, vermutet Brechmann. „Da kam uns die Idee, dass wir so etwas doch heute wieder bräuchten“, beschreibt er die Idee des Corona-Denkorts: einen Ort, um die Erinnerung an die Pandemie wach zu halten. Dies gelte umso mehr „da wir von der größten Pandemie, der Spanischen Grippe 1918, überhaupt nichts haben, was an sie erinnert“, ergänzt Herbert Fendrich. Der frühere Beauftragte für Kirche und Kunst im Bistum Essen wohnt in St. Josef und engagiert sich ebenfalls in der Stiftung.
Denkort liegt am „St. Josef Trail“, der auch während der Pandemie entstanden ist
Peter Sandhaus‘ zweites Werk für St. Josef
Der Berliner Künstler Peter Sandhaus ist in Essen und insbesondere in St. Josef kein Unbekannter: Vor der Jury-Entscheidung für sein aktuelles Werk „Gemeinschaftsbank“ hat er bereits 2017 mit einem Beitrag den „ars LITURGICA“-Wettbewerb gewonnen. Und dies, obwohl alle Wettbewerbsbeiträge streng anonym behandelt und die Schöpfer der einzelnen Beiträge der Jury erst nach ihrer Entscheidung mitgeteilt werden. 2017 hatte Sandhaus ein Vortragekreuz gestaltet, das seitdem in feierlichen Gottesdiensten der Pfarrei verwendet wird.
Da fügte es sich gut, dass just an der Frintroper Straße noch ein Stück Wiese frei war, um dort den Corona-Denkort einzurichten. Dort führt der 17 Kilometer lange Wanderweg „St Josef Trail“ entlang. Der greift die jahrhundertealte Tradition des Pilgerns in der Pfarrei auf und ist auch eine Idee aus der Corona-Zeit: Als Spazierengehen gezwungenermaßen zum Volkssport wurde, hat Brechmann auf einer Karte bestehende Wege zu einem Rundweg um die Pfarrei verknüpft und so viele für den Stadtteil wichtige Punkte miteinander verbunden. Heute sind mit dem Weg nun auch das 350 Jahre alte Pestkreuz und der erst wenige Wochen alte Denkort Corona verbunden.
Der Ort lädt aber auch für sich genommen zum Nachdenken über die Corona-Pandemie ein: Gleich nebenan steht mit dem Bertha-Krupp-Haus ein Altenheim, schräg dahinter der katholische Kindergarten St. Franziskus, daneben der Kirchturm von St. Franziskus und rechts im Hintergrund eine Grundschule – alles Einrichtungen, die in den Corona-Lockdowns ihre ganz eigenen, zum Teil tragischen Erfahrungen gemacht haben. Heute scheint man sich weitgehend einig zu sein: Dass alte Menschen nicht besucht werden dürfen oder Kinder über Wochen nicht in die Schulen gehen, das soll es nicht mehr geben.
Vielleicht kann der Denkort die Aufarbeitung anregen
Ausstellung zum „ars LITURGICA“-Wettbewerb
Die Initiative „ars LITURGICA“ verfolgt das Ziel, zeitgenössische Gestaltungsformen von Sakralobjekten zu fördern. Hierzu lädt sie seit 2010 immer wieder zu Wettbewerben ein. Themen der bisherigen Wettbewerbe waren unter anderem ein Fastentuch für die Heilig-Kreuz-Kirche in Gladbeck, das Vortragekreuz für die Essener Pfarrei St. Josef Frintrop und eine Weihnachtskrippe für die Gelsenkirchener Propsteikirche St. Augustinus. Ab dem 23. August werden einige der rund 60 eingesandten Exemplare zur Wettbewerbs-Aufgabe Corona-Denkort einige Wochen lang unmittelbar neben dem neuen Denkort in der Essener St.-Franziskus-Kirche gezeigt, bevor die Ausstellung anschließend auch in anderen Städten gezeigt wird.
Bestenfalls kann die Bronze-Bank im Grünen so über die eigenen Corona-Erinnerungen hinaus – zum Beispiel an abgesperrte Parkbänke – vielleicht auch zu dem anregen, was gesellschaftlich immer stärker gefordert wird: Einer echten Aufarbeitung der Pandemie-Zeit. Sabine Lethen, Gemeindereferentin und Pfarrbeauftragte der Pfarrei St. Josef, hofft darauf – und ist doch realistisch: „Jetzt Lehren aus dieser Zeit zu ziehen, da sind wir wohl nicht so gut drin.“ „Verdrängen ist viel einfacher“, ergänzt Fendrich, während Brechmann optimistisch ist: „Die Aufarbeitung startet jetzt.“ Mit Blick auf die Kirche gebe es neben gesunkenen Zahlen bei den Gästen im Gottesdienst auch Mut machende Erkenntnisse nach der Corona-Zeit: „Die Gruppen, die vor der Pandemie stark waren, die sind auch gemeinsam stark da durchgegangen und heute immer noch stark“, sagt Fendrich und verweist insbesondere auf die Jugendgruppen der Pfarrei. Die hätten in den Lockdowns den digitalen Kontakt gehalten und danach die Gruppenarbeit wieder aufgenommen. Und bei den Kinderchören gebe es aktuell sogar einen deutlichen Zuwachs, ergänzt Lethen.
Es wird also viel zu besprechen geben, wenn sich die Menschen an der Grenze zwischen den Essener Stadtteilen Borbeck und Bedingrade nun bei wärmer werdenden Temperaturen vielleicht des Öfteren auf der „Gemeinschaftstrage“ an der Frintroper Straße – etwa in Höhe der Hausnummer 170 – niederlassen. Sei es spontan bei einem Spaziergang, einer Wanderung auf dem „St. Josef Trail“ oder bei einem der Gottesdienste und Prozessionen, die die Pfarrei St. Josef künftig am Denkort Corona anbieten möchte.