von Cordula Spangenberg

Little-Home im Schatten des Kirchturms: René hat wieder ein Zuhause

Seit dem Corona-Gabenzaun im April 2020 hat ein engagiertes ökumenisches Team ein großes wöchentliches Hilfsangebot auf die Beine gestellt.

René hat wieder ein Zuhause, und zwar direkt neben der Kirche St. Johann Baptist am Karlsplatz in Altenessen. Der 53-Jährige sitzt auf einem zusammengeflickten Stuhl draußen vor der Tür, an der Hauswand im Topf duften Salbei und Rosmarin in der Frühlingssonne, links am Zaun steht gut angekettet sein kostbarster Besitz, ein Liegerad mit Lastenanhänger. Auf Ebay hat er es gebraucht gekauft, richtig teuer war das, dafür hat er sogar ein paar Tage Hunger in Kauf genommen. Die Reparaturen gingen nochmal ins Geld, aber René schraubt gern und hat ohnehin keine Mittel für Bus und Bahn. Deshalb war er mit dem Rad schon mal in neun Tagen bis München unterwegs und später zurück nach Essen. Geschlafen hat er draußen, das ist er gewohnt.

Renés Haus ist winzig-winzig-klein. Links von der Haustür füllt eine Liege die gesamte Fläche von Wand zu Wand aus, darunter ist Platz für ein paar Utensilien, rechts der Tür eine kleine Arbeitsfläche mit Gaskochplatte. Wasser und Toilette gibt es direkt nebenan im Gesundheitspark der Contilia, die ihr Grundstück für zwei dieser Little-Homes zur Verfügung stellt.

Die Minihäuser auf Rädern sind eine Idee des gemeinnützigen Vereins „Little Home“ aus Köln, der inzwischen weit über Köln hinaus 250 hölzerne Wohnboxen von 3,2 Quadratmetern Grundfläche an Obdachlose verschenkt hat, um die Menschen von der Straße zu holen und mit ihnen weitere Schritte in ein geregeltes Leben zu gehen. Der Standort zwischen St. Johann und der Contilia ist für René und seinen Nachbarn Benedikt gut gewählt: Mitten drin im Stadtteil, aber ein Stück weg von der Straße im grünen Teil des Karlsplatzes und eingebunden in die Angebote des Teams „Ökumenischer Gabenzaun Altenessen“ und der Kirchengemeinde St. Johann.

350 Menschen holen samstags in Altenessen Lebensmitteltüten ab

Der Gabenzaun entstand zu Beginn der ersten Corona-Welle im April 2020. Daraus ist inzwischen eine Lebensmittelausgabe gewachsen, die jeden Samstagvormittag bis zu 350 Menschen mit Essen und Hygieneartikeln versorgt. Neu auf dem Karlsplatz und im Vorraum der Kirche ist seit Januar 2023 das Begegnungscafé, das inzwischen an jedem Samstag zwischen 11 und 12.30 Uhr über 200 Gäste begrüßen kann. Jetzt im Frühling kann man endlich auch draußen vor der Kirche sitzen, was erste Kontakte wahrscheinlich erleichtert. Es gibt Suppe, Kaffee, einen Plausch und unkomplizierte Hilfe im Alltag, wenn man sie braucht: Wenn man mit einem Behörden-Formular nicht zurecht kommt, die Stromrechnung anzweifelt, seinen Fernseher nicht anschließen kann oder einen Hilfsjob bei „Kaufland“ braucht, vielleicht sogar einen Anwalt sucht, der pro bono arbeitet.

Wie kann ich helfen?

Informationen zu Geldspenden für die Lebensmittelausgabe finden sich hier.

Wer samstags am Karlsplatz mit anpacken will, nimmt Kontakt auf zu Pfarrer Ingo Mattauch: ingo.mattauch@bistum-essen.de

Pro Samstag sind rund 20 Ehrenamtliche im Einsatz an der Lebensmittel- und Kaffeeausgabe, für Gespräche und schnelles Anpacken. „Wir brauchen mehr Leute“, sagt Pfarrer Ingo Mattauch, der mit einem Leitungsteam die große Innenstadt-Pfarrei Hll. Cosmas und Damian managt und am Karlsplatz auf den Einsatz des bewährten ökumenischen „Gabenzaun“-Teams aus der Corona-Zeit setzen kann, das aus der spontanen Lebensmittelhilfe einen respektablen Großeinsatz in Sachen „Soziale Hilfe in Altenessen“ entwickelt hat. Die Kleiderkammer läuft noch nebenher, ab Mai wird jeweils am vierten Samstag des Monats zusätzlich Kinderkleidung ausgegeben.

Viel Frust und Enttäuschung im Leben auf der Straße

René ist am Samstag auch dabei. Statt zu reden, packt er lieber mit an, wenn Tische und Bänke auf- und abgebaut werden müssen. Damals vor der Wende ist er aus Hoyerswerda in Sachsen mit Reise-Visum in den Westen gekommen, seine Schwester, meint er, scheint noch in Cottbus zu leben. Er war lange auf der Straße, war Hausmeister, Umzugshelfer und inhaftiert, heute trinkt er nur noch selten Alkohol, die Sache mit den Drogen ist auch vorbei, Tabak weiterhin okay.

Autorenlesung

Ralph Kindel liest zugunsten der Hilfen rund um die Kirche Johann Baptist in Altenessen.

Heimat erwandern: Der ZollvereinSteig. Die grüne Erlebniswanderung im Essener Norden.

  • Donnerstag, 11. Mai 2023, 19.30 Uhr, St. Johann Baptist, Johanniskirchstraße 3, Altenessen
  • Freitag, 12. Mai 2023, 19.30 Uhr, St. Joseph, Distelbeckhof 166, Katernberg

Wenn René aus seinem Leben erzählt, fallen ziemlich häufig Wörter wie Ehrlichkeit und Enttäuschung. „Alleinsein ist am Anfang schwer“, sagt er. Dann gewöhnt man sich, und er kann auf jeden Fall gut mit anderen Wohnungslosen reden. Manchmal sei er etwas neidisch auf alte Ehepaare, aber eigentlich froh darüber, dass das Leben auf der Straße ihm Freiheit statt Regeln gibt. Als Dauer-Wohnsitz ist sein neues Mini-Haus eigentlich nicht vorgesehen. Renés Nachbar Benedikt hat sein Leben neu sortiert und zieht demnächst wieder aus. René will erstmal bleiben.

150mal Linsensuppe, acht Körbe Gebäck

An diesem Samstag werden im Vorraum von St. Johann 150 Portionen Linsensuppe und acht große Körbe Gebäck ausgegeben. Die Ehrenamtlichen haben zum Teil eine weite Anfahrt, manche kommen sogar aus Dorsten nach Altenessen, weil sie hier wirksam helfen können. Andere spenden Geld, denn für Suppe und Kaffee muss man natürlich vorher einkaufen gehen. Manche der Cafégäste gehen kurz in die Kirche, genießen die Ruhe, zünden vielleicht eine Kerze an. Andere wiederum versuchen der Totenstille und Einsamkeit zu Hause zu entkommen, setzen sich mit an den Tisch und bezahlen ihren Kaffee selbst. Mehr als 200 Menschen allein am Karlsplatz in Essen – Samstag für Samstag.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen