von Thomas Rünker

Overbeck: „Wir brauchen einen neuen Freiheitsbegriff“

In der Diskussion um eine mögliche Neuregelung der Suizidassistenz hat sich Bischof Overbeck auf dem Katholikentag in Erfurt für eine stärkere Suizidprävention und eine intensive Grundsatzdiskussion über den Begriff der Freiheit ausgesprochen.

Nach Ansicht des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck kann ein Mensch die eigene Freiheit in besonders existenziellen Fragen, gerade am Anfang und am Ende des Lebens, nicht nur selbst bestimmen. „Mit Blick auf die Verteidigung der Würde des Menschen brauchen wir einen neuen Freiheitsbegriff“, forderte Overbeck am Donnerstag auf dem Erfurter Katholikentag bei einer Diskussion zu einer möglichen Neuregelung der Suizidassistenz in Deutschland. Die Basis hierfür sei „der Mensch als Person, der auf Freiheit aufgebaut ist“. Doch diese Freiheit sei wesentlich auch eine Gabe. „Freiheit kann ich nicht nur aus mir selbst heraus herstellen”, so Overbeck. Vielmehr stehe die eigene Freiheit immer auch in Beziehung zu anderen Menschen, dies sei in existenziellen Fragen besonders relevant.

Ausgangspunkt der Diskussion war das Bundesverfassungsgericht, das im Februar 2020 das bis dahin geltende Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“ gekippt hatte, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. Seitdem ist die rechtliche Lage rund um Suizidassistenz – also die Unterstützung von Sterbewilligen zum Beispiel durch das Bereitstellen tödlicher Medikamente, die diese dann selbst einnehmen müssen – durch den Gesetzgeber nicht näher geregelt worden.

Suizidprävention stärken und sehr grundsätzlich über Neuregelungen nachdenken

Der Bischof regte an, einerseits die Suizidprävention deutlich zu stärken und andererseits sehr grundsätzlich über mögliche gesetzliche Neuregelungen nachzudenken. „Ich finde es bedeutsam, hier sehr prinzipiell vorzugehen“, hob der Bischof hervor und warnte, sich bei derart prinzipiellen Fragen von „scheinbaren Mehrheiten“ leiten zu lassen. Stattdessen gehe es darum „das Grundgesetz noch einmal intensiv zu reflektieren“.

Vielen, die über einen Suizid nachdenken, gehe es vor allem auch um soziale Fragen, so Overbeck. „Viele wollen ihren Angehörigen nicht mehr zur Last fallen oder sind – wie so viele Menschen – allein. Hier brauchen wir neue Vernetzungsstrukturen, damit nicht nur Menschen vor einem möglichen Suizid, sondern auch bei Formen schwerer Krankheit, neue Formen von Solidarität erleben.“ Derart konkrete Überlegungen haben für den Bischof unmittelbar mit den ethischen Grundsatz-Diskussionen zu tun: „Wenn wir Strukturen schaffen, in denen Menschen wieder mehr zusammenleben können, wird es auch einen anderen Umgang mit dem Freiheitsbegriff geben, als ihn das Bundesverfassungsgericht verwendet hat.“

Jährlich etwa 10.000 Suizide in Deutschland

Telefonseelsorge hilft bei Gesprächsbedarf zum Thema Suizid

Wenn Sie dieses Thema intensiv beschäftigt oder Sie Gesprächsbedarf haben, hilft Ihnen die Telefonseelsorge kostenlos und anonym weiter. Unter den Telefonnummern 0800–1110111 oder 0800–1110222 erhalten Sie umgehend Kontakt zu geschulten Menschen, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Auch online gibt es einen Zugang zur Telefonseelsorge: www.telefonseelsorge.

Wie relevant das Thema ist, machte die Dresdener Psychiaterin und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention deutlich. Jährlich würden rund 10.000 Menschen in Deutschland durch einen Suizid sterben – zudem gebe es zwischen 100.000 und 200.000 versuchte Suizide. Sie warb für eine deutliche – auch finanzielle – Verstärkung der Suizidprävention, weil diese sehr wirksam sei. Dies gelte für Zäune an Brücken und auf Hochhäusern genauso wie das mitfühlende Gespräch durch Angehörige oder Pflegekräfte. „Die meisten Menschen mit einer Suizid-Absicht kündigen diese in irgendeiner Form an“, erläuterte Lewitzka und empfahl: „Wenn ein Mensch etwas in diese Richtung äußert – zum Beispiel ,Das macht alles keinen Sinn mehr‘ – dann fragen Sie nach!“ Durch eine solche Frage würde ein möglicher Suizidwunsch weder geweckt noch verstärkt.

Zusammen mit den anderen Podiumsgästen warnte sie entschieden vor einer Normalisierung von Suizidassistenz. Beispiele aus Ländern wie Belgien, Kanada oder den Niederlanden zeigten, wie schnell aus Suizidassistenz eine Tötung auf Verlangen werde – also das aktive Töten zum Beispiel durch Ärzte oder Pflegekräfte.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen