von Thomas Rünker

Telefonseelsorgen erleben Ansturm durch Corona-Krise

50 Prozent mehr Anrufe als an normalen Tagen, zudem deutlich mehr Anfragen per E-Mail und Chat. Die Schwierigkeiten, mit anderen Menschen Kontakt zu halten, machen aktuell auch ein derart öffentliches Thema wie das Corona-Virus zu einem Thema für die Telefonseelsorge.

Die Telefonseelsorge-Stellen im Ruhrbistum haben seit einigen Tagen deutlich mehr zu tun als sonst

Die Folgen des Corona-Virus spielen in jedem zweiten Gespräch eine Rolle

Oft drehen sich die Gespräche um eigene Ängste und um Einsamkeit

Rund 50 Prozent mehr Anrufe als an gewöhnlichen Tagen – und in fast jedem zweiten Gespräch geht es um das Virus. Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote lassen in der Corona-Krise die Nachfrage bei der Telefonseelsorge und anderen telefonischen und digitalen Seelsorge-Angeboten derzeit deutlich in die Höhe schnellen. Das zeigt eine Umfrage bei den Telefonseelsorge-Stellen im Ruhrgebiet und dem märkischen Sauerland. Auch bei den Kontakten via E-Mail oder Chat nehme die Nachfrage insgesamt und konkret zum Thema Corona zu, heißt es bei den Telefonseelsorgern.

„Was wir jetzt gerade erleben, ist wirklich einmalig“, sagt Stefan Schumacher, Leiter der Telefonseelsorge in Hagen, die den Märkischen und den Ennepe-Ruhr-Kreis versorgt. Pausen gebe es für die vielen ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger derzeit kaum. Auf der anderen Seite höre er von seinem Team, „dass die Menschen sehr dankbar sind, weil das Reden wirklich hilft“. In Duisburg hat dies eine Anruferin so auf den Punkt gebracht: „Corona macht mutterseelenallein“. Und Elisabeth Hartmann, Leiterin der Essener Telefonseelsorge, beobachtet: „Für die Menschen zwischen 50 und 75 Jahren stehen oft Fragen zu Ängsten rund um die eigene Gesundheit im Mittelpunkt – während Anrufer über 80, aber auch unter 40 Jahren, vor allem das Thema Einsamkeit ansprechen.“

Anders als bei Loveparade-Katastrophe oder Schließung des Opel-Werks

Für die Telefonseelsorge ist das Thema Corona in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich: Nicht nur, dass die Telefonseelsorger nun ungewöhnlich viele praktische Tipps zu Ansteckungsgefahren und Einkaufsmöglichkeiten geben müssen und deutlich mehr Menschen anrufen als sonst – die Telefonseelsorge hat selten so intensiv mit einem Thema zu tun, das auch sonst im Alltag so präsent ist. „Die Loveparade-Katastrophe zum Beispiel, war bei uns kaum ein Thema, weil jeder auch beim Bäcker oder mit der Nachbarin darüber sprach“, sagt Olaf Meier, Leiter der Duisburger Telefonseelsorge. Ähnliches berichtet sein Bochumer Kollege Ludger Storch von der Schließung des dortigen Opel-Werks: „Wenn die Leute ein Thema in der Kneipe oder mit Freunden diskutieren, rufen sie dafür selten die Telefonseelsorge an.“ Dort drehten sich viele Kontakte sonst eher um nicht-öffentliche Themen wie Gewalt, sexuelle Orientierung oder Missbrauch. Doch angesichts der Kontakt-Verbote fehlen vielen Menschen derzeit Austauchmöglichkeiten über das öffentliche Thema Corona – und sie wenden sich an die Telefonseelsorge. „Jetzt rufen auch Leute an, die sonst nicht anrufen“, hat Olaf Meier in Duisburg festgestellt und in seinem Team die Devise ausgegeben: „Wir stellen uns auf einen Langstreckenlauf ein.“

„Viele Ältere berichten jetzt wieder von ihren Kriegs-Erfahrungen.“

„Ängste, familiäre Beziehungen und Einsamkeit“, seien in Essen die großen Themen bei Gesprächen über Corona, sagt Hartmann. Meier betont, dass die aktuelle Situation bei Menschen mit eigenen traumatischen Erfahrungen zu einer „Re-Traumatisierung“ führen könne. „Viele Ältere berichten jetzt wieder von ihren Kriegs-Erfahrungen.“ Zudem gebe es Menschen mit psychischen Erkrankungen, die zum einen konkrete Sorgen mit Blick auf die Fortführung von Therapien hätten. Zum anderen drohe die neue Situation Ängste auszulösen, „die sich aufblähen und neue Probleme verursachen“, so Meier. Hier bemühe sich die Telefonseelsorge soweit möglich, die Menschen im Gespräch zu stabilisieren.

Gestemmt bekommen die Telefonseelsorgen den Ansturm derzeit „nur dank unglaublich motivierter Ehrenamtlicher“, heißt es in allen vier Telefonseelsorge-Stellen im Bistum. Überall sei älteren oder durch Vorerkrankungen geschwächten Ehrenamtlichen angeboten worden, vorerst nicht zum Dienst zu kommen. Weil sich andere umso mehr engagierten, müsse derzeit noch kein Dienst ausfallen, so Meier. Allerdings kehre sich im Kontakt mit den Pfarreien vor Ort nun manchmal die Blickrichtung um: „Gewöhnlich entlasten wir die Gemeinden, weil sie bei bestimmten Anfragen und Themen direkt auf uns verweisen – jetzt verweisen wir gelegentlich auf die Seelsorger vor Ort und laden unsere Gesprächspartner zum Beispiel ein, in ihrer Nachbarschaft nach Hilfs- oder Kontaktangeboten zu suchen“, erläutert Meier. Fast überall sind die Pfarr- und Gemeindebüros nach wie vor telefonisch oder per E-Mail erreichbar. Zudem haben viele Seelsorgerinnen und Seelsorger feste Telefon-Sprechzeiten eingerichtet und vermitteln bei Bedarf an konkrete Hilfsangebote.

Rund um die Uhr kostenlos und anonym erreichbar

Die Telefonseelsorge ist bundesweit einheitlich rund um die Uhr über die Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 erreichbar. Die Anrufe sind kostenlos und anonym. Telefonnummern der Anrufer werden nicht gespeichert oder im Einzelverbindungsnachweis des Anrufers aufgeführt. Ein Zugang zur – ebenfalls anonymen – Beratung per E-Mail oder Chat ist über die Internetseite www.telefonseelsorge.de möglich.

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