Overbeck diskutiert mit jungen Menschen über Macht in der Kirche
Um kurz nach acht ploppen sie nach und nach auf, die Gesichter unterschiedlicher Katholiken aus ganz Deutschland. Sie sitzen in Wohnzimmern, Küchen, auf Balkons. Und plötzlich ist der Bildschirm gefüllt mit über 100 neugierigen Menschen. Es sind überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich für die katholische Kirche engagieren. Aber auch ein paar Ältere sind dabei, sind neugierig und wollen ihre eigenen Erfahrungen für die Zukunft mitgeben.
„Wir brauchen eine konstruktive Konfliktkultur“
Es ist der vierte Diskussionsabend der BDKJ-Reihe „Digital Synodal“, der am Dienstag, 7. Juli, ausschließlich per Videokonferenz stattfindet. Bereits diskutiert wurde über das Leben in gelingenden Beziehungen, Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche sowie priesterliche Existenz, orientiert an den Schwerpunktthemen des Synodalen Wegs. Am vierten und letzten Abend geht es nun um Macht in der Kirche, ein Thema von dem Claudia Lücking-Michel, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) und neben Bischof Franz-Josef Overbeck Vorsitzende des Synodalforums, überzeugt ist: „Das ist eigentlich ein Metathema. Wenn wir die Machtfrage nicht lösen, werden wir auch in anderen Fragen nicht weiter kommen.“ Auch Bischof Overbeck weiß: „Das ist ein lebendiger Prozess. Wir müssen Kritik zulassen und Auseinandersetzungen gemeinsam durchstehen, brauchen eine konstruktive Konfliktkultur in alle Richtungen.“
Neben den beiden Vorsitzenden sind auch Mitglieder des Synodalforums dabei, auch sie kommen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands, engagieren sich etwa in Jugendverbänden oder arbeiten als Pastoralreferenten. Ihre Motivation: Eine Kirche mit mehr Mitbestimmung, mit weniger Machtmissbrauch. „Ich möchte mich nicht mehr für meine Kirche schämen. Unsere Strukturen sind einfach nicht mehr zukunftsfähig“, sagt die 16-jährige Johanna Müller aus dem Bistum Münster.
Geteilte Macht in der Pfarrei?
Ihre Ideen, ihren Frust und ihre positive Einstellung, etwas zu ändern, diskutieren die rund 100 Teilnehmer dann in kleineren Gruppen, tragen ihre Ergebnisse auf digitalen Boards zusammen. Ein Stichwort, das dabei immer wieder fällt: Demokratie. Der Wunsch, mehr mitzubestimmen, den Pfarrer oder sogar Bischof als Gemeindemitglied selbst mitwählen zu dürfen. Auch die einseitige Machtverteilung an den Pfarrer als Leiter einer Pfarrei sehen viele als veraltet und negativ. Ihre Lösung: Eine „geteilte Macht“, mehr Arbeit im Team, auch mit Laien. Als Gegenargument führen einige an: Bei Machtmissbrauch von vielen sei es nur noch schwieriger, den Schuldigen auszumachen, wenn gegen Regeln verstoßen wird, sich eventuell sogar jemand strafbar macht. Vielen ist auf alle Themen bezogen auch wichtig: Es dürfe sich keine „Nationalkirche“ bilden, eine Einheit mit Rom und den Entscheidungen von Papst Franziskus müsse immer noch gegeben sein, Veränderungen müssten weitreichender sein, die Weltkirche mitgedacht werden.
Nach rund 40 Minuten ist die Arbeit in den Kleingruppen vorbei, alle Teilnehmer treffen sich am Monitor im großen Konferenzraum wieder. Bischof Overbeck berichtet von einer sehr lebendigen, sehr breit gefächerten Diskussion. Anhand der vielen handfesten Fragen sei nochmal deutlich geworden: „Es gibt viele Traditionen, die sich nicht so leicht verändern lassen.“ Auch Lücking-Michel beschreibt die Arbeit in den Kleingruppen als „lebendig, offen und kontrovers.“ Die Teilnehmer und Interessierten des Synodalen Wegs seien alle mit sehr viel Engagement und Herzblut dabei. Allen sei bewusst, dass die Geschichte der Kirche lang, die Traditionen vielfältig seien. Viele hätten sich gefragt, was der Synodale Weg überhaupt möglich machen, welche Ideen aus den Ortskirchen man auch in die Weltkirche einspeisen könne. „Es gab auf jeden Fall genug Stoff, um noch lange weiter zu diskutieren“, sagt sie.
"Frauen sind oft von vornherein ausgeschlossen"
Die Frage nach der geteilten Leitung taucht auch in der großen Diskussionsrunde nochmal auf. „Ich bin überzeugt davon, dass der Pfarrer aufgrund seiner Weihe, die ihn sendet, derjenige ist, der die Pfarrei leitet“, sagt Overbeck. Das hieße allerdings nicht, dass es bei alleiniger Verantwortung eines Pfarrers bleiben müsse. Overbeck könne sich in Zukunft auch geteilte Formen der Wahrnehmung von Leitungsverantwortung in Pfarreien vorstellen, auch wenn der Pfarrer am Ende immer noch „den Hut aufhabe.“ Für Claudia Lücking-Michel besteht vor allem beim Zugang für Frauen in bestimmte Ämter noch Diskussionsbedarf: „Frauen sind oft von vornherein ausgeschlossen, allein weil sie Frauen sind und nicht aufgrund von persönlicher Qualifikation, Charismen, Berufung oder Spiritualität.“ Viele Laien hätten erkannt, dass sie nur scheinpartizipativ eingebunden würden. „Da sollten wir andere Signale setzen, bevor viele sich abwenden, und sollten faire, angemessen Formen von Beteiligung finden“, rät Lücking-Michel. Auch die Idee, einen Jugendrat ergänzend zur Jugendkomission zu etablieren, wird in die große Runde getragen.
Auch wenn die Videokonferenz eine den aktuellen Umständen angepasste und zunächst ungewohnte Diskussionsform ist, sind sich Overbeck und Lücking-Michel am Ende einig: Es ist eine Form, die man auch in Zukunft stärken sollte, die einen Austausch möglich macht, den es sonst nicht gegeben hätte. In einigen Videofenstern ploppen kleine Applaus-Emojis auf, zum Abschied winken viele in ihre Kamera, bevor sie nach und nach wieder vom Bildschirm verschwinden. Die zwei Stunden sind schnell vergangen, die Zeit war einigen zu knapp und am Ende wird deutlich: Er wird lang werden, der Synodale Weg, aber Gesprächsstoff gibt es genug. Für eine moderne katholische Kirche. Lebendig, kontrovers und zukunftsfähig.