von Thomas Rünker

Nach 218 Jahren wieder ein Benediktinermönch

Im Schatten der aufgelösten Abtei in Essen-Werden lebt für ein halbes Jahr der emeritierte Abt des Benediktinerklosters Gerleve. Bevor er im Oktober dorthin zurückkehrt, wohnt der 69-Jährige dort zum ersten Mal in einer eigenen Wohnung und muss sich sein Leben ohne die festen Regeln seines Klosters organisieren.

1802 wurde die Benediktiner-Abtei in Essen-Werden nach rund 1000 Jahren aufgelöst

Mit Abt Laurentius aus dem Kloster Gerleve lebt nun wieder ein Benediktiner in Werden, allerdings nur für sechs Monate

Alle Äbte aus Gerleve müssen ihr Kloster für ein halbes Jahr verlassen, damit die Mönche unbefangen einen Nachfolger wählen können

218 Jahre nach dem Ende der tausendjährigen Benediktinergeschichte in Essen-Werden lebt im Schatten der mächtigen Abteikirche wieder ein Mönch – doch kaum einer merkt es. Wenn Abt Laurentius Schlieker über den Kirchplatz geht, in der historischen Altstadt einkauft oder am Baldeneysee wandert, treffen die Menschen im Essener Süden einen freundlichen älteren Herrn, der sich rundum wohlzufühlen scheint. Kurze weiße Haare, weißgrauer Bart, blauer Pulli, graue Jeans – seinen Habit, das Mönchsgewand, trägt der 69-jährige Benediktiner nur im Gottesdienst. Nach 50 Jahren im Kloster und 13 Jahren als Chef der Abtei Gerleve im Münsterland lebt Laurentius nun gewissermaßen in der Verbannung: Damit die Mönche unbefangen einen neuen Abt wählen und dieser sich in seinem Amt frei entfalten kann, müssen die Äbte von Gerleve nach ihrer Amtszeit das Kloster für ein halbes Sabbat-Jahr verlassen. Laurentius wählte nach Jahrzehnten in der Abgeschiedenheit nun das pralle Großstadtleben, unterstützt die Werdener Pfarrei St. Ludgerus als Priester – und lebt zum ersten Mal in einer eigenen Wohnung.

Erste eigene Wohnung mit 69 Jahren

Kochen, Putzen, Wäschewaschen – so macht Laurentius im Rentenalter nun manche Haushalts-Erfahrung, die an der benachbarten Folkwang-Uni auch der ein oder andere Studierende 50 Lebensjahre früher machen dürfte. Für den Theologen und Kirchenmusiker sind dies jedoch längst nicht die einzigen Premieren in seiner Sabbat-Zeit. Am Weißen Sonntag, dem 19. April, „bin ich um Mitternacht vom Vollzeit-Abt zum Teilzeit-Hirten geworden“, sagt der Mönch und spielt mit einem Schmunzeln auf seine Beauftragung mit einem begrenzten Stundenkontingent an. „Pastor, das ist etwas Neues für mich.“ Und ganz offenbar nichts Schlechtes: Froh gelaunt spricht er die Menschen vor und in der Kirche an, hält hier ein Schwätzchen, stellt sich dort als „der Neue“ vor. In der Basilika spricht ihn gleich eine Dame auf seine Predigt am vergangenen Sonntag an: „Das hat so gut getan!“ Laurentius freut die Rückmeldung zu seiner ersten Messe in Essen-Werden nach der langen Corona-Pause: „Als ich die wegen der Abstandsregeln so spärlich besetzten Reihen gesehen habe wollte ich nur noch Liebe ausschütten, eimerweise“, erinnert er sich. Zumindest bei dieser Kirchenbesucherin scheint die Predigt angekommen zu sein.

Und dass er als Benediktiner aus Gerleve nun im Schatten der Abteikirche wohnt, in der der legendäre Klostergründer Ludgerus begraben liegt, dürfte den Werdenern wie Laurentius gleichermaßen gefallen. In der Messe erinnerte der Abt jedenfalls gleich an die Lebensgeschichte des Missionars aus dem 9. Jahrhundert, der auf seiner letzten Reise nach Billerbeck an einem Ort pausiert habe, der bis heute „Ludgerirast“ heißt und zum Kloster Gerleve gehört. „Jetzt raste ich beim Heiligen Ludgerus – und hoffe, dass ich nicht roste.“

Statt Klosterglocke erinnert die Smartphone-App ans Stundengebet

Dafür sorgt ein sehr bewusster Lebensstil mit mehr Freiheiten als in der Klostergemeinschaft und dennoch festen Gepflogenheiten. „Ich muss mich jetzt selbst strukturieren.“ Statt der Klosterglocke erinnert Laurentius nun eine Smartphone-App an die Zeiten fürs Stundengebet. Und statt in der Kirche betet er die Psalmen und Lieder nun auch beim Wandern. Zudem erlaubt er sich beim individuellen Gebet Flexibilitäten, die in einer Gruppe kaum denkbar wären. So müssen es für ihn „bei den Vigilien am Morgen nicht immer sechs Psalmen sein“. Und statt der in Gerleve gebräuchlichen deutschen Übersetzungen betet der in Rom ausgebildete Laurentius auch gern auf Italienisch. In der anderen Sprache mache er auch nach 50 Jahren Psalm-Erfahrung „noch ganz spannende Entdeckungen“.

Ob er nach einem halben Jahrhundert im streng geregelten Kloster Tipps hat, wie die Menschen besser mit den vielen neuen Corona-Regeln klar kommen können? Nein, er wolle sich nicht zum Lehrer aufschwingen, sagt er. Er sei kein Experte für Lebens- oder Glaubensfragen, „wir Mönche gehen genauso suchend und fragend durchs Leben wie jeder andere.“ Im Gespräch wird jedoch deutlich, dass Abt Laurentius die meisten Regeln seines Ordens kaum als Bürde wahrnimmt, sondern dass ihm gerade die feste Struktur im Leben Zufriedenheit bringt.

„Das ist jetzt meine Zeit, die bekomme ich nie mehr wieder.“

„Das ist jetzt meine Zeit, die bekomme ich nie mehr wieder“, sagt der emeritierte Abt über die sechs „Sabbat“-Monate in Essen-Werden. Bewusst hält er zum Beispiel die Zeit für Begegnungen mit Freunden und Bekannten knapp: „Die kann ich doch auch alle noch später treffen, wenn ich wieder im Kloster bin.“ Dass er – wohl im Oktober – nach Gerleve zurückkehrt, ist für Laurentius eine ausgemachte Sache. Haben andere Äbte in der Vergangenheit ihrem Konvent mit der Sabbat-Zeit komplett den Rücken gekehrt, wird Laurentius „zurück ins Glied treten“ – wobei dies in der nach Eintrittsalter geordneten Rangfolge der Mönche bei ihren Gebetszeiten „immer noch ziemlich weit vorne“ sei, schmunzelt Laurentius. Messfeiern, Orgelspiel, Tischleser und Seelsorge-Gespräche mit Besuchern des Klosters werden dann wieder zu seinen Aufgaben gehören. Doch bis Laurentius wieder zur Ludgerirast zurückkehrt, darf er noch einige Monate beim Heiligen Ludgerus rasten.

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