von Maria Kindler

Mehr als nur Weihrauch – Duft in Kirchenräumen

In ihrer Liturgie versucht die katholische Kirche, Gottes Heilshandeln in der Welt mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. Aber selbst Gläubige tun sich heute manchmal schwer damit, liturgische Handlungen zu verstehen. Seit vielen Jahren geht die Zahl der Gottesdienstbesucher zurück. Da ist Kreativität gefragt. Längst wird mit besonderem Licht und außergewöhnlichen musikalischen Klängen experimentiert, um Augen und Ohren gleichermaßen anzusprechen, und versucht, die Liturgie auf diese Weise ansprechend und eingängig zu inszenieren. Der Gedanke dahinter: Glaube braucht Sinnlichkeit. Der Kirchenraum ist zum Laboratorium für neue Formen der sinnlichen Gotteserfahrung geworden. Aber was ist mit der Nase?

Düfte sind kraftvolle Werkzeuge, um spirituelle Erfahrungen zu vertiefen. Sie wecken unmittelbare Erinnerungen und Emotionen, die eine tiefere Verbindung zur Glaubenswelt schaffen können.

Die Liturgie sollte alle Sinne ansprechen, nicht nur das Kognitive. Die bewusste Inszenierung durch Düfte, Licht und Musik kann eine tiefere Verbindung zwischen Gläubigen und ihrer Glaubenspraxis herstellen.

Die Authentizität der Liturgie im Alltag der Gläubigen ist entscheidend, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Welche Rolle Düfte bei spirituellen Erfahrungen spielen, warum es in Kirchen nicht nur nach Weihrauch riechen sollte und ob die Gefahr einer Überinszenierung von Liturgie besteht, darüber haben wir mit dem Innovationsberater, Autor und promovierten Theologen Björn Hirsch gesprochen.

Hirsch gehört auch zum Team des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP) der Universität Bochum, das in einer sogenannten Aerothek Duftkreationen zum bundesweiten Einsatz in Kirchenräumen anbietet. Am 6. und 7. September 2023 ist er Referent bei unserer Fachtagung „Liturgie als Inszenierung – Risiken, Potenziale und Experimente“ in der Bistumsakademie Die Wolfsburg, Falkenweg 6, in Mülheim.

Die katholische Kirche beklagt seit vielen Jahren rückläufige Zahlen bei Gottesdienstbesuchen. Warum verstehen viele Sprache und rituelle Handlungen nicht mehr, hat die katholische Kirche ein Inszenierungsproblem?

Hirsch: Die katholische Kirche hat es über viele Jahrhunderte hinweg verstanden, Trends aufzugreifen oder sogar neue Trends zu kreieren. Besichtigt man heute ältere Kirchen, lässt sich erkennen, dass die jeweils herrschenden Stilepochen in der Architektur aufgenommen wurden. Auch Sprachgebrauch und Verkündigungsmethoden hatten einen Sitz im Leben der Menschen und waren, so würden wir es heute sagen, nutzerorientiert.

Heute gelingt das der Kirche nur noch sehr selten. Immer mehr entfernt sie sich von den Lebens- und Erfahrungswelten der Menschen. In ihrer Verkündigung fokussiert sie sich vor allem auf den Bereich des Kognitiven. Die Erfahrung einer transzendentalen Wirklichkeit bedarf aber einer weiter reichenden Inszenierung, die alle Sinne des Menschen anspricht.

Schon vor vielen Jahrzehnten sagte der Theologe Karl Rahner (1904-1984): „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein." Dementsprechend ist es eine wichtige Aufgabe von Kirche auch in heutiger Zeit, dass sie diesen Erfahrungsraum schafft und ihre Botschaften so inszeniert, dass sie verstanden und erspürt werden können. Eine multisensorische Pastoral ist hierbei ein Schlüsselfaktor.

Das Zentrum für Angewandte Pastoralforschung in Bochum, zu dessen Team Sie gehören, hat eine Aerothek mit vier Düften für das Kirchenjahr entwickelt. Welche Rolle spielen bei einer ansprechenden Liturgie und bei spirituellen Erfahrungen Gerüche?

Der Geruchssinn, so sagt es die moderne Riechforschung, ist der einzige Sinn, der direkt und unmittelbar Erinnerungen und Emotionen weckt. Riecht es in einem Raum beispielsweise wie in der Küche der Großmutter, wird man sofort in ‚die gute alte Zeit‘ zurückversetzt. Gleich entstehen Bilder im Kopf, wie es dort früher ausgesehen hat, wie liebevoll die Oma war und was wir im Laufe des Lebens mit ihr erlebt haben.

Auch beim Erstkontakt mit Menschen ist der Geruch sehr wichtig. Er entscheidet innerhalb von Millisekunden, ob wir jemanden sympathisch finden oder eben nicht. Der Ausspruch „Ich kann dich (nicht) riechen“ bringt dies auf den Punkt.

Dabei entscheidet die eigene Sozialisation darüber, welche Gerüche wir als angenehm wahrnehmen und welche uns eher stinken. Denke ich bei dem Geruch von Lavendel beispielsweise an die schönen Kindheitsurlaube in der Provence, bei denen die Lavendelfelder ihren herrlichen Duft verströmten, werde ich ihn mögen. Trug jedoch die ungeliebte Tante mit den dicken Kusslippen immer ein starkes Lavendelparfüm, wird er in mir eher Ablehnung hervorrufen.

Übertragen wir dies auf Kirche, wird eines deutlich: Immer mehr Menschen haben keinen Kontakt mehr zur Kirche. Sie sind bestimmte Kirchengerüche wie Weihrauch einfach nicht mehr gewohnt und lehnen sie daher tendenziell ab. Wenn wir darüber nachdenken, wie Kirche heute riechen soll, müssen wir dies stets bedenken. Welche Gerüche werden heute von einer Mehrheit der Menschen als angenehm empfunden? Und wie können wir diese Gerüche so einsetzen, dass sie sowohl das Wohlbefinden der Menschen in unseren Kirchen und Pfarrzentren steigern und gleichsam über einen ersten positiven Geruchseindruck hinaus auf das verweisen, was wir verkünden wollen und eine Erfahrung des Göttlichen ermöglichen? Vor diesem Hintergrund sind die vier Düfte der zap:aerothek entstanden: PHYSIS (Weihnachten), KENOSIS (Ostern), DYNAMIS (Pfingsten) und PHRONESIS (Alltag).

Kirchendüfte samt Zerstäuber

Das Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) bietet die vier eigens kreierten Kirchendüfte zum Kauf an: Das Probierset (je 10 ml) zu 19,95 Euro, das Standard-Set (je 100 Gramm) für 150 Euro und den ergänzenden Zerstäuber ab 1.178,91 Euro. Weitere Materialien, alle Informationen und eine Bestellmöglichkeit gibt es online unter https://zap-aerothek.de/bestellen/

Warum wurde bei der Kreation der Düfte festgelegt, dass beispielsweise Weihnachten oder Pfingsten so und nicht anders zu riechen hat?

Bei der Kreation der Düfte wurde die Methode des sogenannten Moodboarding verwendet. Alle Beteiligten, darunter Riechforscher, Parfumeure und Theologen, haben zunächst mit Hilfe von Bildern ausgedrückt, wonach für sie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten riechen. Dabei sollten keine banalen Düfte entstehen, die einfach nur die eigenen Erfahrungen abbilden. Es sollte auch der theologische Gehalt der einzelnen Feste zum Ausdruck kommen.

Der Weihnachtsduft trägt in der Kopfnote beispielsweise Vanillin. Vanille ist der Botenstoff, der den Säugling zur Brust der Mutter führt. Damit verbinden wir als Menschen mit diesem Duft ein Gefühl tiefer Geborgenheit. Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit heute mit diesem Gefühl von Geborgenheit verbunden. Auch das kleine Kind in der Krippe fühlte sich, trotz der Fluchtsituation, bei seiner Mutter Maria und seinem Vater Josef geborgen. Gleichsam verweist das Weihnachtsfest jedoch auch schon auf den bevorstehenden Kreuzestod Jesu. Daher wurde in der Basisnote Myrre verwendet, welche die Bitterkeit dieses Ereignisses zum Ausdruck bringt.

Ähnlich verhält es sich auch mit den anderen Düften: Zu Ostern erwacht das neue Leben. Das Osterfest symbolisiert den Übergang vom Winter zum Sommer, vom Regen zum Sonnenschein, schließlich vom Tod zum neuen Leben. Dementsprechend wurden unter anderem die Gerüche von hellem Blattgrün, von Lindenblüte und Maiglöckchen verwendet.

Das Pfingstfest steht für einen neuen Aufbruch. Es entsteht etwas Neues, es wird Kirche geboren. Der Duft DYNAMIS bringt dies zum Ausdruck, wenn er unter anderem frische Zitrusnoten, Cassis und rosa Pfeffer in sich trägt.

Letztlich bleibt es ein Stück weit der Interpretation des Einzelnen überlassen, wonach für sie oder ihn die einzelnen Kirchenfeste riechen. Bei der Herstellung der Düfte der zap:aerothek ist es aber meiner Ansicht nach gelungen, einen guten Querschnitt hinzubekommen.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Liturgie überinszeniert wird?

Von einer Überinszenierung der Liturgie sind wir heute weit entfernt, nicht nur innerhalb der katholischen Kirche, sondern auch in anderen Konfessionen und Denominationen. Dennoch gilt hier wie überall: Die Verwendung bestimmter Dinge und Methoden in der Liturgie – Gerüche, Lichtinszenierungen, Musik, wohlklingende Worte, schön gestaltete Räume – sind immer nur Mittel zum Zweck. Es muss der Anspruch bestehen bleiben, durch sie auf eine tiefere Wirklichkeit hinzuweisen. Sie dürfen nicht bei sich stehen bleiben, sonst lenken sie vom Eigentlichen ab. Hier eine gute Balance zu halten, ist Aufgabe der Verantwortlichen für liturgische Feiern an den verschiedenen Orten.

Zudem gilt, dass Liturgie nur ein Handlungsvollzug der Kirche ist. Liturgie muss stets in das gesamte kirchliche Handeln eingebettet sein. Sowohl in der Verkündigung (Martyria) als auch in der Nächstenliebe (Caritas) und im Gemeinschaftsleben (Communio) muss deutlich werden, dass wir das, was wir in Gottesdiensten feiern und verkünden auch einen Anker im Leben der Kirche und der Menschen hat. Authentizität hat heute eine immense Bedeutung, wenn es darum geht, dass Kirche ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Menschen zurückgewinnt. Daher bringt eine noch so schön inszenierte Liturgie nichts, wenn sie nicht auch einen Ausdruck im alltäglichen Leben findet.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen