von Thomas Rünker

Gottesdienst öffnet Raum für Trauer über Sternenkinder

Im Gedenken an Kinder, die während der Schwangerschaft gestorben sind, beschriften die Gäste des Gottesdienstes in St. Maria Magdalena am zweiten Adventssonntag Sterne, die an Heiligabend über der Krippe in der Kirche hängen. Alle Gäste erhalten zudem eine Kerze, die am Abend beim „Worldwide Candle Lighting“ im Gedenken an verstorbene Kinder entzündet wird.

Gottesdienst in St. Maria Magdalena am 10. Dezember um 17 Uhr

Sterne mit Namen erinnern an verstorbene Kinder

Viel Raum für individuelle Trauer an einem besonderen Ort

„Möge ihr Licht für immer leuchten!“ Wenn am 10. Dezember, dem zweiten Sonntag im letzten Monat des Jahres, beim „Worldwide Candle Lighting“ aller verstorbenen Kinder gedacht wird, stehen in Bochum-Wattenscheid besonders die Kinder im Fokus, die erst gar nicht lebend zur Welt gekommen sind. Um 17 Uhr laden zwei Sternenkinder-Mütter und eine Gemeindereferentin dann zu einem ökumenischen Gottesdienst in die Kirche St. Maria Magdalena, Wattenscheider Hellweg 97, um sich gemeinsam an Sternenkinder zu erinnern, der Trauer um die ungeborenen Kinder Raum zu geben und Zeichen gegen das Vergessen zu setzen.

„Ich finde es wichtig, dieses Thema an diesem weltweiten Gedenktag hier vor Ort sichtbar zu machen“, sagt Susanne Starkmuth, die seit gut vier Jahren ehrenamtlich das Online-Forum www.fehlgeburt.info betreibt, in dem sich Sternenkinder-Eltern austauschen. Und obwohl dies kein religiöses oder kirchliches Angebot ist, würden viele Frauen – Männer beteiligen sich dort kaum – in ihren Beiträgen die Vorstellung beschreiben, „dass ihre Kinder nun im Himmel sind, und dass sie sie dort einmal wiedersehen“, berichtet Starkmuth. So entstand die Idee zu dem Gottesdienst, der in dieser Form eine Premiere in Bochum-Wattenscheid ist.

Ein Stern für jedes verstorbene Kind

Den Begriff „Sternenkinder“ werden Susanne Starkmuth, Cornelia Weßel, Jugendreferentin in GleisX, der Kirche für Junge Menschen in Gelsenkirchen, und Gemeindereferentin Gertrude Knepper dabei ziemlich wörtlich nehmen: Für jedes verstorbene Kind gibt es einen kleinen Stern, auf dem trauernde Eltern, Geschwister, Großeltern oder andere Zugehörige den Namen notieren können. Zusammen mit allen anderen Sternen – auch denen für die Kinder, die noch keinen Namen hatten – werden die Sterne an ein Holzgestell gebunden, das wie ein großes Mobile aufgehängt wird. „Das steht dann in unserer Kirche – und an Heilig Abend rücken wir es ganz nah an die Krippe“, sagt Knepper. Der Stern von Bethlehem bekommt diesmal also reichlich Unterstützung.

Die Sterne stehen für so viel Traurigkeit, aber auch für unglaublich viel Liebe – so wie der Ort in der Kirche, an dem Starkmuth, Weßel und Knepper zum Sternenkinder-Gedenkgottesdienst einladen: Hinter dem Altar gibt es in St. Maria Magdalena ein kreuzförmiges Becken, in dem Menschen getauft werden. „Wir feiern hier aber auch Trauerfeiern“, sagt Knepper – Ausdruck eines Glaubens, bei dem das Leben auch nach dem Tod weitergeht. Gerade Familien, die ihr Sternenkind beerdigen, wünschten sich eine Feier an diesem Ort, so Knepper. „Hier ist die Ambivalenz zwischen Freude und Leid so konzentriert, dass man sich der kaum entziehen kann“, beschreibt Sternenkind-Mutter Weßel den besonderen Raum in der Kirche.

Viel Platz für individuelle Trauer

„Im Gottesdienst wird es viel Platz für individuelle Trauer geben“, kündigt Weßel an. Starkmuth ist das vor allem mit Blick auf die betroffenen Frauen wichtig. „Wer eine Fehlgeburt hatte schämt sich, fühlt sich schuldig und nicht normal“, so ihre Erfahrung. Kinder zu bekommen, sei doch das Normalste von der Welt. Doch wenn das Kind stirbt, denken Frauen „ich habe das nicht hinbekommen“. Umso wichtiger sei es, den Frauen zu sagen, dass auch Sternenkinder zum Lauf der Natur gehörten und niemand eine Schuld an deren Tod trage. Doch viele Frauen tabuisierten das Thema, so ihre Erfahrung. Starkmuth ist Mutter von drei Sternen- und fünf lebenden Kindern zwischen einem und zwölf Jahren.

Die ersten Reaktionen auf ihr Gottesdienst-Projekt machen den drei Frauen diesbezüglich Mut. Viele Bestatter im Umfeld der Kirche hätten das Plakat für den Gottesdienst ausgehängt, hat Knepper festgestellt – offenbar weiß man dort um die Not von Sternenkinder-Familien und die große Hilflosigkeit, die sich auch nach Kneppers Erfahrung einstellt, wenn eine Schwangerschaft derart dramatisch endet. Zudem weiß die Gemeindereferentin, dass Eltern die Trauer um verstorbene Kinder, die sie kaum kennenlernen konnten, oft erst verdrängen und sich diese dann manchmal nach Jahren oder Jahrzehnten Bahn bricht. „Das, was da kaputtgegangen ist, das kann man nicht wieder gut machen“, hat Knepper erfahren. Deshalb sind zum Gottesdienst ausdrücklich alle Menschen eingeladen, die um ein Sternenkind trauern, egal wie lange schon.

Vielleicht könne der Gottesdienst manchen Familien helfen, „dass das Thema einen Platz im Leben findet“, sagt Cornelia Weßel. „Vielleicht kann er ein Rahmen sein, in dem Menschen ihrer Trauer, ihrem Suchen einen Raum geben können.“ Weßel hat vor knapp eineinhalb Jahren ihre Tochter kurz vor der Geburt verloren und im Sommer zusammen mit ihrem Mann darüber berichtet, was ihnen in der Zeit danach geholfen hat.

Sternenkinder - viele Paare sind betroffen

Als Sternenkinder werden heute alle Kinder bezeichnet, die vor, während oder kurze Zeit nach der Geburt sterben - egal, ob sie im juristischen Sinne als „Fehlgeburt“ (unter 500 Gramm Gewicht oder vor der 24. Schwangerschaftswoche) oder „Totgeburten“ (ältere und schwerere Sternenkinder) zur Welt kommen.

Hinsichtlich der Zahl von Fehlgeburten gibt es viele statistische Unwägbarkeiten. Allerdings gehen verschiedene Studien davon aus, dass jede zehnte, womöglich sogar jede dritte Frau eine Fehlgeburt erleidet. Insbesondere für viele Frauen ist dies ein schwerer Verlust, der sie stark belastet, oft aber auch für deren Partner und ihre Familien.

Die Zahl der Totgeburten wird exakt erfasst. Sie ist bundesweit zuletzt auf 4,4 Totgeburten je 1000 Geburten angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt nimmt diese Quote seit dem Tiefststand im Jahr 2007 (3,5 Totgeburten je 1000 Geburten) tendenziell zu.

Thema Sternenkinder soll in der Gesellschaft vom Rand in die Mitte rücken

Für Starkmuth muss das Thema Sternenkinder auch in der Gesellschaft einen neuen Platz finden und „vom Rand in die Mitte rücken“. Sie wünscht sich, dass Fehl- und Totgeburten und die damit verbundene Trauer in vielen Bereichen eine größere Rolle spielt – vom Biologie-Unterricht bis zur Gynäkologie-Praxis: „Vielen ist einfach nicht bewusst, dass eine Schwangerschaft auch schiefgehen kann.“ Gerade in Praxen und Kliniken wünscht sie sich mehr Sensibilität hinsichtlich der Trauer der Frauen und ihrer Familien. Doch stattdessen werde vielfach auf Eile gedrängt: „Obwohl es nur sehr selten ein Notfall ist, bekommen Sie für eine Ausschabung meist sehr schnell einen Termin.“ Damit es künftig andere Schwerpunkte gibt, fließt Starkmuths Know-how nun ein in eine von der Berliner Charité koordinierte Leitlinie für Gynäkologie-Praxen zum Umgang mit frühen Fehlgeburten – der ersten überhaupt, so Starkmuth. Sie wirbt dafür, betroffenen Frauen Zeit zu lassen und ihnen Mut zu machen, von ihrer Trauer zu erzählen. Dies gelte auch für die „entrechtete Trauer“: Anders bei einer Totgeburt fühlten sich Frauen mit einer Fehlgeburt in der frühen Schwangerschaft mit ihrer Trauer allein, „sie denken dann, die Trauer wird ihnen nicht zugestanden“, sagt Starkmuth. In der Folge verdrängten die Frauen ihre Gefühle und zögen sich zurück.

Auch dagegen will der Gottesdienst in Wattenscheid ein sichtbares Zeichen setzen: Hier ist jede Trauer um ein Sternenkind erlaubt. Wer nach der Feier noch bleiben möchte, den laden die drei Organisatorinnen zu einem warmen Getränk ein. Und natürlich bekommen alle Gottesdienst-Gäste am Ende eine Kerze in die Hand gedrückt – so sind alle gut ausgestattet, um sich pünktlich um 19 Uhr ins „Worldwide Candle Lighting“ einzureihen.

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