Zuwanderung hat das Ruhrgebiet stark gemacht

Alte Tugenden wie Solidarität und tatkräftiges Anpacken sind nach Ansicht von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für die Zukunft des Ruhrgebietes von großer Bedeutung. Auf dem Jahresempfang in der "Wolfsburg" in Mülheim rief sie dazu auf, Migranten und Flüchtlinge offen anzunehmen.


Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sprach auf dem Jahresempfang in der „Wolfsburg“

Zur Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) aufgerufen. „Das Ruhrgebiet ist durch Zuwanderung stark geworden“, betonte sie auf dem Jahresempfang des Bischofs von Essen und der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Die Bevölkerung sei in der Region von 400.000 im Jahr 1850 auf 3,8 Millionen im Jahr 1925 angewachsen. Aus dieser Zuwanderung sei Leistungsfähigkeit entstanden.

Auch heute gelte es, die Potenziale der Zuwanderer zu erkennen und zu nutzen, sagte Kraft vor den über 500 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Kirche, Kultur und Gesellschaft. Das bedeute nicht, dass die mit der Migration verbundenen Probleme verschwiegen werden. Es gelte, diese zu erkennen, anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Dabei sei es wichtig, vom Flüchtling aus zu denken. „Wir haben die Chance, die Menschen, die zu uns kommen, in unsere Mitte zu nehmen und ihre Potenziale zu nutzen. An „allen Ecken und Enden“ sei Unterstützung notwendig. „Wir brauchen die Bürgerinnen und Bürger, die in christlicher Nächstenliebe unterwegs sind“, unterstrich Kraft. Der Staat könne nicht alles leisten.


Solidarität hat die Menschen der Region geprägt

In ihrem Vortrag zum Thema „Alte Werte, neue Chancen – das Ruhrgebiet“ stellte die Ministerpräsidenten vor allem die tief in der Region verankerte Solidarität heraus. „Solidarität war hier nie ein Schlagwort, sondern echte Notwendigkeit im Alltag“, betonte sie. Das sei vor allem im Bergbau zum Tragen gekommen. Dort habe man sich immer auf den anderen verlassen können. Diese Mentalität habe die Menschen geprägt. Dieser Geist sei nicht verschwunden. Auch in Krisenzeiten habe sich diese Solidarität bewährt, um den Strukturwandel zu stemmen. „Und einen solchen tiefgreifenden Wandel zu gestalten, das muss uns erst einmal einer nachmachen“, sagte Kraft nicht ohne Stolz. Doch auch heute werde die Solidarität herausgefordert, wenn es darum gehe, Kindern und Jugendlichen eine gute Perspektive zu geben. Viel werde hier getan und es gebe Fortschritte. „Aber wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns“, so die Ministerpräsidentin.

Ebenfalls kennzeichnend für die Region seien die Bereitschaft und der Mut, „tatkräftig anzupacken und neue Wege zu gehen“. Mehr denn je sei diese Dynamik gerade heute gefragt, brauche das Ruhrgebiet Gründerinnen und Gründer. Kraft rief dazu auf, diese zu ermutigen und zu unterstützen.

Nachhaltigkeit und Fairness nannte sie als weitere wichtige Werte bei der Gestaltung der Zukunft. Dass das Land NRW sparen müsse, sei kein Geheimnis. Dennoch müsse investiert werden. „Diese Region hat die Chance, auf der Grundlage alter Werte die Zukunft zu gestalten und zu meistern“, davon ist die Ministerpräsidenten fest überzeugt. Sie rief dazu auf, „auch einmal stolz auf das Erreichte und Geleistete zu sein“ und diesen Stolz stärker als bisher zu zeigen.


Wir gehören zusammen


In seinem Grußwort wies Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck darauf hin, dass die Ereignisse in verschiedenen deutschen Städten und das Attentat in Paris auf drastische Weise das Verhältnis von Religion und Gewalt auf die Tagesordnung gebracht hätten. Religion thematisiere eigentlich letzte Fragen und motiviere zu Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden. Religion könne aber auch als "Steinbruch missbraucht werden für steinzeitmäßige Auslegungen ihrer Tradition" und eine fundamentalistische Legitimation niedriger Interessen. Mit Blick auf die Formen von Fundamentalismus und Totalitarismus in der Geschichte des Christentums warnte Overbeck jedoch vor eigener Überheblichkeit. Doch es sei perfide, wenn sich Terroristen auf Religion berufen. Erneut unterstrich der Ruhrbischof: „Unsere muslimischen Mitbürger sind in ihrer übergroßen Mehrheit genauso wie wir, genauso säkular, genauso fromm, genauso rechtstreu, kinderlieb und wohlstandsorientiert, sie achten und stützen die Strukturen unseres freiheitlichen Gemeinwesens, sind verlässliche Kollegen und ein Gewinn für die Zukunftsfestigkeit unseres Wohlfahrtsstaates! Wir gehören mit ihnen und vielen anderen zusammen und lassen uns nicht trennen!“

Die Bedingungen der Möglichkeit einer offenen Gesellschaft seien zerbrechlich und müssten stets neu erarbeitet werden. Overbeck forderte dazu auf, nach den wahren Gründen für Fundamentalismus und Extremismus zu fragen. Diese lägen meist in Erfahrungen von sozialer Ausgrenzung, Chancenlosigkeit in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt - und damit in einer gesellschaftlichen Perspektivlosigkeit und nicht in den vorgeschobenen religiösen Bezügen. Neid, Missgunst, Überfremdungsangst, Freund-Feind-Denken und Abschottungsgelüste entstünden dort, wo es an Entwicklung im Bereich des Sozialen, der Bildung und des wirtschaftlichen Aufstiegs fehle.

Der Bischof warb für eine offene Kirche in einer offenen Gesellschaft. Das Bistum Essen orientiere sich am Leitbild einer offenen Kirche. „Wir wollen glaubwürdige Christen in einer offenen Gesellschaft sein“, betonte Overbeck.


Das Gespräch über die wichtigen Fragen

Dass in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ auch weiterhin das Gespräch über „die wichtigen Fragen“ im Mittelpunkt stehen werde, versicherte Akademiedirektor Dr. Michael Schlagheck. „Beharrliches, kräftiges Fragen, das Verstehen anderer Positionen, die andere Seite mitdenken, das führt in die Antwort hinein“, sagte Schlagheck. Ein solches Fragen besitze verändernde Kraft. Die Resonanz des letzten Jahres mache Mut: über 29.500 Gäste, über 200 eigene Akademieprojekte. Auch in diesem Jahr werde es neue Projekte geben. Hier nannte Schlagheck beispielsweise die Tagungsreihe „Zukunftsstrategie Ruhrgebiet“. Ein besonderer Blick werde dem Thema „Innovative Pastoral gelten“. Wieder aufgegriffen wird die Reihe „Dialoge mit dem Bischof“. (do)


Grußwort von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck

Begrüßung durch Akademiedirektor Dr. Michael Schlagheck

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
45127 Essen