von Thomas Rünker

Der Supermarkt im Gemeindesaal

Seit 15 Jahren geben Ehrenamtliche der Gemeinde St. Gertrud an ihrer Kirche in der Essener Nordcity Lebensmittel der Essener Tafel aus.

Äpfel sortieren, Brote umpacken, Milchtüten zählen – einmal in der Woche verwandelt sich der Vorraum des Gemeindesaals im Untergeschoss der Essener St.-Gertrud-Kirche in ein Lebensmittelgeschäft. An jedem Dienstagnachmittag kaufen hier Menschen mit knappen Budgets Obst, Gemüse, Wurst und Käse, Backwaren oder Milchprodukte, die in Supermärkten aussortiert wurden. Seit 15 Jahren ist die Kirche in der Essener Nordcity eine von derzeit 12 Verteilstellen der Essener Tafel. Grund genug, dass an diesem Dienstag zwischen Aufbauen und Verkaufen auch ein klein wenig Zeit zum Feiern ist: Ein Gläschen Sekt und eine neue Schürze gab’s für jedes Mitglied des 12-köpfigen Teams. „Wir hätten gern ein kleines Fest mit unseren Kunden gefeiert, aber das ist wegen Corona ja gerade nicht möglich“, sagt Barbara Breuer. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin im Caritas-Team der Innenstadtpfarrei koordiniert die wöchentliche Lebensmittelausgabe – und hat sie vor 15 Jahren ins Leben gerufen.

Reaktion auf wachsenden Bedarf an Lebensmittelspenden

„Damals hatten wir bereits eine Vereinbarung mit einem Lebensmittelgeschäft, zu dem wir Menschen in einer besonderen Notlage geschickt haben. Die Rechnung für die Einkäufe bekam dann die Pfarrei.“ Als der Bedarf für solche Lebensmittelspenden zunahm, kam Breuer die Idee mit der Tafel. „Nach einem ersten Kontakt haben wir lange nichts gehört – und dann ging es plötzlich ganz schnell: Im August sollten wir loslegen“, erinnert sich Breuer. Es gab keinen Raum, kein Team, aber mit ihr und dem damaligen Pastor Andreas Willenberg mindestens zwei, die die Tafel-Ausgabe nun unbedingt umsetzen wollten. Breuer: „Die erste Ausgabe haben wir dann im Treppenhaus unseres Kirchturms aufgebaut, damals kamen 5 Kunden.“

Beides hat sich rasch verändert: Die Lebensmittelausgabe wurde nach draußen verlegt – was bei Hitze oder Regenschauern neue Herausforderungen mit sich brachte – und die Zahl der Kunden stieg dank Handzetteln und Mundpropaganda von Woche zu Woche. Seit einigen Jahren hat die Lebensmittelausgabe nun im Vorraum des Gemeindesaals ihren festen Platz gefunden, auch wenn Breuer erst Sorge hatte, dass mancher Kunde von der mächtigen Kirchenfassade vielleicht abgeschreckt werde. Doch ganz im Gegenteil: 40 bis 50 Kunden lassen sich Woche für Woche von Barbara Breuer und ihrem Team die Taschen füllen, nicht nur Alleinstehende oder Paare, sondern auch sieben- oder achtköpfige Familien. Jeder Erwachsene zahlt für seinen Einkauf pauschal einen symbolischen Euro. „Am Anfang der Corona-Pandemie sind zunächst ein paar Kunden weniger gekommen, aber mittlerweile sind wir fast wieder auf dem alten Niveau.“ Dabei sei die Kundschaft „bunt gemischt“, betont Breuer. Sie verweist auf Rentner – von denen einige schon seit 15 Jahren kommen –, Hartz IV-Empfänger oder Zuwanderer-Familien. Alle verbindet die Situation, dass das „Zweite Wahl“-Angebot der Tafel mindestens ein willkommenes Zubrot für den meist knapp bestückten Speiseplan bedeutet – wenn nicht die einzige finanzierbare Möglichkeit überhaupt, Lebensmittel einzukaufen.

Einkaufs-Reihenfolge wird ausgelost

Soziale Angebote rund um gesunde Ernährung

Die Lebensmittelausgabe in St. Gertrud ist nur eines von mehreren sozialen Angeboten an der Kirche in der nördlichen Essener Innenstadt, die sich mit gesunder Ernährung beschäftigen. So ist – ebenfalls dienstags – das „FLIZ-Mobil“ von Caritas und SKF an der Viehofer Straße mit Mittagessen, Bewegungs- und Beratungsangebote für Familien zu Gast. Und montags, mittwochs und freitags abends machen auf den Stufen vor dem Gemeindesaal die Ehrenamtlichen vom Verein „Fairsorger“ mit warmen Mahlzeiten, Getränken und anderen Hilfen für Obdachlose Station.

Bevor die Tafel-Ausgabe um 15 Uhr öffnet, stehen auch nach 15 Jahren schon eineinhalb Stunden früher die ersten Kunden vor der Tür, berichtet Breuer – obwohl es nichts nützt. Pünktlich um 14.45 Uhr kommt ein Team-Mitglied vor die Tür und lässt alle Kunden blind eine nummerierte Holzmarke ziehen, die Nummer bestimmt die Einkaufsreihenfolge. Auf den Tischen präsentieren die Ehrenamtlichen aus St. Gertrud dann, was die Essener Tafel zuvor geliefert hat – und achten darauf, dass es auch für den letzten Kunden reicht. „Die Leute, die die verschiedenen Abteilungen bei uns betreuen, wissen, was sie brauchen“, berichtet Breuer. Wenn es zum Beispiel mal nur 20 Pakete Milch gebe, würden zunächst die Familien bedient. Unterm Strich „werden wir von der Tafel aber sehr gut bedient“. Zumal die Tafel seit einigen Jahren nicht nur die Lebensmittellogistik– Abholen in den Geschäften, Sortieren, Ausliefern – übernimmt, sondern auch die Betreuung der Kunden verwaltet. Wer bei einer Ausgabestelle der Essener Tafel einkaufen möchte, muss sich zunächst in der Zentrale registrieren und wird dann einer Ausgabestelle zugeteilt.

Dass ihrem Team in St. Gertrud alsbald die Arbeit ausgehen könnte, sei nicht absehbar, sagt Breuer. Vielmehr freut sie sich, dass sich gerade auch das ehrenamtliche Team in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt habe. Unter anderem helfen jetzt auch zwei ehemalige Geflüchtete mit, die die Tafel zunächst als Kundinnen kennengelernt haben. Sie bereichern das Team nicht nur mit Tatkraft, sondern auch mit ihren Kurdisch- und Arabisch-Kenntnissen, was bei manchen Kunden durchaus hilfreich sei.

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