Mit Bonhoeffer zu einer individuelleren und spirituelleren Kirche
Deutlich individueller und spiritueller – so müsste eine christliche Kirche sein, wenn man sie nach den Vorstellungen des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer reformieren möchte. Diese Einschätzung teilten am Donnerstagabend der Generalvikar des katholischen Bistums Essen, Klaus Pfeffer, und die evangelische Theologie-Professorin Sabine Bobert, die in der Essener Marktkirche unter der Überschrift „Mit Dietrich Bonhoeffer auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche“ diskutierten. Eingeladen hatten die katholische Akademie „Die Wolfsburg“ und die evangelische Akademie im Rheinland.
Viele aktuelle Herausforderungen der Kirchen wie ein Abbruch volkskirchlicher Traditionen, eine wachsende Individualisierung oder Jugendliche, die die Kirchen mit ihrer Botschaft nur schwer erreichen, habe Bonhoeffer bereits in den 1920er und 1930er Jahren beschrieben, so Pfeffer. Dies sei einerseits ein wenig tröstlich für heutige Christen – andererseits könne gerade Bonhoeffer deshalb auch ein guter Ratgeber sein.
Kirchen als Marktführer für Spiritualität
Die Theologin Sabine Bobert hob die spirituelle, mystische Dimension von Bonhoeffer hervor. „Bonhoeffer steht stark in Luthers Tradition.“ Wie der Katholik Ignatius von Loyola habe der Reformator „die klösterliche Tradition individualisiert“. So seien Meditation und Spiritualität von den Klöstern in die Welt gekommen. Bobert: „Bonhoeffer brauchte Spiritualität unbedingt als Rückgrat für den politischen Widerstand.“
Heute gebe es gerade in der Wirtschaft, bei Managern einen großen Bedarf nach Spiritualität, weiß die Professorin, die in Kursen und auf Youtube „Mystik und Coaching“ miteinander verbindet. Hier sieht sie große Chancen für die Kirchen, aber auch Bedarf für eine stärkere Profilierung: Die Menschen wählten heute „ihren Spiritualitätsanbieter wie ihren Telefonanbieter“. Konkret rät sie der katholischen Kirche, ihre spirituellen Traditionen zu erhalten und zu pflegen – und motiviert die evangelische Kirche „mehr zu einem Anbieter von Stille“ zu werden und sich an Taizé und der Gregorianik zu orientieren. „Wir waren mal Marktführer – und wir werden in diesem Bereich wieder Marktführer werden“, ist sich Bobert sicher.
Bei Konflikten „zeigen wie Christsein geht“
Pfeffer sprach von „radikalen Veränderungen“, mit denen beide große Kirchen konfrontiert seien, weil „das volkskirchliche Modell wirklich am Ende ist“. Schon bei Bonhoeffer seien Anfänge vom Ende des Automatismus‘ erkennbar, dass junge Menschen in einem christlichen Umfeld automatisch selbst Christen werden. Deshalb müssten die Kirchen „akzeptieren, dass die Menschen nur aus freier Überzeugung Christ werden“, sagte Pfeffer in dem von den beiden Akademie-Direktoren Michael Schlagheck und Frank Vogelsang moderierten Gespräch. Er sprach von „Zerreißproben“ an vielen Stellen der Kirche zwischen denen, die an bisherigen Kirchenbildern hängen, und denen, die neue Wege gehen wollen.
Gerade die katholische Kirche leide unter solchen Zerreißproben, weil es eine viel größere Vorstellung von Einheitlichkeit gebe als in der evangelischen. Pfeffer ermunterte dazu, eine größere Vielfalt zuzulassen und anzuerkennen, dass das Leben und Glauben in Gemeinschaft nicht immer einfach und konfliktfrei sei – auch das könne man bei Bonhoeffer lernen. Den aktuellen Streit in der Deutschen Bischofskonferenz um den gemeinsamen Kommunionempfang konfessionsverbindender Ehepaare sieht Pfeffer als „Übungsfeld“, wie die Kirche mit Konflikten umgeht: „Es war lange Zeit ein Tabu, das Konflikte der Bischöfe nach Außen dringen.“ Gerade in Konflikten – nicht nur zwischen Bischöfen, sondern auch in Pfarrgemeinden – könne sich „zeigen, wie Christsein geht“, hofft Pfeffer. Christen könnten „der Gesellschaft zeigen, wie man Konflikte lösen kann, ohne dass es am Ende Sieger und Besiegte gibt“.
Eine gemeinsame Kirche, die aus den jeweiligen Traditionen lebt
Mit Blick auf die Ökumene ermunterten Pfeffer und Bobert dazu, in der jeweils anderen Kirche nach Gutem und Ergänzenden zu suchen. „Es darf nicht um eine Rückkehr-Ökumene gehen“, betonte Pfeffer. „Die Zukunft wird eine gemeinsame Kirche sein, die sich ergänzt und aus den jeweiligen Traditionen lebt“.