Ökumene auf dem Abstellgleis?

Die Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen zählte nicht zu den Schwerpunkten des Kirchentags in Stuttgart. Dennoch wurden ökumenische Akzente gesetzt.

Es war ein Scherz nicht ohne tiefere Bedeutung. „Ich hoffe, dass die Kirchentagsleitung die Ökumene nicht aufs Abstellgleis stellen will“, meinte der württembergische evangelische Landesbischof Frank Otfried July angesichts des Veranstaltungsorts für den „Thementag Ökumene“, einem alten Lokschuppen für ausgemusterte Straßenbahnen. Auch die Teilnehmerzahlen blieben hier überschaubar – ebenso wie bei anderen Veranstaltungen mit ökumenischer Thematik, die etwa zwei Prozent der rund 2.500 Termine ausmachten.

Bereits vor Beginn des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags hatte es ökumenische Verstimmungen gegeben. Die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD) hatte beklagt, dass weder zum zentralen ökumenischen Gottesdienst noch sonst im Programm ein Vertreter der mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern drittstärksten christlichen Konfession in Deutschland vertreten sei. Kirchentagspräsident Andreas Barner bemühte sich um Schadensbegrenzung und erklärte, dass diesmal bewusst Vertreter aus den Krisengebieten Syrien und Ägypten als Repräsentanten der Kirchen des Ostens ausgesucht worden seien, um ein Zeichen zu setzen. Er betonte zugleich die „traditionell guten Beziehungen“ zur orthodoxen Bischofskonferenz und beteuerte, alle Vertreter der Bischofskonferenz seien eingeladen worden.

Der OBKD-Beauftragte für Ökumene, der griechisch-orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron wertete dies in einem „Facebook“-Eintrag als „etwas irreführend“ – es habe sich um keine Einladung zur Mitwirkung, sondern eine „einfache Einladung“ gehandelt, wie sie an den gesamten Presseverteiler des Kirchentags gegangen sei. Dies sei „nicht dem erreichten ökumenischen Level unserer Beziehungen in Deutschland angemessen“. Die freundlichste Erklärung für den Fauxpas ist, dass die Kirchentags-Verantwortlichen den Unterschied zwischen den altorientalischen Kirchen und der griechisch-orthodoxen Kirchenfamilie nicht kennen. Immerhin ist in den nächsten Tagen ein klärendes Gespräch der OBKD und der Kirchentagsleitung geplant.

Sehr gut vertreten waren auf dem Kirchentag katholische Christen, von den zahlreichen Mitwirkenden aus den Stuttgarter Pfarreien bis zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das eine Podienreihe zum Thema „Europa in Beziehung“ mitverantwortete. (Anders als in den vergangenen Jahren gab es diesmal keine statistischen Angaben zur Konfession der Dauerteilnehmer – übrigens 20.000 weniger als in Hamburg.) Marx sagte bei einer Bibelarbeit, der Kirchentag sei „für alle Christen in Deutschland eine positive und ermutigende Erfahrung und ein Zeichen der Freude“. ZdK-Präsident Alois Glück würdigte Kirchentage und Katholikentage als ökumenische Ereignisse. Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, würdigte das Christentreffen als großartiges Ereignis und fröhliches Glaubensfest.

Weniger gelungen war diesmal der zentrale ökumenische Gottesdienst, der nicht nur wegen der ungünstigen Terminierung am frühen Nachmittag des Fronleichnamstags in der Sommerhitze des Schlossplatzes unter keinem guten Vorzeichen stand. Viele Teilnehmer suchten den Schatten am Rand des Geländes auf, so dass die Gottesdienstgemeinschaft ausfranste. Hinzu kam, dass mit dem Titel – in Anspielung auf die Taufe und das Taufkleid – „Gott weiß, was uns steht – Kleider, die nicht aus der Mode kommen“ zwar Mode- und Design-Studenten zu illustrativen Darbietungen angeregt wurden, aber darüber hinaus wenig inhaltliche Impulse kamen. An dem Gottesdienst nahm auch Erzbischof Julius Hanna Aydin von der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland teil. Warum wurde hier nicht das Leiden der Christen im Nahen Osten in den Mittelpunkt gestellt? In einem kurzen Statement vor Beginn des Gottesdienstes bekundete er seine Verbundenheit mit dem Kirchentag. „Wir fühlen uns hier zu Hause, es ist auch unser Kirchentag“, sagte Aydin. „Wir sind Schwesterkirchen, wir sind eine Familie“, fügte er hinzu. In Deutschland leben rund 100.000 Mitglieder der altorientalischen syrisch-orthodoxen Kirche.

Immer wieder ging es in Stuttgart um die Frage, welche Rolle das Reformationsjubiläum 2017 für die Ökumene spielen werde. Die vergangenen Jahre der sogenannten Reformations- oder Lutherdekade haben hier mittlerweile zu weitreichenden Klärungen geführt. Der Catholica-Beauftragte der Verei­nigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Landesbischof Karl-Hinrich Manzke, und der Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gerhard Feige, sprachen von Lernprozessen auf beiden Seiten. Zahlreiche „Missverständnisse“ seien überwunden. Die Protestanten wollten das Jubiläum „von innen heraus ökumenisch begehen“, betonte Manzke. Dabei solle es „keine Jubelfeier“ geben, denn die Reformation sei „keine reine Erfolgsgeschichte“ gewesen. Vielmehr solle daran erinnert werden, dass es das Ziel der Reformatoren gewesen sei, die „Wurzeln der Christenheit wieder freizulegen“. Die Kirchen müssten ihrer gemeinsamen Verantwor­tung gegenüber der säkularen Gesellschaft gerecht werden und den gemeinsamen Glauben verkünden. Es gehe nicht um protestantische Selbstbeweihräucherung, bekräftigte auch der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Feige zeigte sich dankbar, „dass wir gemeinsame Zugänge und Ansätze gefunden haben“. Protestan­ten und Katholiken könnten feiern, dass sie mehr verbinde als trenne. Sie könnten sich gegenseitig bereichern und so „zu einer volleren Katholizität führen“. Dabei gelte für alle Kirchen der Satz, dass sie sich immer wieder reformieren und verändern müssten, betonte der Magdeburger Bischof. Zugleich riet er dazu, das Datum 2017 nicht mit Erwartungen zu überfrachten. Eine Einigung im Abendmahlsverständnis etwa sei bis dahin realistischerweise nicht zu erwarten. Der Mainzer Kardi­nal Karl Lehmann warnte dagegen in einer Bibel­arbeit davor, den Zeitpunkt für eine Einigung zu verpassen. „Wir tun so, als ob wir unendlich viel Zeit hätten“, gab er zu bedenken. Das könne sich als falsch herausstellen. Auch Bischof Fürst betonte: „Wir dürfen nicht müde werden, alles dafür zu tun, dass die christlichen Kirchen eins werden.“ Landes­bischof July forderte, es müsse endlich eine Lösung gefunden werden, damit evangelische Christen mit einem katholischen Ehepartner auch im katholi­schen Gottesdienst zur Kommunion gehen könnten. „Das muss jetzt schnell auf die Agenda.“

Der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, Gottfried Locher, hob hervor, auch die innerprotestantische Ökumene sei nicht abgeschlossen und müsse weiter vorangebracht werden. Dies sei umso dringlicher, als das Gespräch mit der katholischen Seite derzeit nicht recht weiterkom­me. Mehr als die Hälfte der Protestanten weltweit seien keine Lutheraner, so Locher. Für diese sei das Datum 2017 nicht so wichtig, „wir Schweizer feiern aber trotzdem mit“. Locher sprach sich für eine „Ökumene der Transparenz“ aus. So müsse auf die „Bruchlinien“ zwischen den Kirchen geblickt werden. Zudem müssten die Kirchen stärker transparent für Gott werden.

Der evangelische Kirchentag 2017 vom 24. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg wird zu den Hö­hepunkten des protestantischen Jubiläumsjahres zählen. Weiter unklar sind dagegen der Ort und Termin für einen dritten Ökumenischen Kirchentag nach Berlin 2003 und München 2010. Barner betonte, das Kirchentagspräsidium halte ebenso wie das ZdK am Jahr 2021 als Termin fest. Voraus­setzung dafür sind Einladungen der gastgebenden Landeskirche und des entsprechenden katholischen Bistums. Angesichts der komplizierten Abstimmungsprozesse der unterschiedlich organisierten Veranstalter war in der Vergangenheit von einem siebenjährigen Vorlauf die Rede. Somit könnte es für 2021 schon knapp werden.

Norbert Zonker, KNA

Pressestelle Bistum Essen

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