von Thomas Rünker

Neues Caritas-Leitungsduo will Schwachen helfen und Starke an die Solidarität erinnern

Zwei Monate nach dem Start hat das neue Leitungsteam der Caritas im Bistum Essen mehr als genug zu tun: Inflation, eine drohende Wirtschaftskrise und geflüchtete Menschen sind nur einige der Themen auf den Schreibtischen von Michaela Rueß und Michael Beekes. Doch neben wirksamer Hilfe im Verbund der Ortscaritasverbände wollen die beiden auch grundsätzliche Gerechtigkeitsfragen diskutieren.

Die großen Fenster in ihren Büros im fünften Stock lassen sie weit über das Ruhrgebiet blicken. Aber schon unten vor dem Eingang zum Caritashaus mitten in der Essener Innenstadt begegnen Michaela Rueß und Michael Beekes regelmäßig Menschen, die meist am Rand der Gesellschaft verortet werden: Obdachlose, Drogen- oder Alkoholsüchtige, Hartz-IV-Empfänger … „Ich war hier seit meinem Start schon viel häufiger beim Bäcker für Wohnungslose einkaufen als in meiner ganzen Zeit in Stuttgart“, sagt Rueß. „Ich merke, wie sich mein Blick auf Armut und Bedürftigkeit verändert.“

Die 49-jährige Rueß und der 58-jährige Beekes sind das neue Führungsteam der Caritas im Bistum Essen. Im Juli haben sie die Nachfolge des Interims-Caritasdirektors Hans-Georg Liegener angetreten. Nun sollen sie dem traditionsreichen katholischen Wohlfahrtsverband nicht nur Stabilität, sondern gerade durch ihren doppelten Blick von außen auch neue Impulse bringen: Rueß, eine Caritas-erfahrene Theologin und Sozialwissenschaftlerin, die aus Oberschwaben ins Ruhrgebiet gewechselt ist – und Beekes, der zwar in Mülheim zuhause und seit vielen Jahren in seiner Heimatpfarrei St. Mariä Geburt engagiert, aber als Bankkaufmann und Finanzierungsspezialist für die soziale Infrastruktur doch ein Neuling in der sozialen Arbeit ist. „Ich erlebe Kirche jetzt ganz anders“, sagt Beekes, „bei der Caritas sehe ich, wie Kirche für Menschen wirkt.“ Caritasdirektor Beekes hat nun die kaufmännische Seite im Essener Diözesancaritasverband im Blick, Caritasdirektorin Rueß die fachliche.

Jeder Vierte im Ruhrbistum lebt an der Armutsgrenze

Doch oft lassen sich diese beiden Perspektiven gar nicht voneinander trennen, schließlich hängen viele soziale Notlagen eng mit der wirtschaftlichen und politischen Gesamtsituation zusammen. Erst recht im Ruhrbistum, wo jeder Vierte an der Armutsgrenze lebt, erklärt Beekes. Und egal ob allgemeine Inflation, die speziellen Energiepreissteigerungen oder die Sorge vor steigender Arbeitslosigkeit in einer aufziehenden Wirtschaftskrise: „Viele Entwicklungen verschärfen die Armut bei uns.“ Zudem beschäftigt die Caritaseinrichtungen weiter die Sorge um Geflüchtete aus der Ukraine, Syrien und anderen Kriegs- und Krisenregionen der Welt.

Über zu wenig Arbeit konnte sich das neue Caritas-Leitungsteam zum Start jedenfalls nicht beklagen – und auch nicht über zu wenig Sorgen: „Ich habe Bilder vor Augen, dass im Winter die Feuerwehr Menschen aus ihren Wohnungen holen muss, weil sie dort wegen der hohen Energiepreise mit dem Grill im Wohnzimmer heizen und Kohlenmonoxid-Vergiftungen erleiden“, sagt Rueß. Dass es möglichst nicht so weit kommt, und neben all die großen Entlastungspakete der Politik wirksame Hilfen vor Ort gestellt werden, daran arbeiten Rueß und Beekes nun mit Hochdruck: „Wir schauen zusammen mit den Ortscaritasverbänden, wo die tatsächlichen Bedarfe sind und werden gemeinsam versuchen, gegenzusteuern“, sagt Rueß. Allerdings bekennt sie auch: „Wir haben für diese Situation keine Patentrezepte.“

Das neue Leitungsteam der Caritas im Bistum Essen

Die gebürtige Oberschwäbin Michaela Rueß, war von 2014 bis 2021 Diözesanreferentin der Hauptabteilung Caritas im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart, wo sie unter anderem die Flüchtlingshilfe aufgebaut hat. Rueß hat Theologie und Sozialwissenschaften studiert und blickt auf ein großes Portfolio jahrelanger sozial-caritativer Tätigkeit zurück. Beim Essener Diözesan Caritasverband wird ihr Schwerpunkt in der sozialpolitischen Arbeit liegen.

Der Mülheimer Michael Beekes war bis zuletzt in leitenden Positionen verschiedener Banken tätig. Als Caritasdirektor mit kaufmännischem Schwerpunkt und als erfahrener Bankvorstand wird Beekes vor allem die Wirtschaftlichkeit des Verbandes in den Blick nehmen. Beekes engagiert sich ehrenamtlich im Kirchenvorstand seiner Mülheimer Heimatpfarrei St. Mariä Geburt.

Eine Vermögenssteuer als Ausdruck des Solidaritätsprinzips

Rueß und Beekes ist es zudem ein Anliegen, gerade in der aktuellen Krise nicht nur die Allerärmsten in den Blick zu nehmen, sondern auch die untersten Einkommensgruppen gerade in sozialen Berufen. „Es ist ein Skandal, dass wir ein so reiches Land sind und die Schere zwischen Arm und Reich dennoch immer weiter auseinander geht“, kritisiert Rueß. „Viele Menschen brauchen nicht nur aktuell eine Entlastung, sondern eine grundsätzlich gerechte Bezahlung.“ Wo es in öffentlichen Haushalten an Finanzmitteln hierfür fehlt, könnte aus Sicht von Rueß und Beekes eine Vermögenssteuer helfen: „Natürlich wäre das eine Umverteilung von reichen Menschen zu ärmeren“, begegnet Bankkaufmann Beekes einer häufigen Kritik daran. „Aber wir wollen doch in Deutschland ein Sozialstaat sein – und da gehört für mich das Solidaritätsprinzip mit zum Fundament.“ Rueß kritisiert zudem mit Blick auf die Tagespolitik: „Eine milliardenschwere Gasumlage konnte die Politik in wenigen Wochen beschließen – aber eine Vermögenssteuer zum Beispiel, welche helfen könnte, die Schere zwischen Arm und Reich ein Stückchen zu schließen, wird weiter auf die lange Bank geschoben.“

Die Caritas werde ja oft als „christliches Ideal“ oder als „organisierte christliche Nächstenliebe“ bezeichnet, sagt Rueß. Das sei in Ordnung, so lange dabei klar werde, dass „die Caritas für alle Menschen da ist - egal welcher Religion oder Herkunft“. Beekes: „Wir helfen denen, die Hilfe brauchen, und halten bei den Starken und Leistungsfähigen in unserer Gesellschaft den Solidaritätsgedanken wach.“

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