von Thomas Rünker

„Was ist der eigentliche Zweck der Kirche?“

Mit dem Prozess „Christlich leben. Mittendrin“ bündelt und vernetzt das Bistum Essen kirchliche Aktivitäten auf Stadt- und Kreisebene, um auch in Zukunft für möglichst viele Menschen an Rhein, Ruhr und Lenne attraktiv zu sein. Wie dieses Leben als Kirche in der Minderheit gestaltet werden kann, darüber spricht der Theologieprofessor Jan Loffeld im Interview. Loffeld war am Dienstag in der Bistumsakademie „Die Wolfsburg“ Podiumsgast der Veranstaltung „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Wie gestalten wir Kirche, wenn der Glaube verschwindet?“

Kirche muss ihren eigentlichen Zweck neu definieren.

Glaube als zentrale Ressource in einer Minderheitenkirche.

Kirche soll sich authentisch für christliche Werte einsetzen.

Wenn die Kirche immer kleiner wird, weil Mitglieder seltener als früher Gottesdienste besuchen und andere kirchliche Angebote nutzen oder sich komplett abwenden, „wird sich die Kirche fragen müssen, welcher ihr eigentlicher Zweck ist und wie sie ihn so leben kann, dass andere etwas davon haben bzw. es als persönlich bereichernd empfinden“. Das sagt der vom Niederrhein stammende und nun im niederländischen Tilburg lehrende Theologieprofessor und Priester Jan Loffeld. Er war am Dienstagabend, 3. September, einer der Diskussionspartner der Veranstaltung „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Wie gestalten wir Kirche, wenn der Glaube verschwindet?“ in der Mülheimer Bistumsakademie „Die Wolfsburg“. Im Interview spricht er darüber, warum sich nur wenige Menschen für die Themen der Kirche interessieren und wie sich die Kirche auf einer Minderheitenrolle in der Gesellschaft einstellt.

Frage: Herr Professor Loffeld, in Ihrem Buch beschreiben Sie, dass in Ihrer aktuellen Heimat Niederlande praktisch alle christlichen Konfessionen mit einem ähnlichen Desinteresse konfrontiert sind. Ist die Botschaft des Evangeliums heute einfach nicht mehr zeitgemäß?
Jan Loffeld: Zeitgemäßheit ist eine schwierige Kategorie. Eher würde ich sagen, dass Menschen immer weniger und seltener existentielle Anschlussstellen aktivieren, an die das Evangelium andocken könnte. Wenn wir weiterhin daran festhalten, dass der Mensch gottesfähig ist, also die Möglichkeit in sich trägt, mit Gott in Beziehung zu treten und mit ihm zu leben, so zeigt er sich jedoch in unserer Zeit als immer weniger gottesbedürftig. Gleichzeitig entdecken einzelne Menschen Gott, die ihn lange nicht kannten oder brauchten, auf unvorhergesehene Weise – in Deutschland noch weniger, in Frankreich und den Niederlanden ist das derzeit schon sichtbarer. Dies zeigt, dass wahrscheinlich jeder Mensch ein `Gottesgen´ in sich trägt, jedoch nicht jede und jeder dieses während des Lebens zwingend aktiviert.

Frage: Wie funktioniert eine Kirche, wenn ihre Mitglieder in der Gesellschaft nur noch eine Minderheit sind?
Loffeld
: Sie wird die Frage nach der Relevanz ihrer unterschiedlichen Ressourcen neu stellen müssen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche pastoralen Visionen implizit immer noch davon ausgehen, dass der kirchliche bzw. religiöse Ressourcenspeicher so voll ist, wie etwa in den 1980ern: Breites religiöses Wissen und Praxis, finanzielle Sorglosigkeit, hohes Engagement im Ehren- und Hauptamt. All das hat sich fundamental gewandelt und wird sich weiter verändern. Die Grundressource ist dabei der Glaube. Wenn ich nicht (mehr) glaube, bleibe bzw. bin ich vielleicht noch einige Zeit kirchlich engagiert. Glaube und Engagement können aber sehr schnell aufgegeben und bzw. durch anderes ersetzt werden: Entweder aufgrund der kirchlichen Skandale oder weil es einfach bessere oder andere Möglichkeiten des Engagements gibt. Das kontinuierliche Engagement wird dann nicht selten durch ein anlassbezogenes abgelöst. Hier bleiben Menschen aus alter Verbundenheit in der Kirche oder wegen ihres Ritualangebots. Auch weil sie die Kirche als gesellschaftliche Organisation für ihr vielfältiges Engagement bzw. aufgrund ihres christlichen Wertekanons schätzen. Doch die Frustrationstoleranz wird verständlicherweise bei vielen immer geringer. Eine Kirche in der Minderheit wird vor diesem Hintergrund gut abwägen müssen, was sie aufgrund welcher theologischen Kriterien wie tut. Anders ausgedrückt: Sie wird sich fragen müssen, welcher ihr eigentlicher Zweck („Purpose“) ist und wie sie ihn so leben kann, dass andere etwas davon haben bzw. es als persönlich bereichernd empfinden.

Frage: Mit welchen Angeboten kann eine Kirche aus dieser Minderheitensituation heraus trotzdem noch in der Gesellschaft punkten?
Loffeld: In einer Gesellschaft, in der die Frage nach der Authentizität diejenige nach einer allgemeingültigen Wahrheit abgelöst hat, wird jede Anbiederung an einen vermeintlichen Zeitgeist oder an Dinge, die man intuitiv nicht mit dem Auftrag der Kirchen in Verbindung bringt, vermutlich eher Stirnrunzeln hervorrufen. Es herrscht dabei eine hohe soziale Erwartung an die Kirchen, auch daher sollten die Kirchen weiterhin all das tun, worin sie vom Evangelium her ihren Auftrag erkennen und eine Verteilung der geringer werdenden Ressourcen von daher entscheiden. Gerade, wenn man sich die derzeitige politische Landschaft anschaut, wird ein eindeutiges Eintreten für christliche Werte absolut dringlich. Allerdings herrschen intern gleichzeitig heterogene Kirchenbilder, so dass wir uns, denke ich, angesichts der Minderheitensituation neu darüber austauschen sollten, was die Kirche ist, soll und kann. Ein Beispiel: Was bedeutet es konkret, dass die Kirche sich als in erster Linie „Sakrament“ versteht? Oder wird sie faktisch vorwiegend als Organisation oder Institution betrachtet? Ich denke, gerade das „Sakramentale“ könnte in allen organisationalen Erscheinungsformen und darüber hinaus ihr Alleinstellungsmerkmal sein. Spannend wäre, wenn sich etwa der Pastoralprozess „Christlich leben. Mittendrin.“ auch mit solchen Fragen beschäftigen würde.

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