Was „Cheri, Cheri Lady“ mit Bibel-Texten zu tun hat
Wie man mit den Geschichten der Bibel anderen vom christlichen Glauben erzählt, war eines der Themen, mit denen sich am Samstag, 16. November, rund 100 ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum Essen beim „Tag der Katechese“ beschäftigt haben. „Keiner braucht ständig neue Coverversionen der biblischen Geschichten. Schaut auf die Erfahrungen mit Gott, das, was sich euch in den biblischen Texten zeigt, und erzählt neue Geschichten“, appellierte Referent Tobias Sauer an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Mülheimer Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“.
Im Interview erzählt der Trierer Theologe und Initiator des Netzwerks „ruach.jetzt“, was er gegen Cover-Versionen hat und was 2000 Jahre alte Bibel-Geschichten den Menschen auch im Digital-Zeitalter von Gott erzählen.
Bistum Essen: Herr Sauer, in ihrem Vortrag haben Sie am Samstag das gut 20 Jahre alte „Cheri, Cheri Lady“ von Modern Talking mit der in diesem Jahr veröffentlichen Version des Deutsch-Rappers Capital Bra verglichen – was sagt uns das über unseren Umgang mit Bibeltexten?
Tobias Sauer: In der Katechese, in der Weitergabe unseres Glaubens, gehen wir oft ähnlich vor, wie Capital Bra in seinem Cover: Wir nehmen uns eine Vorlage und versuchen sie, durch das Austauschen von Settings und Personen in die heutige Zeit zu übertragen. Dann gehen beim Gleichnis vom Barmherzigen Samariter eben ein moderner Banker in Zeitnot, ein desinteressierter Rentner und ein Teenager mit Kopfhörern auf den Ohren vorbei – und am Ende ist es ein obdachloser Junkie, der anstelle des Samariters hilft. Das mag eine schöne, etwas besser verständliche Geschichte sein als das Original – aber für unseren Glauben hilft sie uns nicht weiter.
Bistum Essen: Warum nicht? Angesichts der manchmal schwierigen Bibel-Sprache ist eine bessere Verständlichkeit doch schon mal nicht schlecht.
Tobias Sauer: Das stimmt, aber das Problem ist, dass damit unsere Verkündigung in der Denkwelt und Situation der Vorlage stecken bleibt, für die sie damals geschrieben wurde. Gottes Botschaft bleibt immer gleich, nur wir verändern uns. Deswegen gilt es, die „Baseline“ herauszuarbeiten, Gottes grundlegende Botschaft hinter der Geschichte. So ist es beim Barmherzigen Samariter: „Jeder kann für jeden der Nächste sein.“
Oder nehmen Sie die Erzählungen vom „Reich Gottes“: Niemand würde doch behaupten, dass diese Botschaft nur in einem römischen Imperium funktioniert, in einer agrarisch geprägten, undemokratischen und ziemlich patriarchalen Gesellschaft. Es muss uns also um die Frage gehen, wie heute die Geschichten von einem Messias, einem Erlöser aussähen, dessen Reich und Macht so ganz anders ist als wir es gewöhnt sind.
Bistum Essen: Dafür braucht es ziemlich kreative Köpfe – und den Mut, die vertrauten Bibelgeschichten zu verlassen.
Tobias Sauer: Niemand hat gesagt, dass es einfach wird. Ich vertraue aber darauf, dass kirchliche Mitarbeiter erstens gut ausgebildet sind und zweitens alle eine eigene Glaubensgeschichte haben. Ich muss mich nur trauen, von diesen eigenen Erfahrungen mit Gott zu erzählen – statt ständig Coverversion zu produzieren. Wenn wir unseren Glauben weitertragen, kann es keine perfekte Lösung geben – und das muss es auch nicht. Schließlich leben wir seit Jahrtausenden nicht von einer einmal aufgeschriebenen Geschichte, sondern von immer neuen Offenbarungen Gottes. Nichts anderes sind für mich zum Beispiel die Geschichten von Heiligen. Wir sind eine Gemeinschaft der Gläubigen – und nicht der Dogmen. Entdecken wir also selbst die „Baseline“, die eigentliche Grundlage hinter jeder Geschichte von Gott mit uns – und erzählen wir davon. Dann bleibt das Evangelium auch im 21. Jahrhundert anschlussfähig.
Referentin für Glaubenskommunikation
Bernadette Wahl
Zwölfling 16
45127 Essen