Rio im Pott: Gelsenkirchen <br>ganz nah bei Cristo

Zwei Wochen war die Jugendkirche GleisX Treffpunkt für alle, die nicht zum Weltjugendtag nach Brasilien reisen konnten. "Rio im Pott" hieß das Programm, das mit einer sehenswerten Ausstellung im Kirchenraum, mit Sandstrand, Tanz und Trommeln, Cocktails und Copacabana-Feeling lockte.


„Rio im Pott“ begeistert Jugendliche

Direkt unter den ausgebreiteten Armen der Cristo-Statue schlafen – das zumindest hatten die Teilnehmer bei „Rio im Pott“ in Gelsenkirchen den Jugendlichen beim Weltjugendtag im 9240 Kilometer entfernten Rio de Janeiro voraus. Bei der so genannten „Home Edition“ durften sie es sich auf Matratzen in der Jugendkirche Gleis X (Liebfrauenkirche in der Neustadt) am Philipp-Neri-Zentrum bequem machen und wurden dabei von einer drei Meter hohen Cristo-Kopie, die vom Altar in die Höhe ragte, bewacht.

„Wir finden, das ist ein sehr gute Alternative“, meinten die Freundinnen Anna, Jana, Aleks und Nicole, die gerne nach Rio gereist wären, denen der Aufenthalt aber zu teuer geworden wäre. Mit  ihren Strohhüten und leichten Sommerschlafsäcken hatten sie schnell vier Matratzen gesichert. „Wir sind sehr gespannt und aufgeregt, wir haben noch nie in einer Kirche übernachtet. Selbst beim Weltjugendtag in Madrid nicht.“

Die Organisatoren von GleisX und vom BDKJ-Stadtverband Gelsenkirchen hatten schon im Januar die Idee gehabt, ein buntes Programm zum Weltjugendtag auszuarbeiten und damit brasilianisches Flair ins Ruhrgebiet zu holen – für alle, die nicht nach Rio reisen würden. 28 Tonnen Sand waren dazu neben der Kirche abgeladen worden. „Wir hatten Glück“, erklärte Jugendseelsorger  Christoph Wichmann, „wir haben den Sand kostenlos bekommen – von der Baustelle nebenan.“ An der Bochumer Straße werden gerade Kirchplatz und Fußgängerzone neu gepflastert. Wenn der Weltjugendtag vorbei ist, wird der Sand wieder abgeholt und für seinen eigentlichen Zweck verwendet. Bis Sonntag dient er aber noch als Strand vor der Kirche, bestückt mit Liegestühlen, Strandjurten, und einer kleinen Bar.


Brasilien  in allen Facetten


Der „Home Edition“, die seit Donnerstagabend an Gleis X lockt, war in der vergangenen Woche die so genannte „School Edition“ vorausgegangen. Hunderte Kinder und Jugendliche besuchten währenddessen die Kirche, in der insgesamt acht Stationen, so genannte Waggons, aufgebaut waren, die sich mit verschiedenen Aspekten des Themas Brasilien und dem Weltjugendtag beschäftigten. Und so mischte sich unterm Kirchendach die fröhliche Leichtigkeit des Seins von Copacabana, Karneval in Rio und Fußball mit nachdenklich machenden Einblicken in Armut, Elend und Umweltzerstörung.

In  liebevoller Kleinarbeit hatten die GleisX-Mitarbeiter Stationen entworfen, an denen die Jugendlichen sich spielerisch mit den vielen Facetten des größten lateinamerikanischen Landes auseinandersetzen konnten. Im Workshop an der Station Favela sollten sie in Kleingruppen aus fünfzig Wörtern zehn auswählen, auf die sie in ihrem Leben nicht verzichten wollten. Materielle Begriffe wie Handy, Fernseher, Kleidung, Internet standen da ideellen Werten wie Liebe, Partnerschaft, Familie und Gesundheit gegenüber. Und waren die ausgewählt, wurden zwei Gruppen zusammengelegt, die sich aus den jeweils ausgewählten Begriffen wieder auf zehn gemeinsame verständigen mussten. Gar nicht so einfach, bekannten alle.


Diskussion und Inspiration


„Unser Ziel war es, über die Stationen Gefühle zu wecken und zu sensibilisieren“, erklärte Steffi Gruner, Jugendreferentin von GleisX und zeigte sich beeindruckt, wie sehr das gelungen ist. „Wir haben  in den vergangenen Tagen sehr viele schöne und tiefgreifende Diskussionen an allen Stationen erlebt.“  Besonders inspiriert waren die Jugendlichen vom Thema Schutz des Regenwaldes, das ihnen in Form von Hörspielen näher gebracht wurde. „Das war der Raum, in dem am meisten über Gott geredet wurde“, resümiert Gruner. Ganz anders an der Station „Karneval“: Anfangs ein bisschen schüchtern, dann richtig ausgelassen gaben sich die Jugendlichen dort, griffen zu Kostümen und Instrumenten und ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Für Steffi Gruner eine klare Sache: „Karneval steht für die Freude. Und nur mit Freude kann man den Glauben weitergeben.“ Jugendseelsorger Wichmann ging aus aktuellem Anlass in einem der angebotenen Workshops besonders auf das Thema Demonstrationen ein. „Wofür würdet ihr demonstrieren?“ fragte er die Jugendlichen, die es sich in Liegestühlen bequem gemacht hatten. Er entfachte eine angeregte Diskussion über Kinderarbeit, Gleichberechtigung und politischen Extremismus, holte die Jugendlichen aber auch direkt in ihrer Lebenswirklichkeit ab. „Wir würden für die Wiedereinführung von G9 auf die Straße gehen“, bekannten einige Teilnehmer. Die verkürzte Zeit bis zum Abitur sei „einfach nur brutal“.   


Kirchenglocken statt Wecker


Nach so vielen bedeutsamen Themen und Gesprächen ging es Donnerstagabend dann am Sandstrand von GleisX zum entspannten Teil über. Bei alkoholfreien Cocktails mit deutlich brasilianischer Note („Brasilian Lover“, Ipanema“) und Bier ließen es sich die Teilnehmer gut gehen und warteten auf die Live-Übertragung der Papstmesse aus Rio, die widerum im Kirchenraum übertragen wurde.  „Ich fühle mich mit dem neuen Papst verbunden“, meinte Jan. „Ich finde ihn richtig gut, weil er so einfach lebt.“  Das ging den vier Freundinnen Anna, Jana, Aleks und Nicole ähnlich. Wenngleich sie nach der nächtlichen Übertragung hundemüde auf ihre Matratzen fielen. Unter den ausgebreiteten Armen der Cristo-Kopie. „Es war voll gemütlich“, erklärten sie am nächsten Morgen glücklich. „Die Statue war auch in der Nacht so schön angestrahlt. Das sah toll aus. Und wir fühlten uns sehr beschützt und sicher.“ Bis sie um acht Uhr aus ihren Träumen erwachten. Nicht durch schrilles Weckerklingeln, versteht sich. Durch Kirchenglocken. Wie es sich bei einer solchen Schlafstätte gehört. (jul)

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