von Cordula Spangenberg

Polizeiseelsorge: Ethik und Konfliktbewältigung

Dicht dran an den Polizeikräften – innerbetriebliche Polizeiseelsorge begleitet den Arbeitsalltag, unterstützt die Krisenintervention und hat die Berufsethik im Blick.

Auf Streifenfahrt, bei Demonstrationen, Großereignissen, bei Einsätzen in einem gewalttätigen Umfeld auf der Straße oder im Internet: Die Polizeiseelsorge begleitet Bedienstete nach Belastungen, in akuten Notlagen und in ihrem ganz normalen Arbeitsalltag. Polizeiseelsorge als innerbetriebliche Seelsorge gibt es seit den 1920er Jahren. Vor 60 Jahren hat das Land Nordrhein-Westfalen mit fünf katholischen (Erz-)Bistümern und drei evangelischen Landeskirchen verbindliche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit getroffen. Seither sind in NRW 25 haupt- und viele nebenamtliche Personen in der Polizeiseelsorge für rund 50.000 Bedienstete und tariflich Beschäftigte da.

Polizeiseelsorge ist christlich-ökumenisch, die Kirchen tragen die Personalkosten, die Behörden die Sachkosten. Dass neben den christlichen Kirchen keine weiteren Religionsgemeinschaften an der Polizeiseelsorge beteiligt sind, liegt bislang noch unter anderem an deren fehlendem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Marcus Freitag ist Diözesanbeauftragter für die Polizeiseelsorge im Bistum Essen und seit 20 Jahren in dieser besonderen Form der Seelsorge tätig. Gemeinsam mit Pastoralreferent Martin Dautzenberg, Diakon Bernd Malecki und Gemeindereferentin Lydia Brös sind sie für die Präsidien und Kreispolizeibehörden im gesamten Ruhrbistum im Einsatz: In Essen/Mülheim, Oberhausen/Duisburg, Gelsenkirchen sowie Bochum und dem Ennepe-Ruhrkreis. Im Interview geben Marcus Freitag und Martin Dautzenberg einen Einblick in ihre Arbeit bei der Polizeiseelsorge: 

Welche Unterstützung bietet die Polizeiseelsorge Polizeianwärterinnen, –anwärtern und langjährig tätigen Beamten?

Freitag: Wir leisten innerbetriebliche Seelsorge – oft in einer sehr individuellen Form der Begleitung im Arbeitsalltag der Polizei. Dazu gehören auch Feiern, spirituelle Auszeiten und Gruppenarbeit zur Reflexion des eigenen Handelns im Arbeitsalltag. Eine zweite wichtige Aufgabe ist die Krisenintervention und Supervision nach belastenden Einsätzen. Außerdem sind wir – drittens – in die berufsethische Ausbildung der Nachwuchskräfte eng eingebunden.

Dautzenberg: Vom berufsethischen Unterricht durch Ethiker, Philosophen und Soziologen unterscheidet sich der Unterricht der Polizeiseelsorge dadurch, dass wir dichter dran sind an der Alltagspraxis der Bediensteten und die Konfliktherde im Streifendienst aus der Nähe kennen.

Schusswaffengebrauch, Gewalterfahrung, eigene Verletzung, Begegnung mit Sterben und Tod: Was kann die Polizeiseelsorge für Beamte in Krisen tun?

Freitag: Alle Personen in der Polizeiseelsorge sind psychologisch darin geschult, mit traumatisierten Menschen umzugehen, um deren Belastungen möglichst schnell aufzufangen. Der Unterschied zur rein psychosozialen Begleitung zeigt sich, wenn bei Gewalt, Sterben und Tod die Frage nach dem Sinn im Raum steht. Da bin ich als Seelsorger gefragt, meine persönliche Antwort darauf anzubieten oder auch den Antworten der Betroffenen zuzuhören und die Situation mit ihnen gemeinsam auszuhalten.

Dautzenberg: Wenn ein Polizist im Dienst zu Tode kommt und im Beisein seiner Kolleginnen und Kollegen bestattet wird, dann erzähle ich von meiner christlichen Hoffnung. Fragen nach dem Sinn kommen auch in unserer Nachsorgegruppe nach Schusswaffengebrauch hoch: Auch wenn die Situation rechtlich klar war, wiegt sie für die betroffene Polizeikraft oft moralisch schwer. Da kann die Polizeiseelsorge zur Gewissensklärung beitragen.

Polizei und Macht: Wie gehen Sie als Polizeiseelsorger damit um, wenn Beamte im Dienst unangemessen agieren?

Zum 60-jährigen Bestehen der Vereinbarung zur Polizeiseelsorge in NRW berichtet die ökumenische Konferenz der Polizeiseelsorge in NRW in einem soeben erschienenen Band über ihre Erfahrungen mit Seelsorge, Spiritualität, Begleitung, Berufsethik und Beratung für rund 50.000 Menschen im Polizeidienst.

Begleiten – Beraten – Beistehen: Polizeiseelsorge in NRW

Herausgeber: Michael Arnemann, Dietrich Bredt-Dehnen, Marcus Freitag, Werner Schiewek. 322 Seiten. 29,90 Euro. Verlag für Polizeiwissenschaft. ISBN 978-3-86676-760-7

Dautzenberg: Viele Polizeikräfte haben den Eindruck: ‚Wir müssen die Harten sein.‘ Manche reden deshalb erst nach 20 Jahren darüber, was verstörende Erfahrungen im Job mit ihnen gemacht haben. Unsere Aufgabe ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich seinen Druck von der Seele reden kann.

Freitag: Wir schauen vor allem auf die Besatzung im Streifenwagen, nicht auf die Führungsebene. Da gibt es viel Frust, Verletzungen und Ohnmachtsgefühle, wenn etwa Drogen-Straftäter sofort wieder auf freiem Fuß sind, Straßen- oder Clan-Kriminalität sich verselbständigen, ganz zu schweigen von den Ermittlungen bei Kinder-Pornographie. Wir als Polizeiseelsorge sind parteiisch, wir sind für die Bediensteten da. Natürlich lehne ich Übergriffigkeit, Gewaltmissbrauch und rechtswidriges Verhalten bei Polizeikräften ebenso ab wie bei jedem anderen Menschen auch: Aber meine Tür und mein Ohr bleiben trotzdem immer offen.

Diözesanbeauftragter für die Polizeiseelsorge — Supervisor (DGSv)

Pastoralreferent Marcus Freitag


Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen