von Thomas Rünker

SPD in NRW will mit Solidarität aus dem Krisenmodus

Bei einer Diskussion in der Bistums-Akademie „Die Wolfsburg“ gab SPD-Landeschef Hartmann zu, dass sich die SPD über politische Erfolge „mehr freuen könnte“. Für die Zukunft warb er für Milliarden-Investitionen in Bildung und eine Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus.

In der Bistums-Akademie "Die Wolfsburg" diskutierte SPD-NRW-Chef Hartmann mit dem Journalisten Richard Kießler und dem Politikwissenschaftler Martin Florack

Hartmann sieht eine Verantwortung bei seiner Partei selbst, sich nicht in einen "Dauerkrisenmodus" zu reden

Mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 und die Landtagswahl 2022 werde seine Partei den Wählern das Angebot "Freiheit durch Solidarität" machen

Vertrauensverlust, Mitgliederschwund und wenig Beteiligung: In der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim stand am Mittwochabend einmal nicht die Kirche auf der Agenda – sondern die SPD. Gemeinsam mit dem Publikum analysierten und diskutierten der langjährige NRZ-Chefredakteur Richard Kießler, SPD-Landeschef Sebastian Hartmann und der Duisburger Politikwissenschaftler Martin Florack die Lage der „Partei im Dauerkrisenmodus“, wie „Wolfsburg“-Dozent Mark Radtke die Veranstaltung überschrieben hatte.

Wobei Hartmann, 1977 in Oberhausen-Osterfeld geboren und gut ein Jahr nach der deutlichen Niederlage bei der Landtagswahl im Juni 2018 zum SPD-Vorsitzenden in NRW gewählt, das Krisenhafte schnell ad acta legen wollte. „Man ist als politische Partei auch selbst dafür verantwortlich, wenn man sich in den Dauerkrisenmodus redet“, hob Hartmann hervor. Ja, die SPD habe in der Vergangenheit auch in NRW nicht alles richtig gemacht – und über politische Erfolge in der Großen Koalition wie die jüngst erreichte Grundrente mit reiner Einkommensprüfung „hätten wir uns mehr freuen können“. Doch jetzt gehe es für den bundesweit größten SPD-Landesverband darum, „Angebote für die Kommunalwahl im nächsten Jahr und die Landtagswahl 2022 zu machen“.

Kießler: „Eine ratlose Partei, die auch noch schlechte Laune hat“

Ein Optimismus, den Florack und Kießler ein wenig bremsen wollten. Der Politikwissenschaftler sah vielmehr ein geradezu „ehernes Gesetz“ des Krisenhaften in der Partei: „Bei der SPD knallt es immer dann, wenn sie in Regierungsverantwortung ist – oder gerade raus.“ Und der Journalist, bis vor wenigen Jahren selbst jahrzehntelang SPD-Mitglied, sprach von einer „ratlosen Partei, die auch noch schlechte Laune hat – und zudem über sich selbst stolpert“. Kießler hielt der (Bundes-)SPD vor, zuletzt Themen aus dem Bereich Migration und Integration vernachlässigt zu haben, „davon war bei den Wahlkampf-Veranstaltungen der Kandidaten-Paare für die neue Doppelspitze kaum etwas zu hören“. Weil die SPD diese Themen nicht bearbeite, werde in ihren ehemaligen Hochburgen wie etwa im Essener Norden die AFD zunehmend stärker, so Kießlers Analyse. Zudem habe die SPD die Brisanz der Klima-Politik nicht erkannt: „Seit den 1990er Jahren war absehbar, dass das ein wichtiges Thema wird“, so Kießler.

Einen der jüngeren Vorstöße der Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sortierte Florack denn auch in das große Thema „vorhandene Erfolge werden gut versteckt“ ein: Im Prinzip hätten die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Bielefeld lediglich Schulzes Konzept einer CO2-Steuer übernommen, andere Preise eingefügt „und gehen damit jetzt mit guter Laune hinaus in die Welt“, so Florack.

SPD setzt beim Klimaschutz auf sozialen Ausgleich

Hartmann hält dagegen, dass die SPD beim Klimaschutz für den sozialen Ausgleich stehe. Wenn der Preis für eine Tonne CO2 nicht bei zehn sondern – wie von den Grünen beschlossen – bei 60 Euro liege, bedeute dies für manch mehrköpfige Familie mit Ölheizung Mehrkosten von mehreren hundert Euro pro Jahr, „das kann sich nicht jeder leisten“, so Hartmann. Zudem werde er die Grünen in NRW „immer daran erinnern, dass sie alle Braunkohletagebaue hier mitgetragen haben“. Unter seiner Führung werde die SPD in NRW versuchen, sich mit dem Angebot „Freiheit durch Solidarität“ von der politischen Konkurrenz abzugrenzen. Konkret schlägt er unter anderem vor, den Wandel in der Arbeitswelt durch einen öffentlich finanzierten „lebenslangen Qualifizierungsanspruch“ zu unterstützen. Zudem sollen nach seinen Vorstellungen künftig bis zu 7 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich in den Bildungsbereich in NRW fließen. Als zentrales Thema sieht Hartmann das Wohnen. Hier sollen künftig weniger Steuermittel in Wohngeld-Erhöhungen fließen, sondern direkt in den sozialen Wohnungsbau. „Wir müssen die Kommunen wieder in die Lage versetzen, selbst Wohnraum zu schaffen.“ Und dieser öffentliche Wohnraum solle dann nicht nach 30 Jahren aus der Sozialbindung fallen, sondern dauerhaft in öffentlicher Hand bleiben. Zudem sollten die Kommunen keine Grundstücke verkaufen, sondern nur über Erbpacht vergeben.

Florack: SPD muss auch „die Reichen“ als Wähler gewinnen

Politikwissenschaftler Florack sieht in den SPD-Plänen „ein großes Potential, das aber nicht richtig aktiviert wird“. Die SPD sei – wie bei der Grundrente – gut darin, bestimmten Bevölkerungsgruppen Gutes zu tun, „blöderweise wählen die aber anschließend nicht unbedingt die SPD“. Die Partei brauche auch „die Reichen“ als Wähler, sagt Florack und fragt Hartmann, was denn das Angebot für dessen eigene Altersgruppe, die Mit-Vierziger sei. „Das zweite beitragsfreie Kita-Jahr in NRW hat ausgerechnet schwarz-gelb durchgesetzt.“

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