von Thomas Rünker

Kolping fährt mit jungen Auszubildenden nach Auschwitz

75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers beschäftigen sich 18 Auszubildende des Kolping-Berufsbildungswerks in Essen in einem aufwendigen Schul-Projekt mit dem Thema Holocaust. Nach einem eigenen Theaterstück am Holocaust-Gedenktag am kommenden Montag besucht die Gruppe die Gedenkstätte in Polen.

Mit einer Projektwoche, einem öffentlichen Theaterstück und einer Reise nach Auschwitz beschäftigen sich Auszubildende des Kolping-Berufsbildungswerks in Essen in diesen Tagen mit dem Thema Holocaust. „Was hat Auschwitz mit mir zu tun? – eine Ermittlung“ heißt das Programm, mit dem die katholische Bildungseinrichtung bewusst eine Zielgruppe für die Zeit des Nationalsozialismus interessieren möchte, die mit diesem Thema eher seltener konfrontiert wird.

„Wir haben hier Menschen mit multiplem Förderbedarf“, sagt Michael Endrass, stellvertretender Leiter der Einrichtung, mit Blick auf die rund 230 Schülerinnen und Schüler des Berufsbildungswerks. Junge Leute mit massiven Lernschwierigkeiten seien ebenso vertreten wie Autisten oder psychisch Behinderte. „Das sind Menschen, die oft besonders empfänglich sind für einfache Antworten“, betont Endrass die aktuelle Bedeutung des Projekts. Derzeit gebe es zwar keine offen auftretenden Rechtsradikalen in der Schülerschaft wie vor fünf Jahren, als dies der Anlass für ein erstes Auschwitz-Projekt gewesen sei. Aber Endrass und die anderen Pädagogen im Team hoffen, dass die Teilnehmer des aktuellen Projekts gegebenenfalls auch versteckt im Klassenraum geäußerten Parolen künftig eigene Erfahrungen mit dem Thema Nazi-Terror entgegenhalten können. Immerhin: „Unser Projekt ist bereits Tagesgespräch in unserer Einrichtung“. Endrass sagt: „Wir wollen die jungen Leute auf ihrer Ebene für dieses Thema sensibilisieren“. Zumal er bei den Schülern, die für dieses Thema empfänglich sind, eine ganz besondere Betroffenheit sieht: „Denen ist schon bewusst, dass sie angesichts ihrer Einschränkungen vor 75 Jahren womöglich selbst zu den Menschen gehört hätten, die als erste in die Konzentrationslager geschickt worden wären“.

„Unser Zugang ist vor allem emotional, weniger intellektuell“

Anstatt im Fachpraktikum für Holzverarbeitung oder Fahrzeugpflege zu sitzen oder erste Erfahrungen als Verkäuferin oder im Service in sozialen Einrichtungen zu machen, sprechen und lernen die 18 Männer und Frauen seit Mittwoch in einem Klassenraum über den Holocaust. Frank und Rike Reiniger – er Historiker und Bildungsreferent, sie Autorin und Regisseurin – diskutieren mit den Auszubildenden über die Nazi-Zeit, über Konzentrationslager und die geplante Vernichtung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen, sie schauen Filme, Fotos – und sie sprechen mit Zeitzeugen, die sich auf einen Zeitungsaufruf hin gemeldet haben. „Unser Zugang ist vor allem emotional, weniger intellektuell“, erläutert Rike Reiniger ihre Arbeit. Sie berichtet von einem Teilnehmer, der früher stark sehbehindert gewesen sei und sich im Projekt sehr für das Thema Euthanasie interessiert. „Ein anderer Teilnehmer stammt aus Südosteuropa und will ganz viel über das Thema ,arisch‘ wissen“. Eine Teilnehmerin habe zudem ganz verwundert gefragt: „Hitler hatte doch dieses Buch geschrieben – warum hat denn da niemand drauf reagiert?“ Für viele der Auszubildenden sei der Holocaust keine Geschichte aus einer fernen, vergangenen Zeit, „sondern es gibt bei uns ganz oft einen Gegenwartsbezug“, so Reiniger.

Theaterstück am 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung

Gemeinsam mit den Teilnehmern wird Reiniger die Erlebnisse und Erfahrungen im Projekt an Hand vieler Zitate in einem Theaterstück verdichten, das die jungen Leute am Montagabend, 27. Januar, um 19 Uhr – 75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – selbst aufführen. Der Eintritt ist frei, Gäste sind im Kolping-Berufsbildungswerk, Am Zehnthof 100, in Essen-Frillendorf hochwillkommen. Unter anderem werden NRW-Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (CDU) und Weihbischof Ludger Schepers an diesem Abend mit dabei sein.

Eine Woche später bricht die Projektgruppe dann nach Polen auf, um nach der Beschäftigung mit Texten, Fotos und Filmen Orte des Holocaust auch mit eigenen Augen zu sehen. Neben einem ganztägigen Besuch in der Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau und einer intensiven Vor- und Nachbereitung der Erlebnisse steht in Krakau auch ein Besuch der ehemaligen Fabrik von Oskar Schindler auf dem Programm.

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