Akademie „Die Wolfsburg“ diskutiert über Zukunft der Organspende
Während aktuell jeder Organspender zuvor seine Bereitschaft erklärt haben muss, dreht die Widerspruchsregelung das Prinzp um: Wer kein Spender sein will, muss ausdrücklich widersprechen
Gegen diesen Vorschlag gibt es Kritik. Der Moraltheologe Mieth hat vor allem den besonderen Sterbeprozess bei Organspendern im Blick
Viele Aspekte wie Klinik-Organisation, Patientenverfügungen und die Krankenhaus-Finanzierung spielen bei Organspenden eine Rolle
Für Reiner Heske ist die Sache klar: „Jeder sollte sich fragen: Würde ich bei einer schweren Krankheit ein fremdes Organ annehmen? Wer hier ja sagt, der kann auch getrost einen Organspendeausweis ausfüllen“, sagt der 49-jährige Marathonläufer, der seit fünf Jahren mit einer Spenderlunge lebt. Die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, die unter anderem das Sekret in der Lunge verändert, hat Heskes Atemorgan seit Kindestagen geschädigt. „Schon mit 15 habe ich davon geträumt, mal richtig durchatmen zu können.“ Als Erwachsener war er immer stärker auf Sauerstoff angewiesen, Anfang 2013 habe er „nicht mal ohne Sauerstoff duschen können“. Er entschied sich für eine Transplantation – und hatte Glück: Binnen weniger Wochen stand ein passendes Organ zur Verfügung, die Operation gelang, und Heske lebt „heute fast wie ein Gesunder“, viel Laufsport inklusive.
Wie man diese Erfahrungen mehr Menschen in Deutschland ermöglichen kann, darüber hat Heske am Montagabend in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ mit dem Transplantationsmediziner Jan Gummert und dem Moraltheologe Dietmar Mieth diskutiert. Eingeladen hatte der Rat für Gesundheit und Medizinethik des Bistums, der derzeit an einer Position zur „Widerspruchsregelung“ arbeitet, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jüngst in die Diskussion eingebracht hat. Während bislang nur Menschen zu Organspendern werden, die dies zu Lebzeiten ausdrücklich erklärt haben, oder bei denen Angehörige diesen Willen so formulieren, gilt bei der Widerspruchsregelung jeder Bürger als möglicher Organspender, der dies nicht ausdrücklich abgelehnt. Befürworter erhoffen sich davon eine höhere Zahl von Organspenden, Kritiker – wie die Deutsche Bischofskonferenz – wenden unter anderem ein, dass es bei der Widerspruchsregelung womöglich an der Freiwilligkeit der Spende fehle.
Organspender müssen „zum eigenen Tod Stellung nehmen“
Dies ist für Theologie-Professor Mieth nicht das Entscheidende: „Die Spende ist bei der Widerspruchsregelung in gewisser Weise vorausgesetzte – aber man kann sich ihr ja immer noch entziehen.“ Für ihn ist die Frage des Sterbeprozesses der entscheidende Punkt. Bei der Organspende müsse man „den Tod nicht als Prozess, sondern als punktuelles Ereignis verstehen“, so Mieth. Denn wenn bei einem möglichen Organspender der Hirntod diagnostiziert werde, würde der Sterbeprozess verlangsamt, um die Organe funktionsfähig entnehmen zu können. Das Einverständnis zu dieser Form des Sterbens lässt sich für Mieth „nicht auf dem Weg des Widerspruchs klären“. Notwendig sei, dass Organspender „zum eigenen Tod Stellung nehmen“. Viele sähen hingegen die Widerspruchsregelung als bequeme Lösung an, „weil sie sich eben nicht mit dem eigenen Tod beschäftigen müssen“.
Dies kann der Herz-Transplanteur und Befürworter der Widerspruchsregelung Gummert durchaus nachvollziehen. „Muss man alle Menschen zwingen, sich so intensiv mit dem Tod auseinanderzusetzen?“, fragte der Chirurgie-Professor in der Diskussion. „Für die Mehrheit der Menschen ist doch vor allem wichtig, dass sie beim Sterben keine Schmerzen haben – und sobald sie dann das Bewusstsein verlieren, ist es für sie vorbei“, so der Mediziner. Zudem betont Gummert mit Blick auf den Hirntod: „Wenn das Hirn nicht mehr durchblutet ist, ist für mich persönlich der Sterbeprozess abgeschlossen. Für mich ist das Hirn das, was den Menschen ausmacht.“
Einig war sich das Podium, dass die Widerspruchsregelung kein Allheilmittel wäre. „Wie werden auch damit nicht in eine Situation kommen, dass wir so viele Spenderorgane haben, dass der Bedarf auch nur annähernd gedeckt wäre“, so Gummert. Er sieht zum Beispiel in der Organisation der Kliniken noch viel Verbesserungsbedarf und hofft auf ein Gesetz, dass der Bundesgesundheitsminister noch vor der Frage der Widerspruchslösung durch den Bundestag bringen möchte.
Gummert verwies zudem auf Patientenverfügungen. Auch dort sollte man Regelungen treffen, um nach dem eigenen Tod Organe spenden zu können. Ein Intensivmediziner im Publikum beschrieb, dass viele Verfügungen bei Sterbenden oft die intensivmedizinischen Behandlungen ausschlössen, die nötig wären, um sie als Organspender zu erhalten. Ein Problem sieht Gummert auch in der mangelnden Finanzierung der Kliniken: Wenn bei einem Patient der Hirntod festgestellt wurde, erhielten Krankenhäuser für die bis zur Transplantation weiter notwendige Behandlung kein Geld. „Deshalb melden einigen Kliniken Organspender gar nicht erst an.“
Die Organspender-Zahlen in Deutschland seien im Übrigen nicht nur auf Grund der Verunsicherung nach Skandalen so niedrig, sondern auch aus erfreulichen Gründen, beschrieben Gummert und mehrere Ärzte im Publikum: Grade im Ruhrgebiet habe es in früheren Jahren deutlich mehr Verkehrstote oder Opfer von Arbeitsunfällen geben, die unter Umständen als Organspender zur Verfügung standen. So hat die verbesserte Sicherheit die Perspektiven für viele Todkranke verschlechtert.