Wie schafft der Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet die Transformation?

Akademiedozent Mark Radtke (mitte) moderierte die Podiumsdiskussion mit (v.l.n.r.) Christoph Bals (Germanwatch), Garrelt Duin (RVR Direktor), Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck und Guido Kerkhoff (Klöckner). (Fotos: Oliver Müller | Bistum Essen)
Angesichts tiefgreifender Transformationsprozesse im Ruhrgebiet hat Bischof Franz-Josef Overbeck an den umfassenden Wandel der Region seit der Gründung des Ruhrbistums im Jahr 1958 erinnert. „Die Tatsache, dass wir bei Gründung des Ruhrbistums noch 700 000 Bergleute hatten und heute keinen einzigen, zeigt, dass Wandel im Ruhrgebiet nötig, aber auch möglich ist“, sagte Overbeck am Mittwochabend in der Bistumsakademie Die Wolfsburg in Mülheim. Mit Blick auf aktuelle Herausforderungen forderte er, den Transformationsprozess sowohl wirtschaftlich als auch sozial gerecht und ökologisch tragfähig zu gestalten. „Wir dürfen die Ethik nicht vergessen“, mahnte Overbeck und sprach sich zugleich gegen „strukturkonservative Verhinderungsdebatten“ aus.
Overbeck diskutierte bei der von Akademiedozent Mark Radtke moderierten Veranstaltung mit dem Regionaldirektor des Regionalverbands Ruhr, Garrelt Duin, mit dem politischen Geschäftsführer der deutschen Umweltorganisation Germanwatch, Christoph Bals, und mit Guido Kerkhoff, dem Vorstandsvorsitzenden der Klöckner & Co SE.
Die erstmals gemeinsam von zwei Räten des Bischofs von Essen konzipierte Jahresveranstaltung brachte dabei beide Perspektiven zusammen, wie der Sprecher des Rates für Ökologie und Nachhaltigkeit, Lars Grotewold, Leiter des Bereichs Klimaschutz der Mercator-Stiftung, auch im Namen des Sprechers des Rates für Wirtschaft und Soziales, Peter Güllmann, Vorstandssprecher der Bank im Bistum Essen, in seiner Begrüßung hervorhob.
Solide soziale Infrastruktur aus Bildung, Wohnraum und Integration
Für den Regionaldirektor des Regionalverbands Ruhr, Garrelt Duin, liegt der Schlüssel zum Gelingen des Transformationsprozesses in der sozialen Infrastruktur. „Auch die Menschen in den sozial belasteten Stadtquartieren müssen das Gefühl haben: Bei uns tut sich was!“, sagte Duin. Bildung, Wohnraum und soziale Integration seien ebenso Teil des Strukturwandels wie beispielsweise die Konsolidierung der industriellen Produktion und wissenschaftliche Exzellenz. „Zwar haben wir im Ruhrgebiet heute keine Bergleute mehr, dafür aber mehr als 300 000 Studierende“, sagte Duin.
Duin warnte zudem davor, die Ungleichverteilung von Vermögen und Chancen aus dem Blick zu verlieren. „Wenn acht Menschen so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung, ist das schlicht nicht gerecht.“
Demokratie braucht sichtbare Handlungsfähigkeit
Bals von der Umweltorganisation Germanwatch betonte, dass der Strukturwandel nur gelinge, „wenn die Menschen den demokratischen Staat wieder als handlungsfähig erleben“ und die Wohnverhältnisse in den sozial benachteiligten Stadtquartieren mit einer klimaangepassten Stadt- und Raumplanung ökologisch und energietechnisch aufgewertet würden. In diesem Zusammenhang nannte Bals die massiven Strukturprobleme der Deutschen Bahn „demokratiegefährdend“.
Bals beschrieb die Energiewende als alternativlos, aber auch als wirtschaftliche Chance. Die rückwärtsgewandte, weil auf fossile Energieträger setzende Politik von US-Präsident Donald Trump schiebe die USA dagegen auf ein wirtschaftliches Abstellgleis. „Wir dürfen Angst haben, aber die Angst darf uns nicht haben. Stattdessen müssen wir Hoffnung organisieren“, sagte Bals. Ein zentraler Hebel sei eine gerechte und bezahlbare Klimapolitik – lokal wie global. Europa könne dabei zur Modellregion für nachhaltiges Wirtschaften werden, wenn es gelinge, eine versöhnliche Dialogkultur zu entwickeln und Alternativen zu den rein algorithmisch gesteuerten Kommunikationsplattformen zu schaffen.
Ehrliche Bestandsaufnahme Startpunkt des Strukturwandels
Der Klöckner-Vorstandsvorsitzende Kerkhoff betonte, dass der Strukturwandel eine Chance zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung sei – wenn er ehrlich, solidarisch und auf langfristige Perspektiven ausgerichtet gestaltet werde. „Wir müssen ehrlicher werden und enger zusammenrücken“, sagte er. Die Transformation könne nur gelingen, wenn am Anfang eine ehrliche Bestandsaufnahme stünde.
Gleichzeitig warnte Kerkhoff vor falschen Erwartungen: Weder ein CO2-freier Industriestandort noch eine vollständig elektrifizierte Mobilität seien mittelfristig realistisch. Entscheidend sei vielmehr die Stärkung von Bildung und Forschung, „damit wir weiterhin in der Lage sind, aus einem Klumpen Eisenerz einen Porsche zu machen, den wir dann exportieren können“, sagte Kerkhoff.
Bischof: Als Pilger der Hoffnung dem Wandel mit Freude begegnen
Bischof Overbeck berichtete von großer Verunsicherung und existenziellen Ängsten, die er bei vielen Menschen im Ruhrgebiet sehe und spüre, und warnte davor, „die Mühen des Wandels politisch kleinzureden“. Der Transformationsprozess könne nur gelingen, „wenn wir als Pilger der Hoffnung dem Wandel mit Freude auf die Zukunft begegnen“, sagte Overbeck. Dabei gehe es nicht nur um regionale Zukunftsfragen, sondern auch um globale Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, wie der Bischof mit Verweis auf die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus betonte, mit der dieser die Diskussion über sozialgerechtes und umweltverträgliches Wirtschaften weit über die katholische Kirche hinaus beeinflusst habe.
Ein zentrales Fazit des Abends war: Die Transformation des Ruhrgebiets wird gelingen, wenn sie als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe verstanden wird – sozial gerecht, ökologisch verantwortlich und wirtschaftlich tragfähig. Dafür braucht es eine ehrliche Analyse, politischen Mut, Vertrauen in die Demokratie – und vor allem: Räume des Dialogs, in denen Menschen miteinander reden statt übereinander.