Nicht repräsentativ, aber ausssagekräftig

Die kirchliche Lehre ist für viele Katholiken im Ruhrbistum nicht deckungsgleich mit der Lebenswirklichkeit. Das geht aus den Antworten auf den Fragebogen des Vatikans zur Vorbereitung der außerordentlichen Weltbischofssynode 2014 hervor. Das Papier wurde jetzt der Deutschen Bischofskonferenz zugeleitet.



Rückmeldungen aus dem Ruhrbistum zum Fragebogen des Vatikans

Für viele Katholiken im Ruhrbistum entspricht die kirchliche Lehre nicht der Lebenswirklichkeit. Das spiegeln die Antworten und Stellungnahmen im Bistum Essen auf den Fragebogen des Vatikans zur Vorbereitung der außerordentlichen Weltbischofssynode 2014 (Thema: „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“) wider. Diese wurden jetzt an die Deutsche Bischofskonferenz übersandt und werden dort an den Vatikan weitergeleitet. Auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Umfrage der Gläubigen im Ruhrbistum handle, wie der Leiter des Dezernates Pastoral, Domkapitular Dr. Michael Dörnemann, betonte, entstehe doch ein aussagefähiges Gesamtbild.

In den Antworten, die der Diözesanrat der katholischen Frauen und Männer im Bistum Essen, das Gremium der gewählten katholischen Laienvertreter aus Pfarreien, Gemeinden, Verbänden und Organisationen, sowie der Priesterrat im Auftrag des Bischofs zusammengetragen haben, werden klare Aussagen gemacht. Selten bis nie würden sich Paare zur einer Trauung anmelden, die nicht schon vorher zusammenlebten (schätzungsweise über 80 Prozent). Sehr oft gebe es Lebensgemeinschaften ohne religiöse oder zivile Anerkennung. Getrennt Lebende und wiederverheiratete Geschiedene gehörten zur Realität in den Gemeinden. Unter den Eltern der Erstkommunionkinder werde dies am deutlichsten abgebildet. Verbände und Katholikenräte betonen: „Wir nehmen diese Menschen genauso auf und mit wie die ‚anderen‘ und machen keinen Unterschied.“ Allerdings werde aus Scham und Sorge um Ausgrenzung bei Trennung und Scheidung von Paaren diese „Krisensituation“ in den seltensten Fällen öffentlich thematisiert. In den Städten des Bistums Essen läge der Anteil der geschiedenen Männer und Frauen, die sich erneut zivil trauen ließen, schätzungsweise zwischen 20 und 30 Prozent.

„Getrennt Lebende und Geschiedene empfinden in ihrer Situation meist Trauer; sie leiden sehr“, heißt es in einer Antwort. Viele Menschen würden die Tatsache, dass sie nach kirchlicher Lehre in einer „irregulären“ Situation lebten, als verletzend empfinden. Sie seien verletzt aufgrund ihrer Situation und verletzt durch eine Kirche, die sich „nicht barmherzig“ zeige. Doch wenn die Betroffenen selbst die kirchliche Öffentlichkeit suchten, würden sie häufig Verständnis für ihre Situation und eine selbstverständliche Annahme durch Seelsorger und andere Gemeindemitglieder erfahren. Wiederverheiratete geschiedene Christen, die in der Kirche aktiv sind, schmerze die Situation besonders, da sie sich nicht als ‚vollwertiger Teil‘ der Kirche sehen könnten. Grund: Der Zugang zu den Sakramenten ist ihnen verwehrt. Die Fälle von wiederverheirateten geschiedenen seien so häufig, dass sie zum selbstverständlichen Teil der Seelsorge geworden seien: Einzelgespräche, Sensibilität, ehrliche Begleitung, Zuhören, Hilfestellung im Glauben, im Bestärken, dass Gott niemanden „fallen“ lässt.  Das Papier stellt zusammenfassend fest, dass die so genannte „irreguläre Ehesituation“ zunehmend die normale Familiensituation sei.

Voreheliche Beziehungen und ein daraus resultierendes Zusammenleben „ad experimentum“ bilde bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Regel. „Mit dem Gefühl gegen die kirchlich vermittelten Werte zu verstoßen, erleben Jugendliche und jungen Erwachsene als hart und verurteilend“, heißt es in dem Papier. Dies führe nicht selten dazu, dass diese sich der Kirche gegenüber generell verschließen würden.

Als weitere Herausforderungen nennt das Papier die christliche Kindererziehung in konfessionsgemischten Ehen sowie bei interreligiösen Partnerschaften, Ehen und Familien. Eine Reihe von Personen, die den Fragebogen beantwortet haben, wünschten sich zudem , dass den Priestern die Möglichkeit eröffnet wird, sich zwischen dem zölibatären Leben und einem Leben in Ehe und Familie zu entscheiden. Mehrheitlich sprechen sich die Befragten auch dafür aus, gleichgeschlechtlichen Partnern, die fest im Glauben stehen und gerne danach leben möchten, eine kirchliche Segnungsfeier zu ermöglichen.

Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck hatte schon im November den Fragebogen des Vatikans begrüßt: “Er zeigt eine Wertschätzung für die verschiedenen Sichtweisen innerhalb der Weltkirche.“ Viele der Themen der Befragung seien schon im Dialogprozess „Zukunft auf katholisch“ im Bistum Essen zur Sprache gekommen und auf vielen Ebenen diskutiert worden. (ul/do)


Antworten und Stellungnahmen aus dem Bistum Essen im Wortlaut

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