von Thomas Rünker

Schalke-Kirche öffnet auch für Spiele in der zweiten Liga

Beim letzten Heimspielsamstag in der ersten Bundesliga war in der „Offenen Kirche Schalke“ nicht viel los. Dennoch wird das Engagement der Pfarrei St. Joseph mit der blauweißen Kirchplatz-Dekoration gerade als starkes Zeichen geschätzt.

Das Tor zum Himmel ist pitschnass. Alle paar Sekunden fährt ein Auto durch die Pfütze vor der St. Joseph-Kirche und spritzt literweise Regenwasser auf den handgehäkelten blauweißen Überzieher, der einen der dicken Poller auf dem Kirchplatz an der Kurt-Schumacher-Straße ziert. Wie an jedem Heimspiel-Tag des FC Schalke 04 lädt „Tor zum Himmel“ zusammen mit „Kirche offen“ und den anderen blauweißen Poller-Pullis links und rechts an der viel befahrenen Straße in Richtung Schalke-Arena in die Kirche ein. Und auch am vorerst letzten Heimspielsamstag, den der Traditionsclub in der ersten Bundesliga bestreitet, hat das stattliche Gotteshaus an der Schalker Meile seine Tore für Fußballfans geöffnet, die vor dem Anstoß einen Moment der Besinnung suchen.

Kirchenfenster mit Fußball – und blauweiße Kerzen vor der Pieta

Viele sind das heute nicht. Gerade zwei Handvoll blauweiße Kerzen brennen vor der Pieta. Kein Vergleich zu den Hochzeiten der vergangenen achteinhalb Jahre, in denen es diese besondere Schalker Kirchentradition nun gibt. Als vor Corona noch Zehntausende in die Arena pilgerten, gehörte für viele Fans der Zwischenstopp in St. Joseph zu den festen Ritualen: Einmal beim Heiligen Aloisius vorbei gehen, dem Schutzpatron der christlichen Jugend, dem sie beim Wiederaufbau in den 1950er Jahren einen Fußball mit ins Kirchenfenster gemalt haben, weil der für die Jugend auf Schalke schon damals so wichtig war. Den Altar ziert ein Fan-Schal in liturgisch wenig kompatiblem blauweiß, über dessen Slogan „Ein Leben lang!“ an diesem Ort vielleicht auch mancher Katholik ins Grübeln kommt. Und an der „Schalker Mauer“ im linken Seitenschiff haben Fans genauso ihre Bitten und Erinnerungen verewigt wie in den Gästebüchern: „21.5.2019 – Das erste Mal auf Schalke mit den Jungs“. Aber kaum ein Fan verlässt die Kirche, ohne eine Kerze anzuzünden. „Viele tanken hier noch einmal Ruhe und Kraft, bevor es im Stadion richtig laut wird“, sagt Gemeindereferentin Christiane Rother, die gemeinsam mit Pfarrer und Initiator Ingo Mattauch und einem Team engagierter Ehrenamtlicher aus der Schalker Nachbarschaft an den Heimspieltagen die offene Kirche betreut.

So ein richtiger Fan-Ansturm in der Fußball-Kirche, das ist lange her: Erst kamen die Corona-Viren – und mit Ihnen die Geisterspiele ohne Fans. Und dann kam der Abstieg. Da braucht es gar kein Regenwetter mehr vor der Tür, dass kaum noch ein Schalker den Weg in die Kirche findet. „Im Februar/März fing das an“, erinnert sich Rother an die Zeit, als der Schalke-Abstieg immer unausweichlicher wurde. „Da hab ich kurz vor einem Spiel eine WhatsApp von einem Fan bekommen: ,Alles Scheiße!‘ Ich habe dann geantwortet, dass ich die Daumen drücke, dass wenigstens noch ein Tor für Schalke fällt. Am Abend bedankte sich der Fan dann dafür und schrieb, er habe sich zumindest schon mal den Spielplan für die zweite Liga angeschaut.“ Fußball-Trauerbewältigung per Chat: „Nach vorn schauen und überlegen, welche schönen Seiten es trotzdem noch gibt“, versucht es Rother auf den Punkt zu bringen.

Mancher Schalke-Fan spart sich die Dauerkarte vom Munde ab

Doch Mattauch, Rother und die Ehrenamtlichen wissen, dass das oft leichter gesagt ist, als getan. Mancher Stammkunde spare sich die Dauerkarte fürs Stadion vom Munde ab – buchstäblich, sagt eine der Mitarbeiterinnen, die mit ihren Kolleginnen und reichlich Corona-Abstand an einem Tisch in einer Kirchbank sitzt. Dabei ist der Zweitliga-Abstieg nicht nur ein Drama für Fußballfans, sagt Rother. Schließlich war der Club aus dem „bekanntesten Stadtteil der Welt“ (Rother) bis zuletzt noch einer der wenigen echten Pluspunkte für die Revier-Stadt, die bis heute massiv unter dem Strukturwandel leidet.

So sei es auch „ein Zeichen in die Stadt hinein“, dass sie weiter die Kirche öffnen, die Fahne „Vorm Spiel is inne Kirche“ hissen und den Waschbeton-Pollern die blauweißen Pullis überziehen – auch wenn kaum einer kommt. „Wir bekommen total viel Zuspruch darauf“, verweist Rother auf Social-Media-Kommentare und andere Reaktionen derer, für die in den Stunden vor dem Anpfiff der Schmuck an der Kirche eine feste Konstante auf der viel befahrenen Ausfallstraße ist. Im Team sei es deshalb schnell klar gewesen, dass die „Offene Kirche Schalke“ auch für Spiele in der zweiten Liga öffnet. Bei den späten Spielen am Montagabend könnte das schwierig werden, „aber am Samstag sind wir dafür früher fertig“, schmunzelt man schon im Team. 

Eine Borussin in blauweiß

Schalke hilft Dortmund in die Champions League

Nach diesem Bundesliga-Wochenende gibt es Grund für Wohlwollen in beiden Fan-Lagern und Dankbarkeit der Borussen: Schalke hat mit einem 4:3 gegen Frankfurt seit langem mal wieder gewonnen – und mit dem Sieg gegen die Eintracht dem BVB den Weg in die Champions League geebnet.

Nur Christiane Rother wird sich womöglich umstellen müssen. Denn so leidenschaftlich, wie sich die Seelsorgerin in St. Joseph um die Fußball-Fans und die offene Kirche kümmert, schlägt ihr eigenes Fußballerinnen-Herz just für den schwarz-gelben Erzrivalen aus Dortmund. „Bislang konnte ich mich darauf verlassen, dass nicht beide Vereine gleichzeitig ein Heimspiel hatten“, sagt Rother. Sie konnte also entweder in blau-weißer Weste in St. Joseph Dienst tun – oder im schwarz-gelben Trikot im Dortmunder Stadion den BVB anfeuern. „Mal sehen, ob das auch in der nächsten Spielzeit funktioniert.“

Atmosphärisch gibt es zwischen den Ur-Schalkern im Team und der Borussin keinerlei Spannungen. „Man frotzelt halt mal“, sagt Pfarrer Mattauch. „Aber dass die Dortmunder jetzt den DFB-Pokal haben, darüber freue ich mich auch – Hauptsache Ruhrgebiet“, sagt eine Ehrenamtliche. Rother selbst hat in den Jahren gute Wege gefunden, ihre schwarz-gelbe Seele und ihren Job in blauweiß unter einen Hut zu bringen: Bei den gelegentlichen Arena-Besuchen ihres Teams „brülle ich auch für Schalke. Aber wenn die Fans rufen ,Steht auf, wenn ihr Schalker seid‘ bleibe ich sitzen.“ Und das Vereinslied „Blau und weiß“ singe sie nur in der Kirche mit, als traditionell letzte Nummer im Gottesdienst zur Saisoneröffnung. „Da gehört das einfach zur Feier dazu.“

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