von Thomas Rünker

Seelsorgende diskutieren die „überflüssige Kirche”

Beim Tag der Pastoralen Dienste nahmen am Dienstag rund 300 Seelsorgende des Bistums Essen die Auswirkungen des Missbrauchsskandals und Konsequenzen aus der im Februar vorgestellte Aufarbeitungsstudie in den Blick.

Die Auswirkungen des Missbrauchsskandals standen am Dienstag, 2. Mai, im Fokus des Tags der Pastoralen Dienste im Bistum Essen. Knapp drei Monate nach der Vorstellung der Aufarbeitungsstudie zur sexualisierten Gewalt im Ruhrbistum diskutierten rund 300 Seelsorgerinnen und Seelsorger über die Auswirkungen auf ihre Arbeit in Pfarreien und Einrichtungen sowie über Konsequenzen aus der Studie und dem Missbrauchsskandal insgesamt.

„Eine Kirche, die mit ihren Strukturen und Vorschriften diese Verbrechen ermöglicht hat, muss sich verändern und darf keine Zukunft haben“, betonte Bischof Franz-Josef Overbeck gleich zu Beginn des Tages, der nach zwei coronabedingt digitalen Veranstaltungen die pastoralen Berufsgruppen des Bistums nun wieder im gewohnten Präsenzformat in Essen zusammenbringen konnte. Noch deutlicher als Overbeck wurde der Salzburger Theologie-Professor Hans-Joachim Sander, der die Kirche in seinem Gast-Vortrag „überflüssig“ nannte – jedenfalls jene Kirche, „von deren innerstem Seelsorgepersonal her sexuell missbraucht wird, deren bischöfliches Führungspersonal das vertuscht und deren zentrales Leitungspersonal in Rom systemische Innovation verschleppt“.

Je überflüssiger aus Sicht vieler Menschen die Kirche als Institution werde, desto wichtiger werde indes die Arbeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort, so Sander. Sie werde jedoch keineswegs einfacher: „Sie werden wahrscheinlich in Ihrem ganzen Berufsleben nicht mehr aus dem Zwiespalt herauskommen, dass Sie vor Ort glaubwürdig arbeiten, aber Ihre Kirche nicht mehr aus der Unglaubwürdigkeit herauskommt“, betonte der Theologe. Die Kirche müsse sich selbst relativieren, um ihre Botschaft nach vorn zu bringen: „Nur wer sich für verzichtbar hält, kann dem Evangelium Raum geben.“ Es könne nicht darum gehen, die Kirche zu retten, sondern ihre Botschaft zu den Menschen zu bringen. Hierbei seien die Seelsorgenden die Nahtstelle zwischen „dem Außen und dem Innen“ der Kirche – wobei gerade die Anfragen von außen die Kirchenentwicklung vorantrieben.

Heilsame Außenperspektive für die Kirche

Wie heilsam die Außenperspektive für das Bistum Essen ist, betonte Generalvikar Klaus Pfeffer im Kontext der Aufarbeitungsstudie. Gerade der intensive Kontakt zu Betroffenen von sexualisierter Gewalt, auch zuletzt bei mehreren Veranstaltungen zur Vorstellung der Studie, sei sehr wertvoll. Pfeffer berichtete vom offenen und intensiven Austausch über die bedrückenden und aufwühlenden Ergebnisse, der seit der Vorstellung der Aufarbeitungsstudie Mitte Februar auf verschiedenen Ebenen im Bistum Essen laufe. Parallel zu den verschiedensten Gesprächs-Formaten setze sich im Generalvikariat eine eigene Arbeitsgruppe mit den rund 90 Empfehlungen auseinander, die das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) dem Bistum in der Aufarbeitungsstudie mitgegeben hat. „Diese Gruppe fasst die Empfehlungen zu bestimmten Themen zusammen und fragt Expertinnen und Experten an, um daraus konkrete Vorschläge zu entwickeln.“ Im Herbst solle dann Klarheit darüber bestehen, welche Vorschläge in welcher Reihenfolge umgesetzt werden können.

Neben den Präsentationen und Diskussionen auf dem Podium gab es auch Raum für den kollegialen Austausch beim Tag der Pastoralen Dienste. „In meiner Pfarrei werde ich auf den Missbrauchsskandal und die Aufarbeitungsstudie bislang noch nicht so häufig angesprochen“, sagte die Gemeindereferentin und Pfarrbeauftragte der Essener Pfarrei Hll. Cosmas und Damian in einer Pause. „Ich merke, dass wir Seelsorgerinnen und Seelsorger dies noch viel stärker von uns aus zum Thema machen müssen.“ Der Bochumer Diakon Winfried Rottenecker aus der Propsteipfarrei St. Peter und Paul betonte: „Bei der Darstellung der Ergebnisse der IPP-Studie bin ich bei der Aussage hängen geblieben, dass eine abgeschottete Gemeinde, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, Missbrauch sogar fördert und zur Vertuschung von Missbrauch neigt. Als Diakon werde ich mich dafür einsetzen, unsere Gemeinde so offen und einladend wie möglich zu gestalten.“ Der Priester Stefan Wiesel ist „manchmal überrascht, wie viele Menschen sich trotz des Missbrauchsskandals und der Ergebnisse der Aufarbeitungsstudie noch an mich wenden.“ Auch vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei der Hochschulseelsorge „CampusSegen“ vermutet er: „Dieses Vertrauen kann gelingen, weil sich die Menschen an einzelne Seelsorgerinnen und Seelsorger wenden – und nicht an ,die Kirche‘.“ Und Sabrina Kuhlmann, Pastoralreferentin in der Oberhausener Pfarrei St. Pankratius berichtet: „In meiner Arbeit spielen sowohl die Prävention sexualisierter Gewalt als auch die Weiterentwicklung unserer Kirche eine Rolle.“ Mit Blick auf Sanders Rede von der „überflüssigen Kirche“ ist ihr wichtig: „Wenn wir als Kirche nicht völlig irrelevant werden möchten, müssen wir uns mit dieser Kirchenentwicklung beeilen. Dabei müssen wir die Außenperspektive einnehmen und vor allem die Gläubigen ernst nehmen.“ Sie wünscht sich, „dass sich die Kirche dabei stärker als Begleiterin, Beraterin und echte Seelsorgerin sieht.“

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