von Thomas Rünker

Bischof Overbeck: Kultur wird nur geschützt, wenn sie gelebt wird

In der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ diskutierte der Ruhrbischof mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio über die Bedeutung und den Schutz von Kultur und Traditionen für die Gesellschaft – und für die Kirche.

Di Fabio: "Jede Zeit entscheider für sich, was sie aus der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft trägt, aber keine Zeit kommt ohne Traditionen aus."

Overbeck: „Wenn ,schützen‘ heißt, wir haben diese Tradition geprüft und für richtig befunden, dann können wir sie nur schützen, indem wir sie leben.“

Letzte Veranstaltung des Juristenrates - nach 36 Jahren geht der Rat in ein neues, größeres Gremium über.

Die Ausgangsfrage – „Wer schützt die Kultur? Staat oder Gesellschaft?“ – hatte der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio bereits zu Beginn des Abends ohne Widerspruch beantwortet: „Kultur wird nicht von Instanzen wie dem Staat, der Sozialversicherung oder von Bürgerinitiativen geschützt, sondern sie wird von uns allen, von jedem einzelnen geschützt – oder sie wird erodieren“, hob der in Duisburg geborene Professor hervor, der bis 2011 am höchsten deutschen Gericht tätig war und heute an der Uni Bonn lehrt. Doch was genau diese Kultur ist – und ob man sie wirklich schützen muss, das blieb in der Podiumsdiskussion mit Bischof Franz-Josef Overbeck, zu der der Juristenrat des Ruhrbistums in die Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ eingeladen hatte, letztlich offen. In erster Linie zeigte die von dem JournalistenVolker Resing moderierten Runde, dass der Kultur-Begriff zu vielschichtig ist, als dass man ihn mit „Leitkultur“-Debatten erfassen könnte oder durch die Feststellung, letztlich sei allein die Sprache in Deutschland kulturprägend.

„Kulturen sind Integrations-Einladung, nicht Exklusions-Programm“

„Es gibt ein soziokulturelles Fundament der Gesellschaft, das der Pflege bedarf“, hob Di Fabio hervor. Jede Zeit entscheide für sich neu, was sie aus der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft trage, „aber keine Zeit kommt ohne Traditionen aus. Eine Gesellschaft, die traditionsfeindlich ist, droht auseinanderzufallen.“ Gelegentlich würden einst verstaubt geglaubte Traditionen auch wiederentdeckt, sagte der Jurist und verwies auf Promotionsfeiern, bei denen er mit Talar und weißen Handschuhen auftreten – Talare, die 1968 mit Verweis auf den „Muff von 1000 Jahren“ eingemottet worden seien. Di Fabio beschrieb, dass die deutsche wie viele andere europäische Gesellschaften heute offener und weniger auf die eigene Nation bezogen seien: „Wir sind aber immer noch von Nationalkulturen geprägt.“ Der eigene Kulturraum sei ein Rückzugsort, zugleich würden die Nationalkulturen Prozesse wie den der europäischen Integration bremsen. Overbeck warb dafür, von „Kultur in Deutschland“ zu sprechen – wenn man den Begriff der „deutschen Kultur“ überstrapaziere, wirke er ausschließend anstatt die Gesellschaft zu verbinden. Auch Di Fabio betonte, dass gut gepflegte Kulturen „eine Integrations-Einladung und kein Exklusions-Programm“ seien.

„Traditionen nicht ins Museum stellen“

Beim Schutz von Kultur und Traditionen könne es indes nicht darum gehen „sie ins Museum zu stellen“, hob der Bischof hervor. „Wenn ,schützen‘ heißt, wir haben diese Tradition geprüft und für richtig befunden, dann können wir sie nur schützen, indem wir sie leben.“ Overbeck verwies auf den Besuch der Sonntagsmesse: „Bei jeder Kirchenschließung verlieren wir rund 30 Prozent der Gottesdienstbesucher, die künftig nicht mit in die Nachbarkirche gehen.“ Da gehe es nicht um theologische Fragen, „sondern darum, dass sie dann nicht mehr neben ihrem Nachbarn, ihren Freunden – und auch nicht auf ihrem angestammten Platz sitzen können“. In der Vergangenheit hätte die Kirche „diese sozialen Dimension des Religiösen unterschätzt“ gesteht Overbeck selbstkritisch ein. „Zum Christentum gehört die Vergemeinschaftung“, dies sei ein kultureller Kern der Kirche, betonte der Bischof. Nun könne es aber nicht darum gehen „den Gottesdienst in der Form des 19. Jahrhunderts ins Museum zu stellen“. Vielmehr müsse die Kirche zeitgemäße Formen der Musik, der gemeinsamen Feier und „der ökumenischen Weite“ finden, um diese Kultur auch heutigen und künftigen Generationen zu erschließen.

Letzte Veranstaltung des Juristenrats

Wie die Weiterentwicklung einer Tradition ganz konkret aussehen kann, demonstrierte am Ende des Abends der einladende Juristenrat selbst: Nach 36 Jahren löst sich das Beratergremium von Bischof Overbeck auf, um – analog zu den anderen gesellschaftspolitischen Räten im Ruhrbistum – Gremien Platz zu machen, die weniger einen Berufsstand repräsentieren als ihre gesellschaftliche Relevanz im Blick haben. Bischof Overbeck dankte den Rats-Sprechern Andreas Mauer und Stefan Schulte sowie dem gesamten Gremium für die wertvolle Arbeit der vergangenen Jahre – und versprach den knapp 200 Zuhörern in der „Wolfsburg“, dass es auch in der neuen Räte-Struktur spannende Podiumsdiskussionen geben werde.

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