von Cordula Spangenberg

Wirtschaftsweiser Prof. Martin Werding empfiehlt einen „grünen Kapitalismus“ mit intakter Kindergrundsicherung

300 Gäste aus Kirche und Gesellschaft, Politik und Gesundheitswesen, Wirtschaft und Wissenschaft trafen sich zum Sommerempfang 2023 in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“. Schwerpunktthema der Begegnung: Wirtschaftliche und soziale Perspektiven für Deutschland und Europa.

Die sozial-ökologische Transformation von Staat und Gesellschaft kommt nicht voran und steuert einer Zerreißprobe entgegen. Ein „grüner Kapitalismus“ könne die Lösung bringen, davon ist Prof. Martin Werding, Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen, überzeugt. „Eine CO2-Bepreisung wäre das Mittel der Wahl. Der Staat ist aber zögerlich, Kompromisse sind nicht in Sicht. So kommen wir nicht weiter“, sagte der Bochumer Professor für Wirtschaftswissenschaften beim Sommerempfang des Bischofs von Essen am Montagabend, 5. Juni 2023, in der Bischofsakademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr.

Im Gespräch mit Bischof Franz-Josef Overbeck und Akademiedirektorin Judith Wolf erklärte Werding seine These vor 300 geladenen Gästen aus Kirche und Gesellschaft, Politik und Gesundheitswesen, Wirtschaft und Wissenschaft: Eine CO2-Bepreisung sorge dafür, dass jeder über die Kosten des eigenen Energiekonsums selbst entscheiden könne. Übermäßig belastete Geringverdienende erhielten in diesem Konstrukt Hilfen. „Wir werden allerdings nicht überall Gelder einsetzen können“, so Werding, „deshalb muss die Kindergrundsicherung höchste Priorität haben.“

Fehlende Digitalisierung der Verwaltungen verfestigt Armut

Um Kinder und ihre Familien gezielt aus der Armut zu holen, fehlten allerdings hierzulande digitale Instrumente vor allem in der föderalen Verwaltung, deren schleppend voranschreitende Weiterentwicklung Zeit und Geld koste. Ein Beispiel: Die Daten von Menschen, die Bürger- oder Wohngeld beziehen, seien erfasst; ebenso tauchten die Daten der Steuerpflichtigen im System auf. „Zwischen diesen Gruppen klafft eine riesige Lücke von Menschen an der Armutsgrenze, die wir nur schwer identifizieren können“, so Werding.

Start Ups im Ruhrgebiet brauchen schnellere Zulassungen

Eine bessere Digitalität werde auch dem Arbeitsmarkt zugute kommen. Gefährdet sieht Werding ihn nicht – wenn Roboter und digitale Tools Arbeitsplätze vernichteten, entständen anderswo eben neue Möglichkeiten. Damit sich auf den Industriebrachen des Ruhrgebietes neue Start Ups, Produktionsunternehmen und ein stabiler Wissenschaftsstandort entwickeln können, seien aber deutlich schnellere Entscheidungen und Zulassungen nötig, „damit die Leute zwischendrin nicht entnervt abdrehen“, sagte der Wirtschaftsprofessor.

Dass eine Transformation nur gelingen kann, wenn man alle Gerechtigkeitsfragen berücksichtigt und die Verlierer des aktuellen Systems mitnimmt, darüber waren der Wirtschaftsweise Werding und Bischof Overbeck sich einig. „Menschen müssen das, was sie zum Leben brauchen, selbst erarbeiten können. Darüber hinaus müssen wir Westeuropäer künftig mit einem schmaleren Lebensstil auskommen“, sagte Overbeck mit Blick auf zwei Gäste der Veranstaltung aus dem afrikanischen Ghana.

Overbeck: Den Rechtsstaat verteidigen

Angesichts des Zusammenprallens von Autonomie und Autokratie im Ukraine-Krieg nutzte Overbeck das Zusammentreffen der Gäste aus dem gesamten Ruhrgebiet zu einem dringenden Appell, den Rechtsstaat zu verteidigen. Als deutscher Militärbischof hält Overbeck eine weitere Aufrüstung des Westens für notwendig. Zu groß sei die Gefahr, das Stärke über Recht herrschen könne: „Wir standen schon einmal in einer solchen Situation, als niemand gegen Hitler aufstand außer Churchill – künftig würden wir unsere Freiheit aufgeben und in einer Autokratie leben.“ Dagegen seien drei Errungenschaften einer freiheitlichen Gesellschaft zu setzen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft.

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