Essen-Vogelheim: Die Kirche schließt – das ökumenische Zentrum öffnet
In der Essener St.-Thomas-Morus-Kirche haben die Gläubigen am Sonntag die letzte Messe gefeiert.
Die Pfarrei gibt die Kirche auf, weil sie sanierungsbedürftig ist.
In benachbarten evangelischen Markushaus entsteht das erste Essener Ökumenezentrum.
Trauer über den Verlust ihrer Kirche und Hoffnung auf einen ökumenischen Neubeginn – in dieser Spannung haben sich die Christen in Essen Vogelheim am Sonntagnachmittag, 30. September, von der katholischen Thomas-Morus-Kirche verabschiedet. Nach einer letzten Messe mit Bischof Franz-Josef Overbeck sind die Gläubigen gemeinsam zum wenige hundert Meter entfernten evangelischenMarkushaus gezogen, wo die Katholiken künftig ihre Messen feiern und mit den evangelischen Mitchristen das erste Ökumenezentrum in Essen etablieren wollen.
Nach einigen Schritten ist dieser Übergang für die mehreren hundert Gläubigen an diesem sonnigen Herbst-Sonntag auch akustisch spürbar: Je leiser die Glocken der großen Thomas-Morus-Kirche werden, desto lauter heißen die Glocken des Markushauses die Gläubigen willkommen. Begleitet von den rotgewandeten Ehrengardisten trägt der Seelsorger von Thomas Morus, Diakon Thorsten Schrüllkamp, das Allerheiligste voran. Ihm folgen der Bischof, zahlreiche Priester, der evangelische Pfarrer Christoph Ecker und die Essener Superintendentin Marion Greve, genauso wie Fahnenträger der verschiedenen Verbände und ein langer Zug von Gläubigen. Schnell ist die kleine Kirche im Markushaus überfüllt, aber auch durch die großen Fenster verfolgen viele Gemeindemitglieder, wie der Diakon den goldenen Kelche mit den geweihten Hostien in den neuen Tabernakel des Markushauses stellt. Und auch Ehrengardisten, Bischof und Messdiener dürften für manchen Protestanten ein ungewohntes Bild bedeuten.
Overbeck: „Das ist die nächste Phase der Gastfreundschaft“
Dankbar verweist Bischof Overbeck auf die große Flexibilität der evangelischen Mitchristen. Dass die in diesem Fall nun sogar einen Tabernakel in ihrer Kirche stehen haben, sei keineswegs selbstverständlich und ein Zeichen, das über reine Gastfreundschaft hinausgehe. „Das ist die nächste Phase der Gastfreundschaft“, sagt Overbeck, der weiß, „dass es manchen geben mag, der sich wundert, dass der katholische Bischof dies erlaubt“. Aber Overbeck stellt klar: „Wir können manches nur noch gemeinsam tun.“ Nun gehe es darum, dass alle Beteiligten achtsam miteinander umgehen, „die, die Gastgeber sind, und die, die Gäste sind“, so der Bischof. Ähnlich hatte es zuvor auch der evangelische Pfarrer Ecker formuliert: Es gehe darum, die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten „als Gabe und Geschenk Gottes“ zu verstehen. Auf diesem gemeinsamen Grund lasse sich leben, aber auch streiten „über den richtigen Weg und die Wahrheit – wenn wir einander in Liebe ertragen“.
Zwei Jahre Zeit haben sich die katholische und die evangelische Gemeinde in Essen-Vogelheim gegeben, um aus der Gastfreundschaft ein tatsächliches ökumenisches Zentrum werden zu lassen. „Es ist mutig, was wir heute tun“, sagt Pfarrer Ecker und ergänzt: „Es ist notwendig“. Nicht nur, weil die katholische Gemeinde nach der Schließung der mittlerweile viel zu großen und sanierungsbedürftigen Thomas-Morus-Kirche sonst kein Dach über dem Kopf hätte, sondern auch, weil das neue Ökumenezentrum der Versuch sei „die Bitte Jesu konkret werden zu lassen, auf dass wir alle eins sein sollen“. Die Superintendentin hofft jedenfalls, dass das Vorbild aus Vogelheim auf „auf viele andere Gemeinden ausstrahlt“. Im vergangenen Jahr hatten das Ruhrbistum und Evangelische Landeskirchen eine engere Zusammenarbeit vereinbart – auch mit Blick auf die gemeinsame Nutzung von Gebäuden. Enge Kooperationen zwischen katholischen und evangelischen Gemeinden gibt es im Ruhrbistum zum Beispiel in Hagen-Dahl oder in Gelsenkirchen Reeser Mark. In Essen-Gerschede planen katholische und evangelische Christen derzeit den Neubau eines ökumenischen Gemeindezentrums.
„Wand der Trauer“ – „Wand der Hoffnung“
Trotz aller Aufbrüche ist der Sonntag für die katholischen Christen in Essen-Vogelheim in erster Linie ein Tag der Trauer und des Schmerzes. Die ganze vergangene Woche haben sie abends die Gelegenheit genutzt, sich in der „Offenen Kirche“ und bei musikalischen Andachten von dem 66 Jahre alten Gotteshaus zu verabschieden. Mit Kreide konnten die Besucher ihre Gedanken auf die Kirchenwände schreiben: „Alles geht weiter, aber es tut doch sehr weh“ steht zum Beispiel links auf der „Wand der Trauer“ – oder „Hier schließen sich die Türen, aber es sind schon andere für uns geöffnet“, auf der rechten „Wand der Hoffnung“.
Im Pfarreientwicklungsprozess hatte die Pfarrei St. Dionysius, zu der Thomas Morus gehört, beschlossen, die Kirche zu schließen und das Grundstück zu vermarkten. Der benachbarte Jugendhof Vogelheim bleibt davon unberührt. Einst war die Kirche, die nach dem Krieg vor allem für die vielen katholischen Bergmänner im Essener Nordens geplant worden war, mit 510 Sitzplätzen eine der größten im Ruhrbistum – bis zuletzt zeugt die Statue der Heiligen Barbara von dieser Vergangenheit. Und so sitzen doch einige Gläubige mit feuchten Augen im Gottesdienst mit dem Bischof – trotz des Lichtblicks, dass die Gemeinde auch nach der Kirchenschließung im neuen Ökumenezentrum fortbesteht.