Theologie-Professor Sellmann plädiert für eine Kirche der Freiheit
Trotz Mitgliederschwund und weniger Gottesdienstbesuchern – dass es mit der katholischen Kirche in den kommenden Jahren nur bergab geht, ist für den Bochumer Theologie-Professor Matthias Sellmannlängst nicht ausgemacht. „Das Ding kann auch durch die Decke gehen“, sagte Sellmann am Freitagabend vor Religionslehrern in Mülheim. Dabei sei die wichtigste Frage für eine neue kirchliche Blütezeit: Wie geht die Kirche mit religiöser Freiheit um, mit der Tatsache, dass die Menschen heute nicht mehr „automatisch“, womöglich durch familiären oder moralischen Druck zur Kirche kommen – sondern weil sie sich selbst dafür entscheiden? Dass sich die Christen mit den aktuellen Umbrüchen und gesellschaftlichen Veränderungen in und um ihre Kirche schwer tun, ist für den Bochumer Wissenschaftler nicht verwunderlich: „Wir konnten es ja nie lernen!“, so Sellmann zu den Besuchern des religionspädagogischen Abends in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“. Erst seit wenigen Jahrzehnten gebe es in Deutschland eine wirkliche religiöse Selbstbestimmung – und diese verändere die Gesellschaft ähnlich durchgreifend wie die analog erfolgte sexuelle Befreiung.
Sellmann warb dafür, den Gedanken der Freiheit in der Kirche als Chance zu begreifen: „Eigentlich wollen wir doch gar keine Vertreter einer Religion sein, die mit dem Verdacht klar kommen muss, dass die Leute nicht freiwillig kommen.“ Und dass derzeit niemand eine konkrete Vorstellung von der Kirche der Zukunft habe, sei auch entlastend: „Keiner weiß, wie man eine Kirche baut mit Leuten, die nur tun, was sie wollen. Aber wir haben es auch noch nie probiert!“ Mit seinen 20 Zukunftsbild-Projekten, die beispielhaft versuchen, an Rhein, Ruhr und Lenne Ideen für eine lebendige Kirche umzusetzen, sei das Bistum Essen auf einem guten Weg, sagte Sellmann. In Zukunft müsse die wichtigste Kompetenz kirchlichen Personals sein, Freiheit zu ermöglichen und Freiheit zu vermehren, betonte der Theologe.
Mit Blick auf den Religionsunterricht warb Sellmann dafür, diesem in den Schulen oft eher am Rand stehenden Fach mehr Bedeutung beizumessen. Religionslehrer dürften nicht nur als Wertevermittler und Streitschlichter gesehen werden – vielmehr müsse das Fach die Bedeutung von biblischen Erzählungen, Dogmen und theologischen Erkenntnissen für das Leben der heutigen Kinder und Jugendlichen deutlich machen. „Dogmen und Bibel-Geschichten sind geronnenes Lebens-Lösungs-Wissen, das muss im Religionsunterricht wieder liquide werden“, sagte Sellmann. Wichtig sei dafür die Persönlichkeit jeder Lehrerin und jedes Lehrers. „So wie ich von einem Kunst- oder Musiklehrer erwarte, dass er in seinem Unterricht nicht nur Theorie, sondern auch seine persönliche Beziehung zu diesem Fach einbringt, so darf ich das auch von Religionslehrern erwarten.“
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