von Simon Wiggen, Jens Albers

Wie kann die Pfarreienlandschaft der Zukunft aussehen?

Einen Blick auf notwendige Veränderungen in der Pfarreienlandschaft in den Städten und Kreisen des Bistums Essen wirft Ressortleiter Markus Potthoff in diesem Interview. Dabei geht es um einen ersten Impuls für eine mögliche zukünftige Ausgestaltung der Pfarreien und der pastoralen Arbeit.

Die Umstrukturierung der Pfarreien sowie der Pfarreientwicklungsprozess haben in den vergangenen Jahren die Grundlagen für eine nötige Weiterentwicklung der Pfarreien im Bistum Essen gelegt. Angesichts der Veränderungen in Kirche und Gesellschaft und der zukünftigen Entwicklung der Finanz- und Personalressourcen der Diözese „müssen wir nun die nächsten Schritte der Veränderungen unserer Pfarreistruktur gemeinsam gehen, damit wir auch zukünftig für die Menschen in unserem Bistum eine lebendige Kirche sein können“, sagt der Ressortleiter Kirchenentwicklung im Bistum Essen, Markus Potthoff. In seinem Ressort wird die Frage der künftigen Ausgestaltung der Pfarreilandschaft im Bistum Essen federführend bearbeitet.

Nach ersten Gesprächen auf der Konferenz der Pfarrer und Pfarrbeauftragten wirft Potthoff im Interview einen Blick auf die notwendigen Veränderungen und spricht über erste Impulse für eine mögliche zukünftige Ausgestaltung der Pfarreien und der pastoralen Arbeit in den Städten und Kreisen des Bistums Essen.

Frage: Herr Potthoff, die Pfarreiprozesse in den vergangenen Jahren haben wichtige Grundlagen für eine nötige Weiterentwicklung der Pfarreilandschaft im Bistum Essen gelegt. Nun müssen wir gemeinsam die nächsten Schritte gehen. Worauf muss dabei jetzt besonders Wert gelegt werden?

Markus Potthoff: In der Tat, die Neuordnung der Pfarreien im Bistum Essen seit 2008 und der Pfarreientwicklungsprozess seit 2015 haben ein gutes Fundament gelegt, um in den kommenden Jahren nächste Schritte zu tun. Heute sehen wir, dass wir nicht stehen bleiben können, sondern dass wir angesichts der erkennbaren Entwicklungen in der Pastoral, im Leben der Pfarreien, im Bereich des hauptamtlichen Personals und hinsichtlich der Erwartungen der Menschen an die Kirche vor weiteren Entwicklungsschritten stehen. Damit diese gut vorbereitet werden, braucht es einen realistischen Blick auf die gegenwärtige Situation der Kirche in unserem Bistum. Wir stehen mitten in einem sehr fundamentalen Gestalt-und Kulturwandel. Ein „weiter so“ ist nicht möglich. Angesichts dieser Wahrnehmung braucht es vor allem, bevor weichenstellende Rahmenentscheidungen getroffen werden, eine umfassende Beteiligung und Beratung, um möglichst viele Perspektiven und Ideen für die Zukunft der Kirche zu aktivieren.

Frage: Wie könnte die Pfarreilandschaft im Bistum Essen mittel- bis langfristig aussehen?

Potthoff: Es ist wichtig zu erkennen, dass eine Pfarrei in unserem Bistum einen rechtlich und territorial bestimmten Ordnungsrahmen darstellt, in dem das kirchliche Leben an vielfältigen Orten stattfindet und in dem die nötigen Verwaltungsaufgaben organisiert sind. Die Grundstruktur der Kirche wird auch künftig weiterhin in Pfarreien bestehen. Unabhängig vom Zuschnitt und der Größe einer Pfarrei ist jedoch entscheidend, wie sich das kirchliche Leben innerhalb des Ordnungsrahmens der Pfarrei entfaltet. Strukturen haben eine rahmengebende Funktion, wichtig ist, dass und wie sie kirchliches Leben ermöglichen. Das ist heute und wird auch in Zukunft sehr vielfältig sein und unterschiedliche Orte, kirchliche Institutionen, Initiativen und Angebote umfassen. Die Struktur muss die gegebenen Möglichkeiten berücksichtigen und der Entwicklung einer zeitgerechten Pastoral dienen. Angesichts der Perspektiven, die wir bereits heute absehen können, erscheint es sinnvoll, eine weitere Zusammenführung der bestehenden 40 Pfarreien vorzuschlagen; dabei wird der Ordnungsrahmen Pfarrei neu zugeschnitten. Es bietet sich an, die kommunalen Bezüge als Orientierung zu wählen. So können für die Zielstruktur die bestehenden Stadt- und Kreisdekanate der Ordnungsrahmen sein – so der Vorschlag. Dann sprechen wir künftig zum Beispiel von der Katholischen Kirche in Oberhausen oder in Bochum. Eine solche Rahmensetzung hat Konsequenzen: Dies ist ein anspruchsvolles Modell für die pastoralen und zugleich für die administrativen Aufgaben. Vor und in der Umsetzung einer solchen Rahmenentscheidung ist noch viel konzeptionelle Arbeit und Beratung nötig. Ein solcher Schritt der Bildung von Pfarreien, die sich an den kommunalen Bezügen orientieren, hat eine andere Dimension als die bisherige Zusammenführung einzelner Pfarreien, wie diese zuletzt im Essener Norden mit der Gründung der Pfarrei Hll. Cosmas und Damian erfolgt ist. Die Bezüge müssen insgesamt neu justiert werden: pastoral, personell, administrativ.

Frage: In der Vergangenheit hat das Thema „Rückbau“ die Kirchenentwicklung sehr stark geprägt. Werden pastorale Mitarbeitende nicht auch zukünftig in Rückbau-Prozesse stark gebunden werden?

Potthoff: Das stimmt, der Rückbau war ein dominantes Thema. Der Pfarreientwicklungsprozess ist als ein kirchlicher und pastoraler Entwicklungsprozess konzipiert und durchgeführt worden. Hier ist in den Gremien und Steuerungsgruppen, den Pastoralteams und in vielen ehrenamtlichen Initiativen mit hohem Engagement und viel Kreativität Neues entstanden. Auf der anderen Seite ist der Pfarreientwicklungsprozess mit einem einschneidenden Rückbau verbunden. Viele Kirchengebäude sind - verbunden mit Protest und nachvollziehbarer Wut und Trauer - für eine kirchliche Nutzung aufgegeben worden und werden in den kommenden Jahren noch aufgegeben werden. Hier zeigt sich am deutlichsten, dass unsere Kirche kleiner wird. Ein flächendeckendes, von Hauptamtlichen verantwortetes Angebot wie in der Vergangenheit wird es nicht mehr geben. Die Dominanz der Abbauprozesse hat bis heute viel Kraft und Energie gekostet. Dieser Abbau wird auch weiterhin konsequent und zugleich mit Sorgfalt umgesetzt werden müssen.

Angesichts der zurückgehenden Zahl an pastoralen Mitarbeitenden, an Priestern und Diakonen, an Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten wird es jedoch darauf ankommen, auch diese Aufgabe noch einmal in den Blick zu nehmen und zu organisieren. Es ist sicherlich nicht zielführend, wenn zahlreiche pastorale Mitarbeitende in Abbauprozessen gebunden sind, während ihre Professionalität und ihr sinnstiftender Einsatz in den seelsorglichen Aufgaben benötigt wird. Beim Einsatz und bei der Entwicklung des Personals wird noch stärker darauf zu achten sein, welches Profil ein pastoraler Handlungsort hat und welche Kompetenzen darauf antworten.

Frage: Mit welcher Zahl an Menschen, die in der Pastoral tätig sein werden, ist denn für die Zukunft zu rechnen?

Potthoff: Der Rückgang wird in den kommenden Jahren wirklich dramatisch sein. Nach aktuellen Hochrechnungen gehen wir davon aus, dass im Jahr 2030 noch rund 70 Diözesanpriester in der Seelsorge in unserem Bistum tätig sein werden. 2040 sogar nur noch weniger als 30. Ähnliche Entwicklungen erwarten wir sowohl bei den Diakonen wie auch den Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und –referenten.

Frage: Kirchenentwicklung bedeutet nicht nur Strukturentwicklung. Wie wird sich die pastorale Arbeit verändern?

Potthoff: Strukturen müssen Ermöglichungsräume schaffen. Auch in Zukunft ist es entscheidend, dass es in der Kirche Anknüpfungs- und Kontaktpunkte gibt, in denen Menschen Zugehörigkeit erfahren und Engagement entwickeln können. Eine Struktur muss auch ermöglichen, dass es erreichbare Angebote für Liturgie, Sakramente, Katechese und Kasualien gibt. Dafür ist unter denen gegebenen Bedingungen Sorge zur tragen. Wichtig ist mir auch: Seit langem sprechen wir davon, dass das freiwillige Engagement der Motor für die Kirchenentwicklung ist. Das ist entscheidend und verändert – wie wir wissen - das Zusammenwirken und die Rollen von Haupt- und Ehrenamt. Angesichts der Veränderung des traditionellen Ehrenamts und der heutigen Erwartungen an ein freiwilliges Engagement wird es darauf ankommen, im Netzwerk kirchlicher Orte - dazu gehören neben den Pfarreien u.a. Kitas, Caritaseinrichtungen, Bildungseinrichtungen und weitere Kulturorte - attraktive Formen des Engagements zu entwickeln. Wir wollen das von unserer Seite aus durch die Qualifizierung und Förderung von Ehrenamtlichen unterstützen. Allerdings wird dazu angesichts der personellen Möglichkeiten auch eine entschiedene Konzentration notwendig sein. Mit Blick auf die Pfarreien wird es unterschiedlich geprägte Kirchorte geben, auch einige profilierte Orte, die sich durch besondere Schwerpunkte auszeichnen. Die pastorale Arbeit wird in diesen Bezügen noch einmal neue Formen annehmen; das kann nicht vom grünen Tisch aus konzipiert werden. Sehr wichtig erscheint mir, was Prof. Hans-Joachim Sander beim diesjährigen Tag der pastoralen Dienste als Impuls formuliert hat: Pastoral braucht eine Ausrichtung am „Außen“ heutiger gesellschaftlicher Realitäten. Wenn uns in der Kirche dieses Außen nicht interessiert, dann wird sich nichts verändern. Jede Organisations- und Strukturentwicklung ist obsolet, wenn es nicht gelingt, dass wir uns orientiert am Evangelium noch viel radikaler auf die heutigen heterogenen Lebenslagen und - formen und die Spiritualitäts- und Sinnsuche der Menschen beziehen. Tun wir dies, wird sich in der Kirche noch vieles sehr grundsätzlich verändern, ja verändern müssen.

Frage: Welche Auswirkungen hätten diese Veränderungen für die Verwaltungen vor Ort?

Potthoff: Auch im Bereich der Pfarrei-Verwaltungen hat die Neuordnung der Pfarreien bis 2008 eine gute Grundlage für eine Weiterentwicklung gelegt. Die pfarrliche Verwaltung hat sich unter dem Anspruch entwickelt, das kirchliche Leben professionell zu unterstützen. Dies ist in vielerlei Hinsicht gelungen und hat zu einer Professionalisierung der Aufgabenwahrnehmung geführt. Angesichts des sich in den letzten Jahren entwickelnden Aufgabenprofils der Verwaltungsleitungen und der zusätzlichen Anforderungen (u.a. Standortentwicklungen, Steuern, Datenschutz, Arbeitsschutz etc.), erscheint es sinnvoll zu prüfen, wie die Aufgaben auf der Ebene der pfarrlichen Verwaltungen weiter entwickelt werden können. Auch hier gilt es, zukünftig die administrativen Aufgaben auf die Arbeitsfelder zu konzentrieren, die den Kern unseres pastoralen Wirkens in den Pfarreien unterstützen. Diese Konzentration auf das Wesentliche bedeutet zugleich eine Reduktion von Aufgaben der pfarrlichen Verwaltung.

Eine weiterentwickelte Verwaltungsstruktur wird zu einer Veränderung der Aufgabenprofile und Arbeitskontexte führen – professionelle Mitarbeitende mit einem tiefen Verständnis der katholischen Kirche vor Ort werden dabei auch weiterhin eine entscheidende Rolle in der Seelsorge und der Verwaltung spielen.

Frage: Auf der Konferenz der Pfarrer und Pfarrbeauftragten haben Sie diese Eckpunkte als Beratungsvorlage vorgestellt. Wie war die erste Resonanz?

Potthoff: Es gab in der Konferenz eine konzentrierte Aufmerksamkeit und eine hohe Zustimmung zu der Situationsanalyse. Dass wir vor weiteren Veränderungen stehen, um dem Auftrag der Kirche auch in Zukunft gerecht zu werden, steht den Pfarrern und Pfarrbeauftragten nach meiner Einschätzung klar vor Augen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass die dargelegten Eckpunkte zu unterschiedlichen Resonanzen geführt haben. So gab es zum Teil grundsätzliche Kritik, aber auch wichtige Hinweise für die Weiterarbeit. Die Konferenz der Pfarrer und Pfarrbeauftragten wird auf dem Weg der Beratung weiter beteiligt sein. Angesichts der Mühe und der Konflikte der letzten Jahre bestehen bei den Pfarrern und Pfarrbeauftragten auch Sorgen angesichts der kirchlichen Umbruchsituation. Insofern wurde auch die Hoffnung laut, dass die Aussicht auf die Kirchenentwicklung in unserem Bistum nicht nur Energie kosten, sondern auch neue freisetzen wird.

Frage: Wie geht es mit dieser Beratungsvorlage nun weiter?

Potthoff: Nach der Vorstellung in der Konferenz der Pfarrer- und Pfarrbeauftragten wird die Beratungsvorlage im Laufe Jahres weiteren Gremien und Konferenzen vorgestellt, um kritisch-konstruktive Hinweise einzuholen und in der konzeptionellen Weiterarbeit zu berücksichtigen. Diese Beratung ist von großer Bedeutung, weil sie unterschiedliche Perspektiven einholt und zusammenführt. Der weitere Weg, der sich für die Kirche und unser Bistum abzeichnet, braucht Zustimmung und engagierte Mitwirkung. Kirchenentwicklung ist nur möglich auf der Grundlage gemeinsamer Beratung und einer breiten Basis der Zustimmung und aktiven Mitwirkung.

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