von Thomas Rünker

„Den Betroffenen Schuld- und Schamgefühle nehmen“

Seit Anfang des Jahres sind Mechtild Hohage und Anke Kipker die neuen unabhängigen Ansprechpersonen für Betroffene von sexueller Gewalt im Bistum Essen. Durch die neuen Regeln für erhöhte Anerkennungszahlungen stehen sie mit vielen Betroffenen in Kontakt. Außerdem haben sich durch die öffentliche Diskussion über Missbrauchsfälle zuletzt weitere Betroffene gemeldet.

Sie engagieren sich in den ungewöhnlichsten und wohl auch fordernsten Ehrenämtern, die die katholische Kirche im Bistum Essen zu bieten hat – und doch sprechen Mechtild Hohage und Anke Kipker von „sehr erfüllenden Aufgaben“: Seit Januar sind die beiden Frauen aus Gelsenkirchen und Gladbeck die neuen unabhängigen Ansprechpersonen für Betroffene von sexueller Gewalt im Ruhrbistum. Bewusst nicht bei der katholischen Kirche angestellt – aber bei Bedarf bestens in deren Hilfe-Netzwerk eingebunden – hören sie Menschen zu, die ihre Gewalterfahrung in und mit der Kirche erzählen möchten, und vermitteln konkrete Unterstützung, wenn die Betroffenen dies wünschen.

Gesprächsbedarf gibt es auch mehr als elf Jahre nach den ersten großen Berichten über den jahrzehntelangen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche mehr als genug, haben Hohage und Kipker bereits in den ersten Monaten in ihrem neuen Amt erfahren: „Gerade die intensive Berichterstattung und die Diskussionen über die Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln haben dazu geführt, dass sich auch bei uns Betroffene gemeldet haben, die ihre Leidensgeschichten bislang noch niemandem erzählt haben“, berichtet Kipker. 

Lehrerin mit Coaching-Ausbildung

Anke Kipker kann zuhören. Sie ist Lehrerin und war an einer Bottroper Realschule nicht nur für Biologie und Chemie zuständig, sondern als Vertrauenslehrerin auch Ansprechpartnerin für viele kleine und manchmal auch sehr große Sorgen der Schülerinnen und Schüler. Heute bildet sie in einem Seminar künftige Lehrerinnen und Lehrer aus. „In diesem Rahmen habe ich auch eine Coaching-Ausbildung erhalten“, erläutert die Pädagogin, die in der Gladbecker St. Marien-Gemeinde lange als ehrenamtliche Kommunion- und Firmkatechetin tätig war. Über einen persönlichen Kontakt zur Präventionsbeauftragten des Bistums, Dorothé Möllenberg, entstand dann die Idee, sich in der Kirche für die Opfer sexualisierter Gewalt zu engagieren und eine der Nachfolgerinnen für die beiden bisherigen Ansprechpersonen Angelika von Schenk-Wilms und Karl Sarholz zu werden.

Wertvolle Arbeit von Angelika von Schenk-Wilms und Karl Sarholz

„Nach sechs Jahren unglaublich wertvoller Arbeit mit den Betroffenen und im weiteren Aufbau unserer Strukturen haben wir Anfang des Jahres Angelika von Schenk-Willms und Karl Sarholz in den verdienten Ehrenamts-Ruhestand verabschiedet“, sagt Möllenberg. „Beide waren in den vergangenen Jahren für viele Betroffene in unserem Bistum wichtige Gesprächspartner und Verbündete auf ihren sehr individuellen und oft schwierigen Wegen, einen Zugang zu dem meist vor vielen Jahren erlittenen Leid zu finden.“ Zugleich hätten von Schenk-Wilms und Sarholz mit ihrer Arbeit wichtige Impulse für die Präventions- und Interventionsarbeit im Ruhrbistum gegeben, die nun vom Interventionsbeauftragten Simon Friede und ihr als Präventionsbeauftragte umgesetzt würden, so Möllenberg.

Neben Anke Kipker ist Mechtild Hohage die zweite neue Ansprechperson. „Sie ist der Profi von uns beiden“, betont Kipker und verweist darauf, dass ihre Kollegin bis zum Wechsel in den Ruhestand vor zwei Jahren über vier Jahrzehnte in der Erziehungsberatung der Gelsenkirchener Caritas tätig war. Nach einer Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin „habe ich mich ab 1990 auch mit dem Bereich sexueller Missbrauch beschäftigt“, berichtet Hohage. „2013 haben wir dann mit ,Weg im Blick‘ die erste offizielle Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt in Gelsenkirchen gegründet.“ Neben Fällen mit einem familiären Hintergrund oder aus Sportvereinen habe sie bei der Caritas auch mit Missbrauchsfällen im kirchlichen Umfeld zu tun gehabt.

Ansprechperson, nicht Therapeutin

Auch wenn Mechtild Hohage betont, nun als Ansprechperson tätig zu sein – und nicht als Therapeutin – bringt sie das jahrzehntelange Know-how und ein besonderes Einfühlungsvermögen bei diesem Thema in jedes Gespräch mit ein. Zugleich ist sie froh, mit Anke Kipker eine ebenfalls versierte Kollegin an ihrer Seite zu haben. „Wir machen alle Gespräche zu zweit“, hebt Hohage hervor.

Diese Gespräche bieten sie an, wenn sich Betroffene zum Beispiel über die online veröffentlichten Handynummern oder E-Mail-Adressen bei ihnen melden. Wichtig ist Kipker und Hohage dann der Grundsatz, „dass immer das Wohl der Betroffenen im Vordergrund steht“. Die Betroffenen bestimmen, was sie erzählen – und wie es dann weitergeht. So sei es auch schon vorgekommen, dass Betroffene trotz des Verdachts auf eine Straftat die vom Bistum dann grundsätzlich vorgesehene Einschaltung der Staatsanwaltschaft abgelehnt hätten, berichtet Hohage. „Das müssen wir dann respektieren.“

Höhere Zahlungen zur Anerkennung des Leids

Die meisten Gespräche der vergangenen Monate haben die beiden neuen Ansprechpersonen mit Betroffenen geführt, die zum Teil schon seit langem mit dem Bistum in Kontakt sind. Im vergangenen Jahr haben die deutschen Bischöfe ein neues Verfahren zur Anerkennung des Leids für Betroffene sexuellen Missbrauchs beschlossen, das unter anderem deutlich höhere Anerkennungszahlungen umfasst. Daraufhin hat das Bistum die rund 100 Betroffenen angeschrieben, die bereits in der Vergangenheit einen Antrag auf eine Zahlung gestellt hatten, und auf die Möglichkeit hingewiesen, nun einen neuen Antrag stellen zu können. „Rund 75 Betroffene haben sich bereits zurückgemeldet“, sagt Hohage. Bei einigen gehe es dabei nur um einen Verwaltungsakt, „erstaunlich viele haben aber bei dieser Gelegenheit auch noch einmal um ein Gespräch gebeten“.

Betroffene fühlen sich nach Gesprächen befreit

Angesichts ihrer Erfahrung verwundert Hohage das nicht: „Menschen, die missbraucht wurden, sind tief verletzt. Viele von ihnen haben heute einen sehr großen Gesprächsbedarf.“ Zudem seien „manche sehr dankbar, ihre Erlebnisse noch einmal jemandem erzählen zu können, der nicht direkt ein Kirchen-Mitarbeiter ist“, hat Kipker festgestellt. In den Gesprächen gehe es vor allem darum „den Betroffenen Schuld und Scham zu nehmen“, erklärt Hohage. „Wir machen immer wieder deutlich: ,Sie haben keine Schuld, sie waren ein Kind – die Verantwortung liegt immer beim Täter!‘“ Oft machten Kipker und sie die Erfahrung, „dass das Menschen sehr befreit“, so Hohage. „Sie sagen ,Jetzt habe ich das 40, 50 Jahre lang mit mir herum getragen‘ und können dann ein Stück weit damit abschließen.“

Präventionsbeauftragte

Dorothé Möllenberg

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Interventionsbeauftragter

Simon Friede

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Pressestelle Bistum Essen

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