Neue Marienfigur in St. Altfrid: Holzkönigin als Zeichen für Menschenwürde
Die Marien-Königin in der neu geweihten Kirche des Jugendhauses St. Altfrid in Essen-Kettwig. Foto: Christian Schnaubelt | Bistum Essen
Er ist der Königsmacher: Montags bis freitags geht der aus Bottrop stammende Ralf Knoblauch frühmorgens vor seiner eigentlichen Arbeit als Diakon in die Werkstatt und lässt aus alten Eichenbalken königliche Figuren entstehen. Das sei nicht sonderlich kreativ, sagt Knoblauch den rund 80 Menschen, die am Mittwochabend, 15. Oktober, in der Ende August neu geweihten Kirche des Jugendhauses St. Altfrid sitzen. Sie möchten mehr erfahren über die Holz-Königin, die nun die neue Marienfigur des Gotteshauses ist. Knoblauch beschreibt sich weniger als Künstler, mehr als spirituellen Handwerker: „Ich bete mit den Händen“, sagt der Theologe, der vor seinem Studium eine Tischlerlehre absolviert hat. In seinen majestätischen Figuren verarbeite er die Begegnungen, die er als Diakon mit Menschen hat, die er bei seiner seelsorglichen Arbeit trifft. Seit er nach seinem Studium in Bochum 2007 als Diakon in Bonn angefangen hat, arbeitet Knoblauch an jedem Werktag-Morgen an den Holzfiguren „selbst im Urlaub nehme ich mir Holz mit“. Ein bis drei Wochen braucht es, bis eine Figur fertig ist, erst behauen, dann in Leinöl getränkt und schließlich bemalt. Weit über 1000 seien mittlerweile so entstanden. Sie stehen in deutschen Kirchen, in weltweiten Krisengebieten, im Kölner Dom, am Essener Straßenstrich und jetzt eben auch in der Kirche von Haus Altfrid. Sie stehen überall da, wo Menschenwürde ein Thema ist.
„Jeder Mensch ist ein Königskind.“
„Jeder Mensch ist ein Königskind“, sagt Knoblauch. Für Menschen christlichen Glaubens liegt das an Gott. Er hat den Menschen „als sein Bild“ geschaffen, wie es in der biblischen Schöpfungsgeschichte heißt, und so die ganz individuelle Würde mitgegeben, die jeden Menschen auszeichnet. Was das konkret bedeutet, beschreibt Knoblauch am Beispiel der bekannten deutschen Ordensschwester Philippa Rath, die ebenfalls einen seiner Figuren beherbergt: Als Kind sei Rath wegen ihres Übergewichts häufig von anderen Kindern gehänselt, „eben entwürdigt“ worden, so Knoblauch. Ihre Eltern hätten sie jedoch gestärkt, in dem sie ihr deutlich gemacht hätten, dass Gott sie genau so liebt, wie sie ist. So hätten sie Rath „ganz viel Würde vermittelt“.
Für diese Würde stehen die hölzernen majestätischen Figuren: Mit geradem Rücken, würdevoller Kleidung und einem freundlichen Lächeln. Die jahrhundertealten, oft aus Fachwerkhäusern stammenden Balken haben Risse, Macken und Löcher. „So werden wir an unsere Menschlichkeit erinnert, an Risse und Verletzungen – und an unsere eigene Königswürde“, sagt Knoblauch. „,Du bist wertvoll!‘ ist eine Aussage, die Menschen heute viel zu selten zu hören bekommen.“ Zugleich stünden die Figuren dafür, dass niemand alleine lebt, betont der Seelsorger. „Wir sollen königliche Menschen sein, die einander bedürfen.“ Deshalb haben die hölzernen Figuren die Augen geschlossen.
Maria als Königin
Als Königin wird die Gottesmutter Maria sowohl in der Kunst wie in der Glaubenspraxis der Gläubigen bereits seit den Anfängen des Christentums dargestellt beziehungsweise verehrt. Auf zahlreichen Gemälden erscheint Maria mit königlichen Insignien – und auch die Goldene Madonna im Essener Dom, die älteste dreidimensionale Mariendarstellung der Welt, wurde früher bei Prozessionen mit einer Krone geschmückt. In der Kirchenmusik sind „Gegrüßet seist du Königin“ (Gotteslob Nr. 536) oder das lateinische „Salve Regina“ (Nr. 666,4) bis heute beliebte Lieder, die auf Maria als Königin verweisen.
Figuren sind nicht nur für Christinnen und Christen verständlich
Knoblauch hebt hervor, dass seine Figuren nicht nur Menschen christlichen Glaubens an ihre eigene und die Würde aller Menschen erinnern. Das war auch für das Jugendhaus ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl der Figur, betont Co-Leiterin Birgitta Kelbch. Schließlich kämen gerade bei den „Tagen religiöser Orientierung“ bei weitem nicht nur christliche Jugendliche mit ihrer Schulklasse in die Kettwiger Einrichtung. „Über das Thema Menschenwürde können wir mit allen Jugendlichen sprechen“, sagt Kelbch. Nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern alle Gäste der Kirche dürfen die neue Marienfigur übrigens ausdrücklich auch anfassen, betont Knoblauch. „Die Könige schreien geradezu still ,Rühr mich an!‘“, beschreibt er eine häufige Reaktion auf seine Figuren.
Trotz der großen Zahl seiner majestätischen Figuren– von denen ungefähr 60 Prozent männliche, 40% weibliche und einige auch keine klar erkennbaren geschlechtlichen Züge hätten – seien alle Figuren mit ihrem aktuellen Standort dokumentiert und oft auch mit der Begegnungsgeschichte, die er bei der Arbeit an der Figur im Kopf gehabt habe, so Knoblauch. Er arbeite nicht auf Auftrag – auch wenn rund 95 Prozent seiner Figuren auf Anfragen von außen vermittelt würden. Zudem kann man Knoblauchs majestätischen Figuren weder kaufen noch besitzen. „Die Könige suchen sich ihre Orte – weltweit“, sagt der Diakon. Stimmt er einer Anfrage zu, sucht er etwas Passendes aus, dann „bezieht die Figur Herberge“ bei ihren neuen Gastgebern.
Fehlender Arm verweist auf fehlende Gleichberechtigung
So wie die Marienfigur in der Kirche von Haus Altfrid: Eine Königin, der der rechte Arm fehlt. Dieses Handicap sehen viele jedoch erst auf den zweiten Blick, weil man sich der Figur in der Kirche von ihrer linken Seite nähert. Umso irritierender mag der Eindruck sein, wenn man unmittelbar davorsteht. „Es ist die fehlende Gleichberechtigung in der Kirche, die ich mit dem fehlenden Arm zum Ausdruck bringen möchte“, sagt Knoblauch. „Meine Königinnen solidarisieren sich mit Frauen, die entwürdigt werden und stehen für eine geschlechtergerechte Kirche.“ Dafür bekam der Diakon in der Jugendhaus-Kirche kräftigen Beifall.







