von Thomas Rünker

Mit Otto macht sogar der Mathe-Unterricht Spaß

Frieda, Piet und Otto heißen die drei Schulhunde, die seit diesem Schuljahr am Bischöflichen St.-Hildegardis-Gymnasium in Duisburg im Einsatz sind. Herrchen oder Frauchen sind Lehrkräfte an der Schule und bringen ihre entsprechend ausgebildeten Hunde mit in den Unterricht. Der wird dadurch ruhiger, konzentrierter und lustiger – und der Kinder fegen freiwillig den Klassenraum.

Hunde fördern respektvollen Umgang und emotionale Stärke bei Schülerinnen und Schülern

Kinder übernehmen Verantwortung durch Hunde-Dienst und lernen Rücksichtnahme

Hundetricks und kleine Belohnungen steigern Motivation und Lernfreude im Unterricht

Otto steht in der 7b zwischen den Tischen der zweiten Reihe, den Kopf leicht geneigt, und blickt freundlich, aber konzentriert nach vorn. Fast scheint es, als überlege er gerade genauso angestrengt wie die Siebtklässlerinnen um ihn herum, wie man denn die Gleichung an der Tafel nun korrekt umformt. Immerhin könnte die Frage, wie viele Katzen exakt so schwer sind wie ein Hund, den 16 Monate alten Pudel-Malteser-Mischling ja auch persönlich interessieren. Doch dann trabt Otto gemächlich weiter, lässt sich im Vorbeigehen hier und da von einer Mädchenhand kraulen und nimmt vorn bei Frauchen Jennifer Latzke auf seiner roten Decke Platz. Rundgang beendet – und während die Mädchen noch rechnen, hat der Hund jetzt Pause.

Otto ist einer von drei Hunden, die seit diesem Schuljahr am St.-Hildegardis-Gymnasium im Duisburger Dellviertel im Einsatz sind. Zusammen mit dem dreijährigen Labrador Piet und der 13 Monate alte Rhodesian-Ridgeback-Hündin Frieda gehört er zum vierbeinigen Kollegium der Bistums-Schule. Denn auch wenn Schulbegleithunde mittlerweile an immer mehr Grundschulen zum Alltag gehören, ist das bischöfliche Gymnasium mit gleich drei Tieren im Unterricht unter den weiterführenden Schulen bislang eher eine Ausnahme. „Ich wollte schon lange Hunde an unserer Schule haben“, sagt Schulleiterin Sabine Kretschmann-Dulisch, die zum Beispiel auch mit Nistkästen für Schwalben und Fledermäuse, einem großen Insektenhotel und einer Wildblumenwiese dafür sorgt, dass möglichst viel Natur in das eng bebaute Innenstadtquartier kommt. „Viele Kinder haben heute keinen Kontakt mehr zu Tieren“, hat die Pädagogin festgestellt. Mit Frieda, Piet und Otto lernen sie zum Beispiel, „wie ich respektvoll mit einem Tier umgehe“. Ein Verhalten, dass sich dann bestenfalls auch auf den Umgang mit Menschen überträgt.

Hunde begleiten die Lehrkräfte – egal ob Mathe, Bio oder Sport

Die drei Schulbegleithunde sind speziell ausgebildet, um Herrchen oder Frauchen im Unterricht zu unterstützen. Das funktioniert im Mathe-Unterricht von Jennifer Latzke mit Otto ebenso gut wie in der Sportstunde von Anna Rogall mit ihrer Frieda. Und wenn im Bio-Unterricht von Pascal Sanojca in der 5. Klasse eine eingehende Beschäftigung mit Hunden auf dem Lehrplan steht, dann darf sein Piet auch schon mal Modell stehen, damit die Kinder ihr Lehrbuchwissen mit ihm abgleichen können.

Wesenstest und Ausbildung zum Schuldbegleithund

Alle drei Schulhunde des St.-Hildegardis-Gymnasiums sind derzeit noch in der speziellen Ausbildung bei Projekthunde Deutschland. Diese Ausbildung – die der Förderverein des Gymnasiums finanziert – baut auf dem Grundlagentraining in gewöhnlichen Hundeschulen auf. Zuvor haben alle Hunde einen „Wesenstest“ durchlaufen, der die grundsätzliche Eignung für den Einsatz im Unterricht bescheinigt.

Doch die meiste Zeit sind die drei Hunde einfach nur dabei, wenn Latzke, Rogall und Sanojca unterrichten. Dennoch sind die Effekte in den Klassen erstaunlich, berichten Lehrkräfte und Kinder übereinstimmend: „Die Klasse ist viel leiser, wenn Otto da ist“, sagt die Siebtklässlerin Sophie – und viele Mitschülerinnen nicken. „Uns ist wichtig, dass es Otto gut geht.“ In den ersten Stunden habe sie den Kindern erklärt, dass der Hund mit zu viel Lärm schlecht klarkäme, berichtet Latzke. Er zieht sich dann zurück, und manchmal bellt er auch. Weil alle in der Klasse Otto mögen, ist es ruhiger. „Man kann sich besser konzentrieren“, sagen gleich mehrere Kinder – und nein, es störe überhaupt nicht, wenn Otto zwischendurch durch die Klasse laufe und man sich natürlich bemühe, ihn zu streicheln. Amelie ergänzt: „Wenn es einem mal nicht so gut geht, dann streichelt man Otto ein paar Minuten – und schon fühlt man sich besser.“

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Beruhigende Wirkung

Die beruhigende Wirkung ihres Hunds hat Latzke schon oft erlebt – durchaus auch in dramatischeren Situationen. „Vor einer Klausur war eine Oberstufenschülerin so aufgeregt, dass sie hyperventiliert hat.“ Erst als Otto kam und sich auf ihren Schoß setzte wurde sie so ruhig, dass sie letztlich sogar die Klausur schreiben konnte. Und auch die völlig verzweifelte Schülerin, die in der Schule erfahren hatte, dass ihr Vater verstorben war, konnte letztlich der Schulhund zumindest soweit beruhigen, dass die Schulseelsorgerin überhaupt wieder mit ihr sprechen konnte.

Immer wieder setzen die drei Lehrkräfte ihre Hunde jedoch auch gezielt in ihrem Unterricht ein – zum Beispiel zur Motivation, so wie bei Latzkes Siebtklässlerinnen: „Die ersten fünf, die diese Aufgabe abgeschrieben haben, dürfen Otto ein Leckerchen geben“, ruft sie in die Klasse – und prompt setzen sich die Stifte in Bewegung. Als erstes meldet sich ein Mädchen aus der letzten Reihe – und Latzke staunt: „Die gehört sonst eher zu den langsameren.“ Jetzt darf sie sich mit einer kurzen Otto-Auszeit belohnen: Männchen machen, Pfötchen geben, einmal um sich selbst drehen, über den Boden kriechen… – die Mädchen kennen das breite Trick-Repertoire, das Otto in seiner Ausbildung zum Schulhund gelernt hat und das Latzke immer wieder erweitert. Eine nach der anderen spielt mit ihm, das Ganze dauert vielleicht zwei Minuten, dann geht der Unterricht weiter. Die Schulhunde können aber noch mehr, zum Beispiel auf eine Klingel drücken, um eine Aufgabe zu beenden, oder mit einem Schaumstoffwürfel würfeln, um Arbeitsgruppen oder Mannschaften festzulegen. „Wenn ich die einteile, maulen die Kinder schon mal. Aber wenn Frieda das macht, ist das kein Problem“, berichtet Rogall.

Otto-Dienst sorgt für beste Schulhund-Bedingungen

Dass die Tiere aber auch besondere Bedürfnisse haben, lernen Latzkes Schülerinnen vor allem beim Otto-Dienst: Pro Woche kümmern sich zwei Schülerinnen darum, dass die Klasse optimal auf den vierbeinigen Besuch vorbereitet ist: In der Pause wird gefegt, damit nichts herumliegt, dass der Hund fressen könnte. Dann wird seine Decke platziert, der Wassernapf gefüllt – und schließlich wird Otto aus dem Erdgeschoss in den Klassenraum im ersten Stock getragen, damit er sich mit seinen kurzen Beinen nicht so sehr auf der Treppe anstrengen muss. „Zur Belohnung gibt’s dann nach der Stunde für den Otto-Dienst Extra-Spielzeit mit dem Hund“, erläutert Latzke.

Und wenn Schüler Angst vor Hunden haben? Das komme selten vor, sei aber auch kein Problem, betont Latzke. Wichtig sei, dem Kind fest zuzusagen: „Ich sorge dafür, dass der Hund nicht zu dir kommt, wenn du das nicht möchtest!“ – und dies natürlich auch umzusetzen. In dieser Klasse ist Otto zunächst also nicht herumgelaufen, sondern lag nur auf seiner Decke – bis das Kind irgendwann Vertrauen gefasst und sich nach und nach dem Hund genähert hat. „Heute führt dieses Kind Otto an der Leine“, freut sich Latzke.

Weg über den Schulhof dauert mit Otto deutlich länger

Die Heilige Hildegard und die Schulhunde

Hätte es das Schulhunde-Konzept zu ihrer Zeit schon gegeben, die Heilige Hildegard von Bingen – Patronin des nach ihr benannten katholischen Gymnasiums in Duisburg – wäre wohl ein großer Fan gewesen. In ihrem zwischen 1150 und 1160 geschrieben Buch „Physica“ schreibt die Mystikerin und Gelehrte unter anderem „Der Hund ist warm und von einfacher Natur und hat viele Tugenden in sich“ und „Tiere sind für den Menschen da, damit er durch sie lebe.“

Nach der Stunde in der 7b geht die Mathe-, Informatik- und Biologie-Lehrerin mit Otto über den Schulhof. „Das dauert mit Otto deutlich länger als ohne“, sagt sie. Nicht, weil der Hund so langsam wäre, sondern weil sie an keiner Gruppe vorbeikommt, ohne dass jemand „Otto!“ ruft, und das wuschelige Fell streicheln möchte. Dabei geht es nicht nur um Latzkes eigene Schülerinnen und Schüler: Otto, Piet und Frieda sind bei fast allen Kinder und Jugendlichen am St.-Hildegardis-Gymnasium beliebt und zaubern auch dem miesgelauntesten Pubertierenden ein kurzes Lächeln ins Gesicht. Dass Schulhunde nur etwas für jüngere Kinder oder womöglich nur für Mädchen sind, seien zwei komplette Trugschlüsse, betonen Latzke und Rogall – und dann berichtet die eine von einer reinen Jungen-Klasse aus der 9. Jahrgangsstufe, die sich einem Hund gegenüber mindestens so rücksichtsvoll verhalten würden wie die Mädchen in der 7b, und die andere von der hundeverrückten Oberstufe.

Ist es da nicht schade, dass trotz drei Schulhunden – die aus Tierschutzgründen jeweils nur an drei Tagen pro Woche mit in den Unterricht kommen – immer nur einzelne Klassen mit den Tieren in Kontakt kommen. „So bleibt es für alle etwas Besonderes“, sagt Jennifer Latzke, bevor sie sich mit Otto auf den Weg ins Lehrerzimmer macht. Da kann sich der Schulhund die nächsten Leckerli abholen.

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