von Thomas Rünker

Ruhrbischof fordert mehr kirchliches Engagement gegen Hass und Hetze

In der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ diskutierte der Bischof mit der Politikerin Berîvan Aymaz und dem Konfliktforscher Andreas Zick über die wachsende Herausforderung von Hass in der Gesellschaft.

Berîvan Aymaz erlebt Hass und Bedrohungen als grüne Landtags-Politikerin.

Auch Bischof Overbeck wurde und wird beschimpft und bedroht.

Konfliktforscher Zick empfiehlt engagierte Zivilcourage als Instrument gegen Hass-Taten.

Im Kampf gegen Hass und Hetze in der Gesellschaft wünscht sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ein stärkeres Engagement seiner Kirche. „Im Feld der Demokratie, der Freiheit und der Würde jedes einzelnen Menschen als Person könnten wir viel stärker sein“, sagte er am Dienstagabend in Mülheim. In der Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“ diskutierte Overbeck unter der Überschrift „Die aufgehetzte Gesellschaft – Wie ist dem Hass zu begegnen?“, zusammen mit der Vizepräsidentin des NRW-Landtags Berîvan Aymaz (Grüne) und dem Bielefelder Psychologie-Professor, Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick.

Auf die Frage von Moderator Jens Oboth nach persönlichen Hass-Erfahrungen konnte vor allem die grüne Politikerin Aymaz vielfältig berichten: Von absichtlich beschädigten Wahlplakaten über aggressive Drohungen in Online-Medien, massiv beleidigende Briefe („du dreckige ausländer-schweinepriesterin“) bis zu gezielten Verbal-Attacken im Landtag. „Da bin ich über mehrere Jahre zur Zielscheibe der AfD-Fraktion geworden“, machte Aymaz deutlich, dass Hass auch vor dem vermeintlich „hohen Haus“ des Parlaments nicht Halt mache. Im Gegenteil, Aymaz berichtete von „übelsten sexistischen Beschimpfungen“. Gerade als Vizepräsidentin setze sie sich intensiv dafür ein, „die demokratische Streitkultur aufrechterhalten. Das Parlament ist kein Kuschelclub“. Aber mit der gleichen Intensität müsse Pöbeln sanktioniert werden.

„Da habe ich mich plötzlich in meinem Heimatland nicht mehr sicher gefühlt“

Auch Bischof Overbeck berichtete, dass er insbesondere seit der Migrationskrise 2015 von persönlichen Anfeindungen betroffen sei. Da sei er nicht nur in E-Mails, sondern auch in der Öffentlichkeit beschimpft und bedroht worden. „Das hat mich schon sehr berührt, weil ich mich plötzlich in meinem eigenen Heimatland nicht mehr sicher gefühlt habe“, sagte Overbeck – obwohl die Polizei und auch die Bundeswehr auf ihn als Bischof von Essen und Militärbischof intensiv aufgepasst hätten. Selbst innerhalb der Kirche sei der Kirche rauer geworden. Seit 2020/2021 würden ihm zudem Menschen, „die sich selbst als besonders katholisch beschreiben“, angesichts der innerkirchlichen Diskussionen um den Synodalen Weg absprechen, noch den katholischen Glauben zu vertreten. „Bei diesen reaktionären Kreisen hat mich insbesondere die Dimension der Radikalisierung erschrocken“, schilderte der Bischof.

Hass wird „unbarmherziger und schärfer“ – „sichtbarer und hörbarer“

Der Hass werde „unbarmherziger und schärfer“, bilanzierte Overbeck mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre. „Er wird sichtbarer und hörbarer“, fasste es Aymaz zusammen. Früher habe es Shitstorms im Netz gegeben, „jetzt gibt es offene Wut bei Kundgebungen“. Diese gefühlten Veränderungen unterstützte der Konfliktforscher Zick mit validen Zahlen: Bei den sogenannten vorurteilsbasierten Delikten wiesen die Kriminalstatistiken der vergangenen Jahre zum Teil deutliche Anstiege auf. „In der Corona-Pandemie ist die soziale Distanz gestiegen – und die Hass-Taten haben zugenommen.“ Dabei sei das bundesweit bevölkerungsreichste Bundesland NRW „bei diesen Hass-Taten mit an der Spitze“.

Ein relativ neuer Trend sei, dass Hass sich allgemein gegen Personen richtet, die sich gesellschaftlich engagieren, beschrieb Zick – also nicht nur gegen Politikerinnen und Politiker, sondern zum Beispiel auch gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Dabei seien Hass-Taten selten spontane Regungen, sondern oft organisiert. Die Blockade gegen Wirtschaftsminister Habeck „lag gewissermaßen in der Luft“, beschrieb Zick die Lage im Umfeld der aktuellen Bauernproteste, „so etwas geschieht nicht zufällig, sondern durchaus orchestriert.“ Und während politische Extremisten früher eigene Wege gegangen seien und eigene Demonstrationen organisiert hätten, gingen sie heute kurzfristige Allianzen mit anderen Organisationen ein, um Menschen in der politischen Mitte zu erreichen. „Dass sich die Offiziellen von diesen Extremisten anschließend öffentlich distanzieren, stört dabei überhaupt nicht“, so Zick.

„Kein Zustand der Krise, sondern ein massiver Umbruch“

Einen Grund für den wachsenden Hass in der Gesellschaft sieht Bischof Overbeck in einer zunehmenden Unsicherheit: „Wir befinden uns nicht im Zustand eine Krise, sondern in einem massiven Umbruch“, betonte der Bischof sowohl mit Blick auf die Kirche als auch auf die Gesellschaft. „Je massiver dieser Umbruch ist, desto unsicherer werden die Menschen.“ Diese Unsicherheit führe zu Angst, die sich bei manchen in Wut und Hass äußere. In der Kirche erlebe er diese massive Unsicherheit sowohl bei er Frage „Wie leben wir als Kirche?“ hinsichtlich der Diskussionen im Synodalen Weg als auch bei der Frage „Wer sind wir als Mensch?“: „Wenn sich neue Erkenntnisse der Wissenschaften nicht mehr mit manchen Glaubens- und Moralvorstellungen vereinbaren lassen, bringt das für einige Menschen ihr Weltbild ins Wanken“, so Overbeck.

Dialoge mit dem Bischof

In der im Jahr 2012 gestarteten Reihe „Dialoge mit dem Bischof“ lädt die Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“ gemeinsam mit der Bank im Bistum Essen (BiB) regelmäßig zu Podiumsgesprächen mit Bischof Franz-Josef Overbeck und Gesprächspartnerinnen und -partnern aus Kirche, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, um aktuelle kirchliche und gesellschaftliche Fragen zu diskutieren.

Als konkretes Gegenmittel gegen Hass und Hetze empfahl Konfliktforscher Zick: „Zivilcourage hochfahren! Nicht einfach weggucken und ertragen, sondern handeln. Hass muss ins Hellfeld gebracht werden – auch wenn wir Menschen dazu neigen, ihn zu verniedlichen“, so der Psychologe. Die Politikerin Aymaz regte darüber hinaus neue Bündnisse und Allianzen in der Gesellschaft an, „da müssen wir alle uns noch mehr aufeinander zu bewegen“. Auch die Parteien in den Parlamenten müssten „da noch mal stärker die Hand ausstrecken“, um gesellschaftliche Gruppen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen, säkulare Zivilgesellschaft und die Parteien im gemeinsamen Engagement gegen Hass und Gewalt und für Freiheit und Demokratie neu miteinander zu verbinden.

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