Missbrauchsstudie untersucht ganzes Leben von Kardinal Hengsbach

Archivfoto: Martin Engelbrecht | Bistum Essen
Studie untersucht Missbrauchsvorwürfe und gesamte Biografie von Kardinal Hengsbach
Ergebnisse der auf 3 Jahre angelegten Studie sollen 2027 veröffentlicht werden
Forschungsteam sucht Betroffene und Zeitzeugen für weitere Erkenntnisse
Es soll nicht nur um die mutmaßlichen Missbrauchstaten eines hohen katholischen Kirchenmanns gehen – sein ganzes Leben soll unter die Lupe genommen werden: Mit einer soziologisch-historischen Studie will ein Forschungsteam die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den früheren Essener Bischof, Kardinal Franz Hengsbach (1910-1991), wissenschaftlich aufarbeiten. Die Studie ist auf drei Jahre angelegt, wie die verantwortlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Montag, 21. Oktober 2024, in einer Online-Pressekonferenz mitteilten.
Frühere Aufarbeitungsstudien hätten häufig bestimmte Regionen wie zum Beispiel ein Bistum untersucht, sagte der Hamburger Historiker Thomas Großbölting. „Diesmal wird eine Biografie im Vordergrund stehen. Wir hoffen, dass wir mit dieser neuen Form der Untersuchung noch mal einen innovativen Akzent setzen können.“
Die Bistümer Essen und Paderborn hatten vor einem Jahr zwei Missbrauchsvorwürfe gegen den von vielen verehrten und bis heute vor allem als Anwalt der Arbeiter und Bergleute im Ruhrgebiet populären Hengsbach bekannt gemacht. Sie beziehen sich auf die 1950er und 1960er Jahre, waren aber erst später gemeldet und zunächst für unplausibel erklärt worden. Mittlerweile seien sieben weitere Hinweise auf mögliche sexualisierte Gewalt beim Bistum Essen eingegangen, sagte Generalvikar Klaus Pfeffer.
Hengsbach hatte viele wichtige Rollen in der Kirche
Die Beschuldigungen beziehen sich zum einen auf Hengsbachs Amtszeit als erster Bischof des damals neu gegründeten Ruhrbistums Essen (1958-1990), zum anderen auf die Zeit davor als Priester und Weihbischof im Erzbistum Paderborn (bis 1958). Hengsbach hatte darüber hinaus viele weitere wichtige Rollen in der katholischen Kirche inne: Er war Militärbischof (1961-1978), Generalsekretär und -assistent im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ZdK (1947-1968) und Vorsitzender des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.
Alle fünf Institutionen haben die Studie gemeinsam in Auftrag gegeben. Beauftragt wurden das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in München und die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH). Beide waren schon an mehreren kirchlichen Missbrauchsstudien beteiligt. Unter anderem hat das IPP die sozialwissenschaftliche Aufarbeitungsstudie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Essen erstellt, die das Institut im Februar 2023 vorgestellt hat.
Wie positionierte sich Hengsbach zu Gesellschaftsthemen?
Forschungsteam sucht Betroffene sowie Zeitzeuginnen und -zeugen
Das Forschungsteam bittet alle Menschen, die selbst sexualisierte Gewalt durch Hengsbach erlebt haben, sich bei ihm zu melden. Auch an den Aussagen von Zeitzeuginnen und -zeugen, die den Geistlichen persönlich erlebt haben, sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessiert. Das Team ist über folgende Kontakte erreichbar:
- E-Mail: Aufarbeitung@ipp-muenchen.de
- Telefon: 089-54359770
- Per Post: IPP München, Ringseisstr. 8, 80337 München.
Der sozialwissenschaftliche Teil der Studie wolle die aktuellen Meldungen im Bistum Essen und den Umgang der Bistumsverantwortlichen damit aufarbeiten, sagte die Soziologin und IPP-Geschäftsführerin Helga Dill. Es gehe aber auch darum, ob und inwieweit Hengsbach in seinen anderen Tätigkeitsfeldern Missbrauch oder Vertuschung nachgewiesen werden könne.
Der historische Teil wolle einen Beitrag zur Bewertung der Person Franz Hengsbach leisten, der über die Missbrauchsvorwürfe hinausgeht, so der Historiker David Rüschenschmidt vom FZH. Leitfragen seien etwa, wie sich Hengsbach zu gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen positionierte, welches Priesterbild er hatte und wie er über Sexualmoral dachte. „Unsere Intention ist nicht nur die Produktion einer Skandalgeschichte.“ Vielmehr solle eine historische Biografie entstehen.
Die Studie kostet nach Angaben der Forscher 785.000 Euro. Abschlussergebnisse wollen sie im Herbst 2027 präsentieren. Vorher sollen bereits Zwischenergebnisse veröffentlicht werden.