von Thomas Rünker

Nikolaus-Groß-Weiterbildungskolleg: In religiöser Vielfalt als Glaubende verbunden

Das Nikolaus-Groß-Weiterbildungskolleg im Essener Südostviertel ist die religiös vielfältigste Schule des Bistums Essen. Dennoch ist der neue Schulgrundsatz „als Glaubende verbunden sein“ dort täglich gelebte Realität.

Trotz unterschiedlicher Religionen wird Grundsatz „Als Glaubende verbunden“ aktiv umgesetzt

Studierende auf dem zweiten Bildungsweg bringen Lebenserfahrung mit und zeigen Offenheit für Sinnfragen

Religionsunterricht als Basis für Austausch zwischen den Glaubensrichtungen

In der Pausenhalle des Nikolaus-Groß-Weiterbildungskollegs geht es rund: Links laufen sechs Leute um die Tischtennisplatte, rechts werden die Püppchen des Kickers heiß gedreht … Kein Wunder, dass der bunte Papp-Aufsteller an der Seite gerade nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt. Dabei haben es die bunten Kacheln mit den neuen Schulgrundsätzen des Bistums Essen in sich: Die Studierenden des Nikolaus-Groß-Weiterbildungskollegs sollen „als Glaubende verbunden“ sein, heißt es da zum Beispiel. Aber wie kann das gehen, wenn ein Drittel der rund 380 Studierenden dieses katholischen Abendgymnasiums und Berufskollegs im Essener Südostviertel muslimisch ist und die Gruppe der Studierenden „ohne Bekenntnis“ mit rund einem Viertel ähnlich groß ist wie die der Katholikinnen und Katholiken?

Es geht, sagen die evangelische Christin Daisy (25), die Muslime Mohammed (22) und Yasmin (20) und der Atheist Robert (19), die wenig später auf hölzernen Hockern im interreligiösen „Raum der Stille“ sitzen. Den hat die Schule im dritten Obergeschoss eingerichtet, mit einem künstlerisch gestalteten Kreuz an der Wand und den Symbolen der großen Weltreligionen in den Fenstern. Auch Religionslehrerin Nadine Degenhardt und Schulleiter Jochen Suthe nicken: Es geht. „Die Menschen, die zu uns kommen, kommen nicht, um Religion zu erleben, sondern um das Abitur zu machen“, betont Suthe. Und doch gebe es bei den jungen Erwachsenen, die hier auf dem zweiten Bildungsweg drei Jahre lang aufs Abitur vorbereitet werden, „eine große Offenheit für Sinnfragen“, sagt Degenhardt. Im Religionsunterricht „habe ich noch nie ein wirkliches Mauern erlebt.“

Religionsunterricht bringt verschiedene Glaubensrichtungen zusammen

Der Religionsunterricht sei das wichtigste Element, wenn es darum gehe, in der Schule „als Glaubende verbunden zu sein“, beschreiben Degenhardt und Suthe, der ebenfalls katholische Religion unterrichtet. Auch wenn der Schulbesuch freiwillig ist: Wer sich am Nikolaus-Groß-Weiterbildungskolleg anmeldet, für den sind neben Mathe, Deutsch und Englisch auch die katholischen Religionsstunden Pflicht. Anders als an Regelschulen haben dadurch die Religionslehrkräfte keinen Kurs mit Jugendlichen vor sich, die sich das Fach bewusst ausgesucht haben, „sondern die ganze Vielfalt unserer Studierenden“, sagt Suthe – und den selbstgewählten Anspruch, daraus eine Gemeinschaft zu formen.

Basis des Unterrichts ist der katholische Lehrplan. Und doch gibt es praktisch kein Thema, bei dem sie nicht schaue, was andere Religionen darüber sagen, berichtet Degenhardt. Besonders eindrücklich sei dies etwa beim Workshop zu Tod und Trauer gewesen, bei dem sich die Studierenden – angeleitet von einer Referentin des Essener Uni-Klinikums – gegenseitig von ihren Vorstellungen, Ritualen und Traditionen berichtet haben. Aber auch bei theologischen Kernthemen des katholischen Curriculums wie der Christologie – der Lehre und Bedeutung von Jesus – oder der Theodizee-Frage, die den Widerspruch untersucht, warum es trotz eines liebenden Gottes Leid? auf der Welt gibt, „kann ich dem Lehrplan folgen und trotzdem alle Studierenden im Blick behalten“, beschreibt Degenhardt ihre Arbeit.

„Aha-Momente“ beim Austausch verschiedener Religionen

Die Schulgrundsätze im Bistum Essen

Zu den im vergangenen Jahr vorgestellten Schulgrundsätzen im Bistum Essen erklärt Katharina Olgun, Leiterin der Abteilung Religionsunterricht und Schulkultur: „Mit unseren acht Grundsätzen haben wir – die Schulleitungen gemeinsam mit dem Schulträger – unser Verständnis von katholischer Schule im Bistum Essen vereinbart. Diese Grundsätze dienen der Selbstvergewisserung und bieten gleichzeitig eine Zielperspektive, an der stetig gearbeitet werden kann und soll.

Der Grundsatz ,Als Glaubende verbunden sein‘ betont, dass unsere Schulen Räume eröffnen, in denen sich Menschen als Glaubende erkennen, begegnen und austauschen können. Diese Offenheit bedeutet keine Abkehr von der katholischen Identität, sondern folgt aus unserem Selbstverständnis als Einladende. In einer Zeit, in der Religion für viele an Bedeutung verliert, bauen wir Brücken zwischen Glaubenden und Suchenden und schaffen Orte für Dialog, Reflexion und gelebten Glauben. Unser Auftrag als katholische Schulen ist es, Begegnungsräume zu schaffen, die den Dialog fördern und das Gemeinsame als Bereicherung in den Mittelpunkt zu stellen – über Unterschiede hinweg, aber stets in der Verwurzelung unseres eigenen Glaubens.“

Die Muslima Yasmin spricht von „Aha-Momenten“, die der Austausch mit den Kurs-Mitgliedern anderer Glaubensrichtungen im Religionsunterricht mit sich bringe. Immer wieder entdeckten die Studierenden – bei allen Unterschieden – spannende Gemeinsamkeiten. Und Atheist Robert freut sich, im Religionsunterricht „Werte, mit denen ich aufgewachsen bin, wiederzuentdecken und zu verstehen“. Auch Studierenden-Sprecherin Olivia (21, evangelisch) betont, dass „der Religionsunterricht total bereichernd“ sei. Als Außenstehender dürfe man sich das wirklich nicht wie an einer Regelschule vorstellen, „wir sind hier eine Schule auf dem zweiten Bildungsweg“, betont Olivia, unter den jungen Erwachsenen „gibt es eine ganz andere Basis für Gespräche über Glauben.“

Schulleiter Suthe nickt und spricht von „Kurven, Abzweigungen oder Kreuzungen in den Bildungswegen unserer Studierenden“ – alle hier haben deutlich mehr Lebenserfahrung im Gepäck als die Teenager an Regelschulen. Vielleicht macht allein schon dies den einen oder die andere ansprechbarer, wenn im Schulunterricht die ganz großen Fragen des Lebens zum Thema werden: Dankbarkeit, Barmherzigkeit, Not, Leid, Krankheit, Liebe, Tod – „besonders verbindend sind die Themen, bei denen wir alle mit dem Herzen andocken können“, beschreibt Degenhardt. Dazu zähle auch die Frage nach Heimat, gerade angesichts der vielen Studierenden mit Flucht- und Migrationserfahrungen. Degenhardt hat dies in der Gestaltung einer Weihnachtskrippe thematisiert – samt QR-Codes, über die sich die Studierenden mehr über Maria, Josef und das Jesuskind erfahren konnten.

Freiwillige Schulgottesdienste und „Auszeiten“ im Raum der Stille“

Wer sich an der Schule über den Religionsunterricht hinaus mit Glaubensthemen und Spiritualität beschäftigen möchte, kann die – freiwilligen – monatlichen Schulgottesdienste sowie kleinere „Auszeit“-Angebote im Raum der Stille besuchen. „Da nehmen natürlich nicht so viele Studierende teil, dafür machen wir dort manchmal ganz tiefe Erfahrungen“, sagt Degenhardt. Auch zum Start des neuen Schuljahres gibt es einen Gottesdienst. Das hat Mohammed, Daisy, Robert und Yasmin zum Teil überrascht – aber nicht abgeschreckt. Ihm sei gleich deutlich geworden: „Jeder wird hier mit seinem Glauben angenommen“, sagt Mohammed. Selbst im Gedenkgottesdienst für den Namensgeber der Schule – den katholischen NS-Widerstandskämpfer Nikolaus Groß – werde neben christlichen Texten und Gebeten auch eine inhaltlich passende Sure aus dem Koran vorgelesen, berichten die jungen Leute. Trotz ihrer Glaubens-Vielfalt gehen sie oft gemeinsam in die Schulgottesdienste – und bereiten sie zum Teil gemeinsam vor. Wenn Yasmin dafür wochenlang zuhause Lieder probt, führt dies schon mal zu heiterem Erstaunen ihrer Mutter, berichtet sie – aber nicht zu Kritik: „Sie ist glücklich, weil ich glücklich bin.“

Alle vier betonen, dass es niemandem um Missionierung oder Gleichmacherei geht. Es sei toll, dass sie sich in der Schule so gut über ihre Glaubensrichtungen austauschen könnten, „aber für meine Gemeinde würde ich mir das nicht wünschen“, sagt die überzeugte Christin Daisy. Da sei es ihr wichtig, dass alle den gleichen Glauben hätten. Yasmin beschreibt indes, dass ihr gerade der Austausch mit Daisy helfe, den eigenen Glauben noch besser zu verstehen. Etwa beim Thema „Fasten“, über das sie bei einer „Auszeit“ gesprochen haben – schließlich liegen der muslimische Ramadan und die christliche Fastenzeit in diesem Jahr fast zeitgleich. Wie fasten Muslime? Wie Christen? Was halten Nicht-Gläubige davon? Dieser Austausch sei sehr wertvoll, sagen die vier Studierenden. Allerdings brauche es auch Anlässe wie den Religionsunterricht und die Gottesdienste, um überhaupt darüber ins Gespräch zu kommen. „Wir glauben an die gleiche Sache, schauen aber aus unterschiedlichen Perspektiven darauf“, bringt es Mohammed am Ende auf den Punkt. Das sei für ihn eine wichtige Erkenntnis, die ihn mit seinen Mit-Studierenden entspannt über Glaubensfragen sprechen lasse.

Ansprechpartnerin für die Schulgrundsätze im Bistum Essen

Leitung Abteilung Religionsunterricht und Schulkultur

Katharina Olgun

Zwölfling 16
45127 Essen

Pressestelle Bistum Essen

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