von Thomas Rünker

Archäologinnen fördern neue Puzzlestücke aus der Dom-Vorzeit zu Tage

Bevor der Kapitelsfriedhof im Kreuzgang des Essener Doms erweitert wird, haben zwei Archäologinnen den Boden untersucht. Ihre Funde bekräftigen die Einschätzung, dass auch im Altertum schon Menschen im Umfeld des heutigen Doms gewohnt haben.

Es gibt wohl wenig Menschen, die sich über Müll in der Essener Innenstadt so sehr freuen wie Cordula Brand. Wobei: Es sind jetzt nicht die typischen Einkaufsstraßen-Hinterlassenschaften, die Brand und ihre Kollegin Edith Bernhauer da in den vergangenen Wochen rund um den Dom gefunden haben, sondern zum Beispiel Scherben, ein kleines Glassteinchen und die Reste eines Schmuckstücks. Aber Brand betont: „Gerade Scherben sind typische Siedlungsabfälle“. Gemeinsam mit Dombaumeister Ralf Meyers haben die beiden Archäologinnen Grabungen im Innenhof des Kreuzgangs begleitet, weil der dortige Friedhof erweitert wird. Weil die „Dom-Insel“ als Essens historische Keimzelle ein geschütztes Bodendenkmal ist, darf dort nur mit fachkundiger Unterstützung gegraben werden. Also sind die beiden Doktorinnen der Archäologie zu den Bauarbeitern in die Grube gestiegen und haben jede Schubkarre Bodenaushub nach brauchbaren Hinweisen aus der Vergangenheit durchsucht.

„In 1,80 Meter Tiefe beginnt der ursprüngliche Boden“, beschreibt Brand den Forschungsbereich in der Essener City. Alles darüber zeugt von menschlichen Besiedelungen und anderen Aktivitäten, die sich in den vergangenen Jahrhunderten hier abgespielt haben. „Wie bei einer Torte“ seien die Erdschichten aus den verschiedenen Epochen aufgebaut. Das ungefähre Aussehen dieser „Torte“ kannten Brand, Bernhauer und Meyers schon von anderen Ausgrabungen im Kreuzgang aus den 1990er Jahren. Jetzt, rund 30 Jahre später, ging es an der gegenüberliegenden Ecke in die Tiefe. Auf sensationell neue Erkenntnisse über die Essener Stadt- und Domgeschichte ist das Forschungsteam dabei nicht gestoßen, aber doch auf das ein oder andere Puzzleteil, das womöglich künftig hilft, die Vergangenheit besser zu verstehen.

Der kleine grüne Mosaikstein

Da ist zum Beispiel ein kleiner grüner Stein. „Die Archäologinnen haben ein kleines grünes Mosaiksteinchen aus Glas gefunden“, berichtet Meyers. Dieses Steinchen könne man ziemlich klar dem Vorgängerbau des heutigen Doms zuordnen. „Es lässt sich also spekulieren, dass die romanische Kirche an irgendeiner Stelle mit einem Mosaik ausgestattet war“, sagt Meyers. Schade, dass davon heute kein Bild und bislang auch kein anderer archäologischer Fund existiert.

Das könnte auch an dem großen Bombenkrater liegen, den die Archäologinnen bei ihren Ausgrabungen entdeckt haben. Ein mit Schutt verfülltes Loch aus den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs, dass an dieser Stelle die saubere Schichtung der Torte völlig durcheinander gebracht hat. Doch auch im Mittelalter muss jemand im Kreuzgang schon mal ordentlich gebuddelt haben: „Wir haben einen sehr tiefen verfüllten Bodeneingriff gefunden“, sagt Brand. Ob das Teil eines Bauprojekts aus der Zeit war, lässt sich vielleicht durch einen Blick in die historischen Quellen klären, die Brand und Bernhauer jetzt studieren. „Wir brauchen nach den Grabungen noch einmal etwa die gleich Zeit für den Innendienst“, beschreibt Brand ihre Arbeit. Erst dann ist das Archäologie-Projekt abgeschlossen.

Das heutige Dom-Umfeld war lange vor der Stiftsgründung besiedelt

INFO: Neue Gruften für den Kapitelsfriedhof

Erst seit rund 60 Jahren ist der Innenhof des Kreuzgangs am Essener Dom ein Friedhof. Mit der Ernennung der Münsterkirche zum Dom des neuen Bistums Essen 1958 hatten die Mitglieder des neuen Domkapitels – eine Gruppe von Priestern, die den Dom verwaltet – das Recht, am Dom beerdigt zu werden. Als Ort für diese neuen Grabstätten wurde der Innenhof des Kreuzgangs ausgewählt, der so zum Kapitelsfriedhof wurde. Weil der Friedhof zwischenzeitlich zu klein geworden ist, werden nun neue Grablegen vorbereitet und als fertig gegossene Betonteile mit einem Kran über den Kreuzgang gehoben.

Klar ist schon lange, dass der Dom, der Kreuzgang und die früheren Stiftsgebäude nicht die ersten Bauwerke in der heutigen Essener Innenstadt waren. Schon bei den Ausgrabungen aus den 1990er Jahren wurden Spuren aus der Eisenzeit – etwa das Jahrtausend vor Christi Geburt – entdeckt, unter anderem Löcher, in denen vielleicht vor rund 2500 Jahren einmal Pfähle von Gebäuden gestanden haben. Und auch diesmal entdeckten die Wissenschaftlerinnen eine Scherbe, die sie der Eisenzeit zuordnen. Für Dom-Fan Meyers kein Wunder: „Das war hier in der Antike sicher ein attraktiver Siedlungsplatz: Etwas erhöht auf einem Hügel, nicht allzu weit vom Flüsschen Berne…“ Fakt ist: Auch wenn es bis heute keinen Beweis für den Standort des legendären Guts „Astnide“ gibt, auf dem Bischof Altfrid um 850 das Frauenstift für seine Schwester und andere Adelige gegründet hat, so steht definitiv fest, dass die heutige Dom-Insel auch lange davor schon besiedelt war. Immerhin: Auch aus der Zeit der Stiftsgründung haben die Archäologinnen eine Scherbe gefunden.

Und dann ist da noch der Schmuck-Anhänger mit einer kleinen Öse. Wahrscheinlich hat die Fassung einst einen (Edel-?)Stein gehalten. Vielleicht bringen die Nachforschungen von Bernhauer und Brand auch zu diesem Schmuckstück noch ein paar Informationen hervor. Bis dahin bleiben Spekulation und Fantasie, um sich eine frühere Essenerin - oder gar eine Stiftsdame – geschmückt mit dieser Kostbarkeit vorzustellen. Alternativ gibt’s bestens erforschten – und gereinigten – Goldschmuck der Stiftsdamen in der Essener Domschatzkammer. Dort sollen nach Abschluss der Arbeiten der beiden Archäologinnen auch die Funde der aktuellen Ausgrabungen ausgestellt werden.

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