von Maria Kindler

Wie Corona Wirtschaft und Gesellschaft belastet – und verändert

Bischof Franz-Josef Overbeck hat in der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“ mit dem Bochumer Wirtschaftswissenschaftler Stephan Paul und dem Bayreuther Wirtschafts- und Unternehmensethiker Alexander Brink über die Belastungen von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Corona-Pandemie diskutiert. Dabei stand auch die Frage nach einer besseren Krisenfestigkeit für die Zukunft auf der Agenda.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sieht in der Debatte um ein krisenfesteres Wirtschaftssystem die Rolle der Kirche darin, sich für mehr soziale, ökologische und ethische Nachhaltigkeit einzusetzen. „Eines der großen Probleme auch der Ökonomie ist eine so hohe Spezialisierung, die so hoch gewinnmaximierend aufgelegt ist, dass alle anderen Perspektiven vollkommen in den Hintergrund geraten“, sagte Overbeck am Donnerstagabend, 25. November, bei der Jahresveranstaltung des Rates für Wirtschaft und Soziales in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. „Und wir erleben jetzt gerade eine junge Generation, gerade weil sie die Gewinner dieser ökonomischen Prozesse sind, mit einem hohen neuen, sozialen und ökologischen Bewusstsein, das sich neu mit all diesen ökonomischen Entwicklungen verbinden muss“, betonte Overbeck.

Der Ruhrbischof diskutierte in der von Akademie-Dozent Mark Radtke moderierten, rein digitalen Veranstaltung mit dem Titel „Die Zukunft der Wirtschaft – Innovationen für eine krisensichere Gesellschaft und Wirtschaftspolitik“ mit dem Bayreuther Wirtschafts- und Unternehmensethiker Alexander Brink und dem Bochumer Wirtschaftswissenschaftler Stephan Paul.

Wirtschaftsethiker: Transformation nur mit und nicht gegen Ökonomie

Wirtschafts- und Unternehmensethiker Brink stellte eines klar heraus: „Wir werden das Wirtschaftssystem nur mit der Ökonomie verändern können, nicht gegen die Ökonomie.“ Was in den letzten Jahren einfach maßlos übertrieben worden sei, sei der Maximierungsgedanke bestimmter Kennzahlen. „Da haben wir im Bereich des Gewinns sicherlich übertrieben, auch im Bereich des Umsatzes übertrieben“, sagte Brink. Ein Blick auf die Umsatzzahlen der Automobilindustrie der letzten zehn Jahre zeige, dass es fast keinen Konzern gebe, der kein Umsatzwachstum gemacht habe.

Dem gegenüber stehe aber zum Beispiel das Streben nach nachhaltiger Mobilität. „Die Unternehmen werden sich in den nächsten Jahren darauf einstellen müssen, dass sie nicht nur ökonomische Ziele verfolgen müssen, sondern immer in dieser Ausgewogenheit mit Umwelt, mit Sozialem und mit Ökonomischem agieren müssen“, sagte Brink. Das überfordere das ein oder andere Unternehmen insofern, weil man in den letzten Jahren gelernt habe, nur diese eine ökonomische Kennzahl zu maximieren.

Bischof: Ökonomische Gewinnmaximierung weniger auf Kosten vieler

Overbeck betonte unter dem Stichwort Weltgemeinwohl, dass die ökonomische Gewinnmaximierung weniger noch immer viel zu stark auf Kosten vieler ablaufe. „Bei der bei uns stark in den Fokus gerückten E-Mobilität vergessen wir zu Beispiel, dass dafür andere Länder ausgebeutet werden müssen, damit diese Batterien hergestellt werden.“ Kirche habe hier auch die Aufgabe, eine Perspektive einzunehmen, in der das Wohl der einzelnen Menschen und ihrer Sozialsysteme nicht aus dem Blick gerät, „in denen sie existieren und in denen auch ökonomisch dafür Sorge getragen werden muss, dass sie auskömmlich funktionieren für eine Versorgung der Bevölkerung vor Ort.“

Dass Lieferketten fragil seien, das sei schon vor Corona bekannt gewesen, sagte Wirtschaftswissenschaftler Paul. Dass aber die gesamte Volkswirtschaft von Lieferengpässen betroffen sei, das sei eine neue Erfahrung gewesen. Die Frage sei, wie stark das Effizienzziel sei, das dazu führe, dass überhaupt keine Läger mehr unterhalten würden, oder ob wir uns doch stärker zu einer Pufferökonomie bewegten, die Reserven vorhalte. „Wenn wir stärker mit Redundanzen oder mit Puffern arbeiten, dann ist auch klar, dass die Renditeziele, die mal ausgerufen wurden, so nicht mehr erzielbar sind“, sagte Paul.

Es stelle sich letztlich die Frage, was uns störungsfreie Abläufe wert seien. „Das alles ist für mich aber nicht unbedingt eine Systemfrage, also die das System insgesamt in Frage stellt, nur eine Frage nach der Art und Weise, wie dieses System aufgesetzt wird.“

Wirtschaftsethiker: Schwachstellen des Systems wurden aufgedeckt

Brink berichtete von einer kürzlich herausgegebenen Studie, wonach nachhaltig aufgestellte Unternehmen, also eben solche, die etwa auch soziale Aspekte berücksichtigten, deutlich besser durch die Krise gekommen seien. „Das sind Unternehmen, die – ganz platt gesprochen – eine gute Unternehmenskultur hatten. Dadurch, dass Mitarbeiter im Homeoffice gearbeitet haben, haben die Unternehmen ein Stück weit ihre Kontrolle verloren“, sagte Brink. Bei Unternehmen mit einer „Vertrauenskultur“ habe das sehr gut geklappt, bei solchen mit einer schlechten Unternehmenskultur eher nicht.

Bei aller Digitalität, von der in Zeiten der Lockdowns auch die Kirche profitiert habe, sei eines noch einmal ganz deutlich geworden, führte Overbeck aus. „Dass das, was wir im Blick auf die frohe Botschaft zu sagen haben, doch eigentlich immer eine Botschaft ist, die Menschen braucht.“ Von daher sei die Frage nach der Bedeutsamkeit der Kirche für die Gesellschaft darin zu sehen, „dass wir zu den Faktoren gehören, die Sozialität ermöglichen, die gleichzeitig – mit Blick auf die Resilienz – darauf hinweisen, es gibt nicht nur den Faktor des Irdischen, sondern auch dessen, was darüber hinaus geht, wie immer wir das bezeichnen wollen.“

Bischof: Transformation braucht Menschen

Menschen, und zwar entsprechend ausgebildete, brauche es auch für die Transformation des Wirtschaftssystems, da war sich das Podium einig. „Wenn es eines gibt, was durch die Pandemie deutlich geworden ist, dann die Misere des Bildungssystems“, sagte Bischof Overbeck.

Die gesellschaftspolitischen Räte im Bistum Essen

In der Geschichte des Ruhrbistums spielen die gesellschaftspolitischen Räte eine wichtige Rolle. Einst gegründet als berufsständische Vertretungen haben sie sich stets weiterentwickelt und verstehen sich heute nicht nur als Beratungsgremien des jeweiligen Ruhrbischofs, sondern auch als aktive Gestalter der gesellschaftspolitischen Prozesse im Bistum Essen. Seit 2014 organisiert die Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim die Arbeit der Räte. Durch diese enge Kooperation schafft das Bistum wichtige Verbindungen zwischen den Themen der Räte und der Akademie. Neben dem Rat für Wirtschaft und Soziales gibt es den Rat für Ökologie und Nachhaltigkeit, den Rat für Bildung sowie den Rat für Gesundheit und Medizinethik.

Auch Wirtschaftswissenschaftler Paul fand deutliche Worte: „Wir laufen auf eine Bildungskatastrophe zu. Die Mitarbeiter der Zukunft zu bekommen, das ist für Deutschland ein ganz, ganz großes Problem, wenn nicht Gravierendes geschieht.“ Der Bildungsstandard müsse viel stärker steigen, weil sonst noch größere Teile der Gesellschaft abgehängt würden. „Wir müssen viel mehr in die Bildung investieren und müssen sehen, dass wir das Bildungsniveau an die Anforderungen der Zukunft anpassen. Das sehe ich bisher noch überhaupt nicht“, sagte Paul.

Ökonom Brink schaute ganz optimistisch in die Zukunft. „Wir haben mittlerweile junge Leute, die sich für Nachhaltigkeitsthemen interessieren, obwohl sie auch in der Lage wären, klassische, einseitig ökonomische Karrieren zu machen. Wir haben also sehr viel zukünftiges Humankapital, was genau in diese Schnittstelle gehen will. Wenn wir das pflegen, haben wir eine gute Chance, das System auch mit der Ökonomie grundlegend zu verändern.“

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