von Cordula Spangenberg

Ruhrbischof besucht Altena, Werdohl und Plettenberg

Bischof Overbeck vor Ort: Welche Hilfen werden benötigt? Existentielle Nöte, aber auch beeindruckender Zusammenhalt im Märkischen Sauerland.

Altena, Tag neun nach der Flutkatastrophe. Die Menschen haben sich rangehalten in den vergangenen Tagen. Es ist erstaunlich aufgeräumt, überall an den Straßen und vor den Häusern sind Sperrmüll und Abfallsäcke zur Abholung aufgeschichtet. An vielen Hauswänden sieht man auf gut einem Meter Höhe, wo das Wasser stand, viele Wohnungen sind komplett leer geräumt, Fabriken lahm gelegt. Im Internet gibt es beängstigende Bilder von der Sturzflut der Lenne und den Bächen, die ihr Wasser in die Lenne speisen.

Nachdem die Katastrophenhelfer der ersten Stunden im Einsatz waren, hat Bischof Franz-Josef Overbeck sich am Freitag, 23. Juli, vor Ort einen Eindruck darüber verschafft, welche Hilfen im Märkischen Sauerland benötigt werden: für das wirtschaftliche Überleben, aber auch für all die seelischen Belastungen, die das Unwetter mit seinen Folgen angerichtet hat.

Die Brachtenbecke verließ ihr harmloses kleines Bachbett

An dem kleinen Bach „Brachtenbecke“ hat man Plastikplanen zum Abdecken des wassergetränkten Abhangs bereitliegen und sorgt sich darüber, was die für Samstag vorhergesagten Unwetter anrichten werden. Am Mittwoch letzter Woche verließ die Brachtenbecke ihr harmloses kleines Bachbett und überschwemmte als reißender Fluss Keller und Erdgeschoss der Anliegerhäuser, während von der anderen Seite eine Gerölllawine die Grundstücke unter sich begrub.

Sich in der Stadt zu bewegen, war an diesem Tag und der folgenden Nacht lebensgefährlich. Offene Kanaldeckel waren im Strom auf den Straßen nicht zu erkennen. Gas-Tanks schossen mit dem Wasser die Straßen herunter. Asphaltplatten wurden weggerissen. Chemikalien mischten sich mit der stinkenden, schlammigen Brühe. Überall klebt heute der verseuchte Schlamm: Muss nun der schmutzige Hausrat – Töpfe, Schüsseln, Teller – weggeworfen werden? Wer weiß schon, welche Substanzen sich im Schlamm befinden?

Die Firmen: „Ohne Strom kann man kein Geld verdienen“

Der Drahtzieherei Brüninghaus sieht man fast nicht mehr an, dass das Wasser hier durchs Tor hinein und hinten durch die Haustür wieder herausgeschossen ist. „Wir haben tolle Mitarbeiter, sonst sähe es hier noch nicht wieder so aus“, sagt Geschäftsführer Sascha Schmoll. Die Glühofen standen meterhoch unter Wasser, die gesamte Elektrik ist zerstört: „Ohne Strom kann man kein Geld verdienen.“ Fachfirmen und Handwerker sind natürlich komplett ausgebucht. Ein halbes Dutzend Elektriker habe sich Urlaub genommen, um ehrenamtlich erste Hilfe in dem Familienbetrieb zu leisten, erzählt Schmoll.

Die Feuerwehr: „Es tut so weh, mach es gut, mein Freund“

In Altena halten Overbeck und seine Begleitung zum Gebet an der Unglücksstelle, an der in der Katastrophennacht ein Feuerwehrmann ums Leben kam. Ein Sommerblumenkranz der Kameraden vom Löschzug Altena hängt am Tor, Grabkerzen stehen auf dem Mauersockel: „Es tut so weh, mach es gut, mein Freund“, steht auf einer. Später an diesem Tag wird der Bischof mit der Witwe des Ertrunkenen unter vier Augen sprechen – und mit den Kameraden des verstorbenen Feuerwehrmannes. „Wir halten hier zusammen“, sagt Timo Rode, oberster Feuerwehrmann der freiwilligen Löschgruppe in Rosmart. „Und wir sind froh, dass wir die Psychosoziale Unterstützung und die Feuerwehr-Seelsorge haben“, sagt er und blickt dabei in Richtung Ulrich Slatosch, der die Gruppe seit einer Woche intensiv betreut.

Bischof Overbeck beeindruckt, wie viel in der ersten Woche bereits wieder aufgeräumt wurde: „Das ist ein reifes Zeichen für eine Bürgergesellschaft, die weiß, was in der Not zu tun ist.“ Ihm ist aber auch klar: „Wir lernen: Das Leben ist sehr endlich. Wir werden uns von manchem verabschieden und uns neue Sicherheiten suchen müssen. Die große Solidarität und der Zusammenhalt, den ich hier erleben darf, gibt mir aber Hoffnung, dass wir die kommenden Herausforderungen gemeinsam angehen können.“

Enorme Spendenbereitschaft für Altena

Für Uwe Kober, Bürgermeister und langjähriger Feuerwehrmann, ist der Zusammenhalt in der Stadt das große Plus von Altena: „Wir kennen uns alle, deshalb konnten wir die Hilfen schnell organisieren.“ Kober berichtet, es gebe eine immense Spendenbereitschaft „von 100 selbstgemachten Teddybären bis zu Summen im sechsstelligen Bereich“. Kommune, Pfarrei St. Matthäus, Caritas, das Bistum und seine Pfarreien, Land NRW, Firmen, Rundfunksender: Überall werden Spenden gesammelt. Die Vergabe der Gelder läuft in Altena zentral über die Stadt.

Die Flutgeschädigten: „Ich habe 50 Jahre lang meine Probleme selbst gelöst“

Dass man plötzlich nicht mehr auf der sicheren Seite steht, sondern auf die Spenden der anderen angewiesen ist, erlebt im Moment sehr schmerzlich die Familie Grüber, deren Erdgeschoss komplett entkernt werden musste. „Ich habe 50 Jahre lang meine Probleme selbst gelöst. Jetzt Lebensmittelspenden aus der Sauerlandhalle abzuholen, um die 60 Euro im Supermarkt zu sparen, daran muss man sich erstmal gewöhnen“, sagt der Werkzeugmacher Thomas Grüber. Seine Frau Dimitra Grüber ist Sekretärin, beide hatten ihr Leben im Griff. An dem unseligen Flut-Tag ist Grüber vom Urlaubsort an der Ostsee überstürzt nach Hause gefahren, musste das Auto weit oberhalb der Stadt abstellen, zwei Stunden querfeldein durch den Wald laufen und schließlich die geflutete Hauptstraße in einer lebensgefährlichen Aktion überqueren, während unterdessen die 18-jährige Tochter im volllaufenden Haus verzweifelte, von der Feuerwehr aus dem Fenster gerettet und durch das Wasser an einen trockenen Ort getragen werden musste.

Die Familie lebt jetzt im oberen Geschoss. In der maroden Küche unten stehen provisorisch Herd und Geschirrspüler, im Wohnzimmer Campingtisch und Kühlschrank. Bis das Haus trocken ist und repariert werden kann, werden mindestens sechs Wochen vergehen. Wie teuer das wird? „Wir hatten gerade alles frisch renoviert, die neue Couch aufgestellt. Die Möbel standen noch im Karton im Haus, die können wir jetzt unausgepackt wegwerfen“, sagt Dimitra Grüber.

Das Haus der Grübers liegt hochwassersicher in der Innenstadt nahe der „Nette“, deshalb hatte das Ehepaar keine Elementarversicherung abgeschlossen. Jetzt lassen sie sich bei der Caritas darüber beraten, wie geholfen werden kann. Denn die Kredite für Renovierung und Möbel müssen ja trotzdem getilgt werden, auch wenn die neuen Tapeten abgezogen sind und die Grübers derzeit auf dem nackten Estrich sitzen. (cs)

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