von Cordula Spangenberg

Erst Tod, dann Geburt: Was hilft Eltern eines Sternenkindes in der Zeit der Trauer?

Die Totgeburt der kleinen Ida hat das Leben ihrer Eltern auf den Kopf gestellt. Nun berichten sie, was ihnen in der Zeit der Trauer geholfen hat – und was nicht.

Was Eltern in der Krise hilft:

Auch der Vater kann sich krankschreiben lassen

Verwaiste Eltern wollen ehrliche Gefühle, keine Trauer-Floskeln

Es gibt Seelsorge, Selbsthilfegruppen, Psychotherapie - und gute Freundschaften

„Lukas, Ida ist tot!“ Mit diesem markerschütternden Satz empfing Cornelia Weßel ihren Mann Lukas Klein-Wiele auf der Geburtsstation des Essener Elisabeth-Krankenhauses. Der künftige Vater hatte zuvor unten im Auto darauf gewartet, dass die Geburt voranschreiten sollte und er endlich die pandemiebedingten Infektionsschutz-Schleusen passieren und dazu kommen dürfte. Dann ein Anruf der Ärztin: Nichts wie rauf in den Kreißsaal.

Das Neugeborene lag tot auf der Brust seiner Mutter

Was mit Ida passiert ist, wissen die beiden bis heute nicht. Bei der Untersuchung wenige Tage zuvor war noch alles in Ordnung gewesen. Doch als die Schwangere unter Wehen ins Krankenhaus kam, blieb es verdächtig still am Herzton-Wehenschreiber. Kurz darauf die Sicherheit: Das Herz des kleinen Mädchens schlug nicht mehr. Sieben Stunden später wurde das Kind auf normalem Wege geboren, 53 Zentimeter, 3000 Gramm – so lag es zunächst wie alle Neugeborenen auf der Brust der Mutter. Aber Ida kam tot zur Welt.

Dann direkt der Abschied. Die Familienzeit zu dritt schnurrte auf die kurze Spanne im Kreißsaal zusammen. Als die Eltern bereit waren, wurden Fußabdrücke des Babys gemacht. Noch in der Nacht kam der Sternenkinderfotograf, um Erinnerungsbilder festzuhalten, am anderen Morgen die Großeltern zum Kennenlernen und Abschiednehmen. Dann mussten Cornelia Weßel (29) und Lukas Klein-Wiele (30) die Beerdigung ihrer neugeborenen Tochter planen: Im Familiengrab neben Idas Uropa.

Ein Jahr danach: Was hat den Eltern in ihrer Trauer geholfen – und was nicht?

Ein Jahr ist inzwischen verstrichen. Lange dauert es nicht mehr, dann wird Idas Geschwisterkind geboren – ein Junge, der mit der Erfahrung aufwachsen wird, dass es eine große Schwester gibt, die nicht an der Hand mitläuft. Weßel und Klein-Wiele wissen, was ihnen in der Zeit der Trauer geholfen hat und was nicht. Darüber sind sie jetzt bereit zu sprechen, auch wenn bei der Erinnerung nach wie vor Tränen aufsteigen.

Lukas Klein-Wiele fühlte sich „wie im falschen Film“, als er – dank interner Klinik-Kommunikation ohne weitere Corona-Kontrollen – zu seiner Frau hastete. Später ließ er sich für vier Wochen krankschreiben. Die Diagnose heißt in einem solchen Fall „Abnormale Trauer“ oder „Posttraumatische Belastungsstörung“, bringt aber vor allem zum Ausdruck, dass das Gesundheitssystem diesen Ausnahmesituationen des Lebens Rechnung trägt.

Eigene Gefühle äußern, aber keine Floskeln und Beschwichtigungen

„Anfangs habe ich vor allem funktioniert“, erzählt Cornelia Weßel, „die Geburt, die Planungen, die Beerdigung. Als dann die Trauer so richtig durchbrach, gab es für mich ein gutes Sicherheitsnetz.“ Ihrem Mann ging es ähnlich. Als aber der Berufsalltag wieder losging, wurde es ihm schwer, im Small-Talk auf „Wie geht es euch?“-Floskeln oder Beschwichtigungen der Marke „Das wird schon wieder“ zu reagieren. Besser als ausweichendes Schweigen fand Klein-Wiele außerdem den schlichten Satz im Freundes- oder Kollegenkreis „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“ oder die Momente, in denen andere angesichts der Baby-Katastrophe ihre eigenen Gefühle zum Ausdruck brachten oder die verwaisten Eltern einfach in den Arm nahmen. Überwältigend und tröstlich war für das Elternpaar die Flut der Briefpost, die nach der Beerdigung ihrer Tochter eintraf „von Menschen, die versuchten, Worte zu finden für etwas, das nicht beschreibbar ist“, sagt Weßel.

Beratung und Begleitung für Sternenkinder-Eltern

Eltern, die ihr Kind vor oder bei der Geburt verloren haben, finden Ansprechpartnerinnen bei der Krankenhaus-Seelsorge, zum Beispiel in den beiden Essener Geburtskliniken Elisabeth-Krankenhaus und Universitätsklinikum.

Wenn verwaiste Eltern sich nicht selbst um die Bestattung ihres Sternenkindes kümmern können oder möchten, wird ihr Kind dennoch würdig beerdigt, dazu sind die Geburtskliniken in NRW verpflichtet. In Essen gibt es vierteljährlich Sternenkinder-Bestattungen sowohl in der Kirche des Elisabeth-Krankenhauses und dem dahinter liegenden Friedhof als auch auf dem Südwestfriedhof für Kinder, die in der Uni-Klinik zur Welt kamen. Die Eltern können am Begräbnis teilnehmen, finden aber auf jeden Fall auch später noch das Grab, in dem ihr Kind liegt.

Zu einem gemeinsamen ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Sternenkinder des vergangenen Jahres laden Klinik-Seelsorgerinnen am Sonntag, 15. Oktober 2023, gegen Abend in die Essener Marktkirche ein.

 Jeder trauert anders – was hält Paare dennoch zusammen?

Menschen trauern sehr unterschiedlich. Auch Paare, die den Verlust eines Kindes betrauern, bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Freiraum und Nähe, zwischen Reden, Schweigen und Weinen, allein oder zu zweit. Das kann die Partner einander fremd machen. „Nicht aufhören zu fragen: Warum weinst du gerade jetzt?“, rät Cornelia Weßel: „Und akzeptieren, wenn die Antwort vielleicht erst nach einer Woche kommt.“

Neben der Stütze, die sie von ihrem Partner, Familie und Freundeskreis bekam, hat Weßel sich nicht allein auf ihr privates Netzwerk verlassen, sondern zusätzlich Unterstützung von außen geholt. Es gibt Seelsorge, Selbsthilfegruppen, Trauerhilfe speziell für junge Menschen, aber auch die Eins-zu-eins-Begleitung im Rahmen einer Psychotherapie, um eigene Verhaltensmuster zu klären: Warum reagiere ich in meiner Trauer so und nicht anders? Was kann ich ändern, damit es mir mental und körperlich besser geht? 

Idas Tod und der Glaube an Gott

Während die Uroma fast jeden Tag zur gemeinsamen Grabstätte ihres Mannes und der Urenkelin geht, beschäftigen sich Idas Eltern derzeit damit, welche „Gedenkkultur“ sie sich selbst schaffen wollen, damit der nahende Geburtstag ihres ersten Kindes nicht allein ein Tag der Trauer bleibt. Dabei spielt auch ihre christliche Überzeugung eine wichtige Rolle. Idas Papa ist Pastoralreferent und als Seelsorger in der Bochum-Wattenscheider Pfarrei St. Gertrud von Brabant tätig. Er hat in der Osternacht über Ida und seinen eigenen Auferstehungsglauben gepredigt. Idas Mama, die als Jugendreferentin in GleisX, der Gelsenkirchener Kirche für junge Menschen, arbeitet, sagt: „Mein Glaube zielt darauf, dass Ida bei Gott ist und wir irgendwann ein großes Wiedersehen feiern. Da bin ich unerschütterlich. Sonst könnte ich das alles noch weniger ertragen.“

Pressestelle Bistum Essen

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45127 Essen