von Sandra Gerke

Lebensraum Friedhof: Kleine städtische Paradiese für Menschen, Pflanzen und Tiere

Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer, an denen sich Menschen mit ihren Verstorbenen besonders verbunden fühlen – sie „zählen auch zu den artenreichsten Flächen im städtischen Raum“, sagt die Biologin Corinne Buch bei einem Spaziergang über den Katholischen Friedhof Essen-Borbeck.

Fast 1000 verschiedene Pflanzenarten auf Friedhöfe, 102 davon auf der Roten Liste

Bienenfreundliche Grabbepflanzung und wilde Ecken fördern Biodiversität

Friedhöfe dienen als Wasserreservoir bei Starkregen und zur Luftreinigung

Es ist ein Ort der Stille und der inneren Einkehr für die Menschen. Die Pflanzenwelt hingegen geht hier besonders aus sich heraus. Sie demonstriert kraftvoll, wie bunt das Leben ist und dass immer wieder Neues, Gutes entstehen kann. „Friedhöfe zählen zu den artenreichsten Flächen im städtischen Raum“, weiß die Biologin Corinne Buch. Welche positiven Auswirkungen das hat, erklärt sie bei einem Spaziergang über den Katholischen Friedhof Essen-Borbeck.

27 wilde Orchideen – hier? „Tatsächlich sind die gar nicht selten auf Friedhöfen“, sagt Corinne Buch begeistert. „,Breitblättrige Stendelwurz‘ heißen sie. Oder da vorne, mit der lila Blüte: Das ist die ,Kleine Braunelle‘, die war 2023 Pflanze des Jahres.“ Insgesamt gebe es im Ruhrgebiet 1800 verschiedene Pflanzenarten. „Fast 1000 davon habe ich auf den 153 Friedhöfen in der Region nachweisen können. 102 davon stehen sogar auf der ,Roten Liste‘ der gefährdeten Arten. Das sind beeindruckende Zahlen, mit denen man vorher nicht gerechnet hätte“, so die Mülheimerin, die für die „Biologische Station Westliches Ruhrgebiet“ im Einsatz ist. Ihr Forschungsprojekt wurde vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) gefördert.

Pflanzen blühen hier richtig auf

Warum blüht die Pflanzenwelt hier so richtig auf? „Die Vielfalt der Flächen bringt die Qualität“, erklärt die Fachfrau. „Man hat Wiesenstücke, Wege, wo etwas aus den Pflasterritzen wächst, und natürlich die Gräber, die zum Glück oft mit Bienenfreundlichem bepflanzt sind. Sind dann noch einige wilde Ecken vorhanden, ergibt das einen sehr funktionalen Lebensraum.”

„Die grüne Idylle auf den Friedhöfen ist allerdings bedroht. Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine Feuer- statt für eine Erdbestattung. Und Urnen brauchen deutlich weniger Platz als Särge. Da gerade in städtischen Ballungsräumen Wohnungsnot herrscht und Baugrund begehrt ist, geraten dafür auch Friedhofsflächen in den Blick, die vermeintlich nicht mehr im gleichen Umfang wie früher benötigt werden. Vor dieser Sicht warnt Corinne Buch.

„Friedhöfe sind ein unersetzliches Schutzgut“, appelliert sie. „Es geht weit über ihre erste Aufgabe als Raum für Trauer, Gedenken und Begegnung hinaus. Gerade im städtischen Raum bewirken Friedhöfe viel für die Menschen: Sie sind ,grüne Lungen‘, filtern Schadstoffe aus der Luft, produzieren Sauerstoff. Auch dass sie Orte der Dunkelheit in der Nacht sind, die ja in Städten kaum mehr vorhanden sind, ist gut für die Natur, speziell für nachtaktive Tiere. Bei Starkregen, den wir aktuell öfter erleben, ist es wichtig, dass wir solche offenen Flächen haben, die Wasser speichern und langsam wieder abgeben können.“

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