von Jürgen Flatken

Gewappnet gegen den Sturm

Die Zahl der Menschen, die sich wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandeln lassen müssen, steigt langsam an. Das Elisabeth-Krankenhaus - Essens erstes Krankenhaus - hat hausintern beschlossen, dass die Internistisch-Kardiologische Intensivstation vornehmlich für Covid-Patienten reserviert werden soll. Wir haben bei Stationsleitung Saskia Gesenberg und Chefarzt Ingo Voigt einmal nachgefragt, wie die momentane Situation in ihrem Krankenhaus ist und warum die beiden, bei aller Dramatik, ihre Hoffnung nicht verlieren.

Bistum Essen: Jetzt ist Krise und das Gesundheitsthema ist das Thema schlechthin. Sie werden als Heldinnen und Helden des Alltags gefeiert. Wie finden Sie das?

Saskia Gesenberg: Wir freuen uns darüber und wissen das auch zu schätzen, dass der Beruf einmal die Anerkennung bekommt, die er verdient.

Ingo Voigt: Ich freue mich natürlich auch darüber, wenn einer danke sagt. Das ist für jeden, glaube ich, elementar. Kritisch sehe ich aber, dass dieser Hype, befeuert durch die sozialen Medien, Formen annimmt, die mehr der Selbstinszenierung dienen, als der wirklichen Unterstützung.

Wie kann es anders gehen?

Ingo Voigt: Ich freue mich riesig, wenn ich nach acht, zehn, zwölf Stunden Dienst aus dem Krankenhaus komme und sehe, dass ein Kind uns ein nettes Bild aus Kreide auf dem Boden gemalt hat. Toll war auch, als der Pizzaservice ein paar Pizzen reingebracht hat, einfach so. Oder die Aktion älterer Damen, die für uns tolle Schutzmasken genäht haben. Solche Aktionen finde ich, finden wir klasse. Ich bin aber gespannt, was passiert, wenn die Krise vorbei ist.

Was erhoffen Sie sich, dass sich ändert?

Saskia Gesenberg: Ich hoffe, dass man sich Gedanken über den Personalschlüssel macht. Und auch darüber, was unsere Vergütung betrifft. Andererseits hat sich der Zusammenhalt im Team und mit den Kollegen im Haus gerade unglaublich positiv verändert. Er war vorher schon gut. Aber jetzt unterstützt man sich gegenseitig, über alle Abteilungen hinweg. Ich hoffe, dass das so bleibt.

Ingo Voigt: Unterschiedliche Bereiche haben sich noch mehr verzahnt. Ein „Blick über den Tellerrand“-Effekt hat eingesetzt. Man sieht nicht mehr nur sich und seine Abteilung. Das fördert das Verständnis füreinander. Mein Wunsch wäre, dass das über die Krise hinweg anhalten würde.

Wie ist gerade die Situation bei Ihnen im Krankenhaus?

Ingo Voigt: Wir haben jetzt aktuell noch nicht die Zustände, wie man sie aus Italien oder Spanien kennt mit vollen Notaufnahmen oder Intensivstationen. Wir haben natürlich Patienten hier liegen, Covid- und auch Nicht-Covid-Patienten. Aber wir haben die Zeit genutzt, als wir gesehen haben, wie die Italiener mit Akutfällen überrannt worden sind, und uns auf solch ein Szenario vorbereitet, so gut man sich auf so etwas eben vorbereiten kann.

Was heißt das konkret?

Ingo Voigt: Wir haben Präventionsmaßnahmen ergriffen, die Materialbeschaffung hochgefahren, Schulungen durchgeführt und Arbeitsprozesse umstrukturiert. Diese Chance hatten die Kollegen in Spanien und Italien nicht. Deshalb sind wir vielleicht besser vorbereitet. Das ist meine große Hoffnung.

Saskia Gesenberg: Vieles geschieht zurzeit auf dem kurzen Dienstweg, weil jeder versucht, die Sache unbürokratisch zu handhaben. Das gilt nicht nur für die Klinik, sondern auch mit den Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Es ist ein Gesamtkonzept, das gerade greift. Das ist wunderbar zu sehen.

Der D-Day kann kommen. Sie sind also vorbereitet.

Ingo Voigt: Beim D-Day war das ja so, dass auf einmal unzählige Boote mit wieviel tausend Soldaten an der französischen Küste gelandet sind, man wurde überrannt. Dieses Szenario wollen wir natürlich nicht. Wir sehen schon, dass die Patientenzahlen gerade schneller ansteigen. Aber das ist noch gut händelbar. Wir sind vorbereitet. Deswegen: so einen richtigen D-Day wird es nicht geben.

Also alles gut?

Ingo Voigt: Wir haben in Deutschland den Vorteil, dass wir über doppelt so viele Intensivbetten verfügen, als andere Länder. Diese Kapazitäten versuchen wir gerade noch einmal zu verdoppeln. Also, an den Betten wird es am Ende wohl nicht scheitern, sondern eher am Pflegepersonal.

Weil…

Saskia Gesenberg: Der Mangel an Pflegekräften ist ja bekannt. Eine Verdopplung von Intensivkapazität in kürzester Zeit ist nur schwer möglich. Nicht zuletzt, weil eine Fachweiterbildung zur Intensivfachpflege zwei Jahre dauert.

Angesichts der Krise mit all ihrer Dramatik, was lässt Sie die Hoffnung nicht verlieren?

Saskia Gesenberg: Das Team. Punkt. Dass wir uns untereinander stärken, austauschen und diesen tollen Zusammenhalt haben. Und zu wissen, dass wenn irgendwelche Probleme oder Krisensituationen auftreten, dass dann jemand da ist, den ich ansprechen kann. Wir sind ein Team, ein Team aus Ärzten und Pflegekräften. Und, wir arbeiten alle in einem caritativen Beruf, weil wir irgendwie irgendwo das Licht am Ende des Tunnels sehen. Man soll die Hoffnung nie aufgeben.

Ingo Voigt: Wir haben ein gutes Team, mit dem wir hier zusammenarbeiten. Dafür haben wir auch einiges getan. Letztes Jahr sind wir mit einer großen Gruppe bei den „Mud-Masters“ durch den Matsch gerobbt. Das schweißt zusammen. Und wir haben uns, so gut es geht, vorbereitet. Mit dem, was ich gelernt habe, mit dem, wie ich mein Team ausgebildet habe, kann ich versuchen, Leid zu lindern und Patienten wieder zu ihren Familien zu bringen: Das ist meine Hoffnung.

Sie sind auch Mitglied des Klinischen Ethikkomitees. Wie kommen die mit der „Triage“ klar? Der Tatsache, dass Sie die Entscheidung über Leben und Tod fällen?

Ingo Voigt: In Italien ist es so gewesen, dass die Kliniken von den Patienten überrannt worden sind und aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen nicht mehr alle Patienten behandeln konnten. Dann müssen Entscheidungen getroffen, Menschen in Behandlungskategorien eingestuft werden: wer wird behandelt und wer nicht. In Deutschland gibt es Empfehlungen der Fachgesellschaften, wie man damit umgehen sollte. Wir haben aber aktuell noch mehr als genug Ressourcen, um alle Patienten versorgen zu können.

Ich wollte diese Entscheidung nicht treffen müssen. Was sagt Ihr Gewissen dazu?

Ingo Voigt: Bis jetzt stand ich noch nicht vor so einer Entscheidung. Die Zustände in Italien sind beunruhigend. Man hört von Kollegen, denen die Situation schwer zusetzt. Aber für solche Fälle gibt es bei uns einen seelsorgerischen Beistand, der für einen da ist, wenn man merkt, man kommt mit einer Situation nicht klar. Aber ich hoffe, dass ich so eine Entscheidung nicht treffen muss.

Wie verarbeiten Sie traumatische Erlebnisse?

Ingo Voigt: Wenn Patienten von mir sterben, setzt mir das schon zu. Die Bilder nehme ich schon mit nach Hause. Jeder hat da so seine Methode, wie er solche Sachen verarbeitet. Ich persönlich mache sehr viel Sport. Beim Laufen habe ich dann Zeit, mir darüber Gedanken zu machen und das für mich zu verarbeiten. Das ist meine Strategie damit klar zu kommen.

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Zur Person

Saskia Gesenberg: Die 42-Jährige arbeitet als examinierte Fachkrankenschwester auf der kardiologischen, internistischen Intensivstation des Elisabeth-Krankenhauses in Essen. Als Stationsleitung organisiert und koordiniert sie die Arbeit ihrer 26 Kolleginnen und Kollegen.

Dr. med. Ingo Voigt: Der 43-Jährige ist Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin am Essener Elisabeth-Krankenhaus. Er leitet die Notaufnahme des Krankenhauses mit der Aufnahmestation, der Intensivstation und der Zwischenintensivstation. Voigt ist auch Mitglied des Klinischen Ethikkomitees. 

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