von Thomas Rünker

Overbeck: Mit „widerständiger Menschlichkeit“ Aggression und Ungerechtigkeit entgegentreten

Wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, muss sich Menschlichkeit mit Widerständigkeit verbinden, sagt Bischof Franz-Josef Overbeck.

Den Aggressionen und Ungerechtigkeiten der Welt stellt Bischof Franz-Josef Overbeck die Idee einer „widerständigen Menschlichkeit“ entgegen: „Wenn unsägliches Leid geschieht und die Menschenwürde mit Füßen getreten wird,“ lasse das nicht gleichgültig, sondern „weckt den Widerstand unserer Menschlichkeit“, sagt Overbeck im Interview. Dies sei nicht nur eine christliche Perspektive, sondern Basis unserer Gesellschaft, die das Grundgesetz mit dem ersten Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, formuliere.

„Widerständige Menschlichkeit“ - Dieser Ausdruck aus Ihrem Hirtenwort zum neuen Jahr, Bischof Overbeck, klingt fast paradox: Zugewandtheit und Mitgefühl der „Menschlichkeit“ auf der einen Seite, Ablehnung und Protest des „Widerstands“ auf der anderen. Wie passt das zusammen?

Bischof Franz-Josef Overbeck: "In meinem Hirtenwort möchte ich eine Perspektive aufzeigen, wie wir als Christen der niederträchtigen Logik des Krieges begegnen können: mit widerständiger Menschlichkeit. Widerständige Menschlichkeit ist ein starker, aber kein paradoxer Begriff. Menschlichkeit meint Mitgefühl, Achtsamkeit füreinander und konkrete Nächstenliebe. Wenn unsägliches Leid geschieht und die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, dann zeigt sich eine Wahrheit, die sich fast körperlich spüren lässt: Dieses Leid darf nicht sein. Dieses Leid ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Es lässt uns nicht gleichgültig, sondern weckt den Widerstand unserer Menschlichkeit."

Was bedeutet das konkret? Wie weit sollen oder müssen sich die Menschen hier engagieren?

Overbeck: "Wie weit sich einzelne Menschen engagieren sollen oder müssen, kann und will ich ihnen gar nicht vorschreiben. Ich sehe aber die Vielen, die seit Beginn des Krieges über ihre Kirchengemeinden, Caritasverbände oder auf andere Weise sehr konkrete Hilfe und Unterstützung anbieten. Es gibt Hilfstransporte in das Krisengebiet, und nicht zuletzt bieten viele Menschen geflüchteten Kindern, Frauen und Männern bei uns eine Unterkunft an. Ein Ausdruck kann auch das Gebet sein. Wo wir mit unseren Möglichkeiten an Grenzen stoßen und fassungslos sind angesichts des Leids anderer Menschen, rufen wir nach Gott. All das ist nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der vielerorts die Tendenz wächst, zuerst auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu schauen. Durch viele klare Zeichen und Taten, unterstützt auch durch Gebet, können wir zeigen, dass wir dem Leid so vieler Menschen nicht gleichgültig gegenüberstehen. Es ist möglich, der niederträchtigen Logik des Krieges mit widerständiger Menschlichkeit zu begegnen."

Sie stellen dies in Ihrem Neujahrswort nicht nur in den Kontext des Krieges in der Ukraine, sondern auch der Demokratie in Deutschland. Sehen Sie diese in Gefahr?

Overbeck: "„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese ersten Worte des Grundgesetzes, in denen auch der Kerngehalt des christlichen Menschenbildes zum Ausdruck kommt, sind das Fundament unserer Gesellschaft, die in Freiheit lebt und weiterhin leben will. Wir stehen angesichts der enormen Herausforderungen gemeinsam in der Pflicht, soziale Härten abzufedern und alle geeigneten Instrumente des Sozialstaates zu nutzen und zu stärken. Wir müssen dies gerade in dem Bewusstsein tun, dass unmissverständlich sichtbar wird, wie sehr das uns tragende Freiheitsverständnis und die Menschenrechte in unseren Zeiten unter Druck stehen – von außen her durch Autokraten, die selbst vor einem Angriffskrieg nicht zurückschrecken, aber auch von innen her durch populistische Vereinfacher und Feinde der Demokratie. Unsere Demokratie setzt auf die Stärke des Rechts. Sie lebt von geschriebenen Voraussetzungen, die verbindlich für alle gelten. Genauso lebt sie von ungeschriebenen Voraussetzungen, die von uns allen erbracht und gepflegt werden müssen. Es ist unsere Aufgabe, diese Demokratie lebendig zu halten. Sie stärkt unser glaubwürdiges christliches Zeugnis für eine widerständige Menschlichkeit mitten in der Gesellschaft."

Hirtenwort zum neuen Jahr 2023 zum Download (PDF)

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen