Kirche auf Schalke: Die blau-weiße Seelsorgerin mit der schwarz-gelben Seele
Wenn am kommenden Samstag auf Schalke das erste Heim-Revierderby seit dem Wiederaufstieg steigt, tauchen ab 12:04 Uhr in der „Offenen Kirche Schalke“ zwei Farben auf, die in der Heimat des berühmtesten Stadtteilclubs der Bundesliga eigentlich tabu sind: Dann – und nur dann – trägt Gemeindereferentin Christiane Rother beim Dienst in der St.-Joseph-Kirche über ihrer blau-weißen Weste einen Fan-Schal, der auch schwarz-gelb ist. „Mein Freund ist Schalker“ steht auf der einen, „Mein Freund ist Dortmunder“ auf der anderen Seite. Was nach einem Versuch fußballerischer Völkerverständigung klingt, spiegelt ein bisschen von Rothers Fußball-Persönlichkeit wider: Die Seelsorgerin mit der Liebe für schwarz-gelb arbeitet seit fast zehn Jahren im Herzen von blau-weiß.
„Ich kann mir das gut vorstellen“, hat Rother 2013 gesagt, als der damalige Pfarrer auf Schalke, Ingo Mattauch, eine Gemeindereferentin für die Kirche St. Joseph suchte – und dann ergänzt: „aber ich weiß noch nicht, wie das mit meiner schwarz-gelben Seele gehen soll.“ Da solle sie sich mal keine Gedanken machen, habe der eingefleischte Schalke-Fan Mattauch geantwortet – und vermutlich geahnt, dass er für das wenige Monate zuvor gestartete Projekt „Offene Kirche Schalke“ unter den Seelsorgerinnen und Seelsorgern im Bistum Essen kaum jemand anderes findet, der so viel Spaß am Fußball hat wie Rother.
Als Kind ging’s nach der Sonntagsmesse mit dem Vater zum DSC Wanne-Eickel
Fragt man die Gemeindereferentin, woher das kommt, erzählt sie aus ihrer Kindheit, Ende der 1970er Jahre: „Mein Vater hat mich mitgenommen, meistens sonntags nach der Kirche, zum DSC Wanne-Eickel.“ Und wenn der Pastor zu lange gepredigt hatte, gab’s für Christiane und ihren Papa auf dem Platz oft nur die zweite Halbzeit. Nach dem Abstieg des Zweitligisten 1980 orientieren sich Vater und Tochter neu und landen ein paar Kilometer östlich bei Borussia Dortmund – schwarz-gelb wie der DSC, aber Bundesligist. Dem hält Rother bis heute die Treue: Kaum eines der jüngsten Heimspiele, das sie nicht im Stadion oder wenigstens vor dem Fernseher gesehen hat. Immerhin: So lange Schalke und Dortmund beide in der ersten Bundesliga spielen, gibt es keine zeitgleichen Heimspiele. Dennoch heißt es für Rother am Wochenende oft: Raus aus der blau-weißen Dienstkleidung der „Offene Kirche Schalke“ – und rein ins schwarz-gelbe Trikot. Denn das trägt ein echter Fan natürlich auch, wenn das Auswärtsspiel im Fernsehen läuft.
Revier-Fußball und Kirche
Die Verbindung zwischen Fußball und christlichem Glauben gehört in Dortmund wie auf Schalke zum Gründungsmythos wie zum heutigen Vereinsleben. Während der BVB 1909 aus der Jugend der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde nahe des Borsigplatzes entstand, hat der FC Schalke seit dem Neubau seiner Arena nicht nur eine eigene Stadion-Kapelle, sondern zählte angeblich auch Papst Johannes Paul II. zu seinen Ehrenmitgliedern. Zudem feiern die christlichen Fanclubs „Mit Gott auf Schalke“ in Gelsenkirchen und „Totale Offensive“ in Dortmund vor den Derbys regelmäßig gemeinsame ökumenische Fußball-Gottesdienste (diesmal am Donnerstag, 9. März, um 19.09 Uhr im Zentrum Stern im Norden e.V., Hirtenstr. 2, in Dortmund).
„Offene Kirche Schalke“ öffnet vor jedem Heimspiel
An jedem Schalker Heimspiel-Samstag oder -Sonntag öffnet Christiane Rother zusammen mit einer hauptamtlichen Kollegin und einem sechsköpfigen Team von Ehrenamtlichen ein paar Stunden vor dem Anpfiff die St.-Joseph-Kirche als „Offene Kirche Schalke“ an der Kurt-Schumacher- Ecke Grillo-Straße. „Vorm Spiel is inne Kirche“ heißt es dann an der „Schalker Meile“: Viele Fans schauen auf dem Weg von der Innenstadt zum Stadion in dem stattlichen Gotteshaus vorbei, trinken einen Kaffee, gehen zum bunten Kirchenfenster mit dem Heiligen Aloisius, der als Schutzpatron der Jugend mit einem Fußball abgebildet ist, tragen sich ins Gäste- und Fürbittenbuch ein oder zünden eine blau-weiße Kerze an. Mittlerweile gibt’s in der Kirche auch eine Bar, eine Sofagarnitur und viele weitere Sitzgelegenheiten für ein entspanntes Päuschen vor dem Spiel. Rother ist dann mittendrin, freut sich über viele Besucherinnen und Besucher, erst recht, wenn auch Fans der Gastmannschaft vorbeischauen – mittlerweile hat sich die Fußballkirche als Kuriosum durchaus herumgesprochen. Und manchmal steckt Rother dann so tief in ihrer Arbeit, dass sie Sätze sagt wie „alles ist gut, was dem Verein nützt“ – und damit die Blau-Weißen meint.
Wenn sie das merkt, lacht die Seelsorgerin, die überhaupt viel lacht und Freude verbreitet. Darum gehe es doch beim Fußball, sagt Rother, um Freude, um ein Spiel. Für sie gehört zu diesem Spiel „ein freundlicher, respektvoller Umgang miteinander“ Auch die Gastmannschaft „hat Fans, die alles für ihren Club tun, genauso wie wir“. Keine Frage: Wenn’s um den BVB geht, ist Rother emotional bis in die Haarspitzen, aber wenn der Gegner beschimpft wird oder Fan-Begeisterung in Aggression, Hass oder gar Gewalt umkippt, hört für Rother jedes Verständnis auf. Man müsse den Gegner nicht gleich umarmen – aber die andere Mannschaft im Stadion konsequent auszubuhen habe nun wirklich nichts mit Gastfreundschaft zu tun, so Rother.
Diese Gastfreundschaft schreiben sie in der „Offenen Kirche Schalke“ groß – und vielleicht ist das der Hauptgrund, dass BVB-Fan Rother im Kreis ihres größtenteils blau-weißen Teams vollkommen akzeptiert ist. „Vielleicht schauen wir das Derby sogar gemeinsam in einer Kneipe“, berichtet sie von den Plänen fürs Wochenende. Dann aber doch besser auf neutralem Boden, zum Beispiel in Essen, denn „wenn wir ein Tor schießen, kann ich mich doch nicht zurückhalten, nur weil wir in einer Schalke-Kneipe sitzen“, sagt Rother mit einem Schmunzeln. Immerhin hat sie dann ihre Kollegin, die angehende Seelsorgerin Rebekka Griemens, an ihrer Seite. Die ist eingefleischter Rot-Weiss-Essen-Fan.